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Die Bundeskanzlerin oder der Bundeskanzler

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Stockholms Universitet

Institutionen för baltiska språk, finska och tyska Avdelningen för tyska

Die Bundeskanzlerin oder der Bundeskanzler

Analyse der Geschlechtsneutralität der Bundesverfassung der

Schweizerischen Eidgenossenschaft

Linnea Svenander

(2)

INHALT

1 EINLEITUNG...3

1.1 THEMA, FRAGESTELLUNGEN UND METHODE...3

1.2 GLIEDERUNG DER ARBEIT...5

2 FEMINISTISCHE LINGUISTIK ...6

2.1 FEMINISTISCHE LINGUISTIK – URSPRUNG UND ZIEL...6

2.2 DAS GENERISCHE MASKULINUM – EIN ZENTRALER FORSCHUNGSGEGENSTAND DER FEMINISTISCHEN LINGUISTIK. 8 2.3 STRATEGIEN ZUR VERMEIDUNG DES GENERISCHEN MASKULINUMS...11

2.4 DIE LINGUISTISCHE RELATIVITÄTSTHEORIE UND DAS GENERISCHE MASKULINUM...13

2.5 WEGEN ”NORM UND KONVENTION” GESCHLECHTSNEUTRAL? KURZER HISTORISCHER RÜCKBLICK AUF DEN GEBRAUCH DES GENERISCHEN MASKULINUMS...16

3 ANALYSE ...18

3.1 MATERIAL UND METHODE...18

3.2 ANALYSE DES UNTERSUCHUNGSMATERIALS...20

3.3 DAS GENERISCHE MASKULINUM IM UNTERSUCHUNGSMATERIAL...21

3.4 DER GEBRAUCH VON GESCHLECHTSNEUTRALEN FORMEN IM UNTERSUCHUNGSMATERIAL...23

3.4.1 Lexeminhärent geschlechtsabstrakte substantivische Personenbezeichnungen ...23

3.4.2 Beidbenennungen ...24

3.4.3 Differentialgenus ...25

3.5 SONSTIGE BEOBACHTUNGEN AUS DER BUNDESVERFASSUNG – DAS VERRÄTERISCHE GENERISCHE MASKULINUM26 3.5.1 Der Sexual- oder Gewaltstraftäter...27

3.5.2 Der General und der Generalsekretär...29

3.5.3 Der Stimmberechtige...30

4. ZUSAMMENFASSUNG UND SCHLUSSFOLGERUNGEN ...31

5. LITERATURVERZEICHNIS ...35

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1 EINLEITUNG

1.1 THEMA, FRAGESTELLUNGEN UND METHODE

Stellen wir uns vor, wir wollen einen Antrag auf ein neues Gesetz über die Sicherheit am Arbeitsplatz einbringen. Wir haben zwei alternative Bestimmungen über die Haftung für die Sicherheit formuliert. Der Inhalt der beiden Bestimmungen ist derselbe. Sprachlich unterscheiden sie sich aber:

(1) Der Arbeitgeber haftet für die Sicherheit am Arbeitsplatz.

(2) Die Arbeitgeberin oder der Arbeitgeber haftet für die Sicherheit am Arbeitsplatz.

In der ersten Bestimmung haben wir eine maskuline Personenbezeichnung (der Arbeitgeber) verwendet, um sowohl männliche wie auch weibliche Arbeitgebende zu bezeichnen.1 In der zweiten Bestimmung haben wir aber die maskuline Personenbezeichnung verwendet, um männliche Arbeitgebende zu bezeichnen, während wir Frauen, die Angestellten haben, mit einer femininen Personenbezeichnung bezeichnen (die Arbeitgeberin).

Spielt es denn überhaupt eine Rolle, ob wir uns für die erste oder die zweite Alternative entscheiden? Die erste Regelung ist kürzer und einfacher. Die zweite ist aber aus einer Gleichstellungsperspektive die bessere Alternative, indem auch weibliche Arbeitgebende ausdrücklich genannt werden. Die Frage ist aber, wie wichtig es ist, dass Frauen in Texten wie diesem sichtbar sind. Ist die Wahl des sprachlichen Ausdrucks eher eine Frage „formaler“ Gleichstellung oder können sprachliche Ungleichheiten auch außersprachliche Chancenungleichheiten zwischen Männern und Frauen aufrechterhalten, verstärken oder sogar verursachen?

Diese Frage ist eine der Hauptfragen der feministischen Linguistik, einer sprachwissenschaftlichen Disziplin, die sich mit Fragen der Sprache über Frauen und von Frauen beschäftigt. Die Forscherinnen und Forscher der feministischen Linguistik haben in empirischen Studien gezeigt, dass der Gebrauch des generischen Maskulinums, das heißt die Benutzung einer maskulinen substantivischen oder pronominalen Personenbezeichnung zur Bezeichnung von Personen beider Geschlechter,2 tatsächlich diskriminierende Wirkungen hat. Sie haben auch zeigen

1 Die Arbeitgebenden können natürlich auch juristische Personen sein. Diese werden im Rahmen dieser Arbeit nicht

diskutiert.

2 Ausgenommen werden maskuline Personenbezeichnungen, die lexeminhärent geschlechtsneutral sind. Zur Definition

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können, dass die Benutzung des generischen Maskulinums wahrscheinlich keine lange Tradition im deutschen Sprachgebrauch besitzt. Aus diesem Grund wird sein Verwenden auf jedem Gebiet kritisiert. Es wird auch untersucht, inwiefern alternative Personenbezeichnungen dazu geeigneter sind, die Diskriminierung von Frauen zu vermeiden.

Die Beispiele des generischen Maskulinums, die in der Forschung genannt werden, sind oft dem Bereich der Rechtssprache entnommen. Die Rechtsnormen regeln auf großen Gebieten das Leben der Menschen, sie prägen „unser Zusammenleben im Alltag“.3 So regeln die strafrechtlichen

Normen die Strafbarkeit gewisser Formen menschlichen Verhaltens, und die Normen des Sozialrechts legen fest, inwiefern wir Recht auf gesellschaftliche Unterstützung haben. Die große Bedeutung der Rechtsnormen für unser Alltagsleben erklärt das Interesse der feministischen Linguistik an juristischen Texten. Da sie in gleichem Maß das Leben von Frauen und Männern bestimmen, ist es wichtig, dass sie auf nicht-sexistische Weise formuliert werden.

In dieser Arbeit werde ich der Frage nachgehen, ob es praktisch möglich ist, Gesetze im Sinne der feministischen Linguistik geschlechtsneutral zu formulieren. Mit welchen Mitteln kann dieses Ziel erreicht werden? Welche sind die Probleme, auf denen die Gesetzgebenden stoßen können? Um diese Fragen zu beantworten werde ich den Gebrauch substantivischer und pronominaler Personenbezeichnungen eines Gesetzes analysieren, dessen Geschlechtsneutralität ein Ziel der Gesetzgebenden war: Die Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (BV).

In der deutschsprachigen Schweiz haben die Ideen der feministischen Linguistik früher als in der Bundesrepublik und in Österreich einen Einfluss auf die Rechtssprache ausgeübt.4 Schon 1986 hat der Bundesrat dem Parlament ein Rechtsetzungsprogramm vorgelegt, in dem er festgestellt hat, dass geschlechtsspezifische Begriffe in der Gesetzgebung dazu beitragen, „dass Männer und Frauen wenn auch nicht rechtlich, so doch faktisch auf je bestimmte Verhaltensweisen festgelegt werden“.5 Am 7. Juni 1993 hat der Bundesrat beschlossen, dass neue Erlasse von der Bundesverwaltung nach

3 Avenarius, Hermann: Die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland. Bonn: Bundeszentrale für politische

Bildung 2001. S. 157.

4 Der Erfolg der feministischen Linguistik in der Schweiz wird von Ann Peyer und Eva Lia Wyss mit der speziellen

Sprachsituation der deutschen Schweiz erklärt. In der deutschsprachigen Schweiz wird ausschließlich Standardsprache geschrieben. Gesprochen wird aber neben der persönlichen Mundart in formellen Kontexten auch Standardsprache (dieses Phänomen wird als „mediale Diglossie“ bezeichnet). Die Schweizerinnen und Schweizer haben nicht die gleichen Einstellungen zu den beiden Sprachformen. Im Verhältnis zur Mundart gilt die Standardsprache als

„unpersönlich und unvertraut, als steif und gehoben, als emotionsarm und kompliziert“. Daraus ziehen Peyer und Wyss den Schluss, dass die neuen Vorschriften der sprachlichen Gleichbehandlung zum Teil „mit der gleichen emotionalen Distanz zur Kenntnis genommen [werden] wie Änderungen bei Konventionen der amtlichen Korrespondenz. Heikel wäre es aber, wenn Vorschriften auch den Dialektgebrauch beeinflussen wollten [...]“. Vgl. Peyer, Ann, Wyss, Eva Lia: „,JazzmusikerInnen – weder Asketen noch Müsli-Fifis’ – Feministische Sprachkritik in der Schweiz, ein Überblick“. In:

Feministische Linguistik – Linguistische Geschlechterforschung – Ergebnisse, Konsequenzen, Perspektiven.

[Germanistische Linguistik 139-140] Hrsg. Schoenthal, Gisela. Hildesheim: Georg Olms Verlag 1998. S. 117-174, hier S. 148 ff.

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den Grundsätzen der sprachlichen Gleichbehandlung vorbereitet werden sollen,6 und 1996 hat der Bundesrat den Leitfaden zur sprachlichen Gleichbehandlung im Deutschen publiziert, um die geschlechtergerechte Formulierung von Texten zu erleichtern.7 Die Redaktion der BV ist nach dem Leitfaden des Bundesrates erfolgt. Dadurch sollte ihre Geschlechtsneutralität gewährleistet sein. Ist dieses Ziel tatsächlich erreicht worden?

In meiner Analyse der Geschlechtsneutralität der BV werde ich mich auf zwei Hauptfragen konzentrieren:

• Wird das generische Maskulinum überhaupt verwendet?

• Welche alternativen, formal geschlechtsneutralen Formen werden benutzt, und inwiefern sind diese auch, aus der Perspektive der feministischen Linguistik, „wirklich“ geschlechtsneutral?

Durch die Antworten auf diese Fragen hoffe ich, im Allgemeinen meine Fragen zu den Möglichkeiten und Problemen, die mit der Formulierung geschlechtsneutraler Gesetze verbunden sind, beantworten zu können.8

1.2 GLIEDERUNG DER ARBEIT

Dieser Aufsatz ist in zwei Hauptteile eingeteilt. Im ersten Teil werden die Theorien und die empirischen Ergebnisse der feministischen Linguistik präsentiert (Kapitel 2). Hier werden zuerst die Geschichte und das Ziel der feministischen Linguistik beschrieben. Danach folgt eine Darstellung des generischen Maskulinums. Im Kapitel 2.3 werden einige Vorschläge für ein geschlechtergerechtes Deutsch präsentiert, die von den Vertreterinnen und Vertretern der feministischen Linguistik ausgeformt worden sind. Danach folgt eine Beschreibung der Theorien über die Wirkungen des generischen Maskulinums auf das Denken. Die Resultate einiger empirischer Untersuchungen werden auch beschrieben, und im Kapitel 2.5 wird ein kurzer Rückblick auf die Geschichte des generischen Maskulinums gemacht.

Im zweiten Teil (Kapitel 3) folgt die Analyse der BV. Die Analyse besteht aus zwei Teilen. Zuerst werden zwei Kapitel der BV im Detail studiert. Es wird untersucht, ob das generische Maskulinum vorkommt und welche der verschiedenen formal geschlechtsneutralen, alternativen Personenbezeichnungen von den Gesetzgebenden am meisten verwendet werden (Kapitel 3.3 und 3.4). Im zweiten Teil wird untersucht, inwiefern das generische Maskulinum in den übrigen Kapiteln der BV vorkommt (Kapitel 3.3 – 3.4).

6 Ebd. S. 67.

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Danach folgen eine Zusammenfassung der vorherigen Kapitel und eine abschließende Diskussion (Kapitel 4). Besprochen werden, mit Ausgangspunkt in den Ergebnissen der Analyse, die Geschlechtsneutralität der BV und die Voraussetzungen, die vorhanden sein müssen, um Gesetze geschlechtsneutral zu formulieren und aufrechtzuerhalten.

2 FEMINISTISCHE LINGUISTIK

2.1 FEMINISTISCHE LINGUISTIK – URSPRUNG UND ZIEL

In Deutschland hat die feministische Sprachreflexion mit der Neuen Frauenbewegung angefangen.9 Diese ist ihrerseits aus den Spannungen geboren, die es schon zu Beginn der Studentenbewegung zwischen den Frauen und Männern im Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) gegeben hat. Die Spannungen hatten ihren Grund darin, dass die Frauen zwar gerne bei der praktischen Arbeit, das heißt Flugblätter tippen und Kaffee kochen, teilnehmen durften, von den politischen Diskussionen aber im Prinzip ausgeschlossen waren. In einer Rede auf der 23. Delegiertenkonferenz des SDS warf Heike Sander dem Bund vor, „innerhalb seiner Organisation ein Spiegelbild gesamtgesellschaftlicher Verhältnisse“ zu sein.10 Sander kritisierte vor allem die von dem SDS vorgenommene Trennung des Politischen von dem Privaten. Durch die Ausgrenzung des Privaten aus der Politik sei nämlich auch die Frage der Situation der Frauen aus der Politik ausgeblendet worden. Als Sander ihre Rede beendet hatte, wollten die Männer des Vorstandes ohne weitere Diskussion zum Thema wieder zur vorgegebenen Tagesordnung übergehen. Als Protest bewarfen einige der anwesenden Frauen die Männer mit Tomaten. Diese Aktion – der Tomatenwurf – wird seitdem als Startpunkt der Neuen Frauenbewegung beschrieben.11 Die Gesellschaftskritik der Neuen Frauenbewegung umfasste bald auch eine feministische Kritik der Sprache, und diese

9 Die Darstellung der Neuen Frauenbewegung basiert auf der Darstellung in Samel, Ingrid: Einführung in die

feministische Sprachwissenschaft. Berlin: Erich Schmidt Verlag 2000. S. 15 f. und die Dokumentation der

Ringvorlesung im Sommer 1988 an der Freien Universität Wien, „Antiautoritärer Anspruch und Frauenemanzipation – Die Revolte in der Revolte“. www.infopartisan.net/archive/1968/29708.html (ohne Jahresangabe, gesichtet am 4. Oktober 2008.

10 Sander, Heike: „Rede des Aktionsrates zur Befreiung der Frauen auf der 23. Delegiertenkonferenz des Sozialistischen

Deutschen Studentenbundes“ im September 1968 in Frankfurt. www.glasnost.de/hist/apo/weiber3.html (ohne Jahresangabe, gesichtet am 4. Oktober 2008).

11 Die deutsche Frauenbewegung kann in zwei Phasen eingeteilt werden. Die erste Phase umfasst den Zeitraum

zwischen den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts und 1933. 1933 löste sich der „Bund deutscher Frauenvereine“ selbst auf, um einer Gleichschaltung mit nationalsozialistischen Organisationen zu entgehen. Vgl. Samel: Einführung in

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Kritik hat sich inzwischen zu einer eigenen sprachwissenschaftlichen Disziplin, der feministischen Linguistik, entwickelt.12

Forschungsgegenstand der feministischen Linguistik ist die Verbindung zwischen Sprache und Geschlecht.13 Die Forschung wird vor allem auf zwei Gebieten, Sprache über Frauen und Sprache von Frauen, betrieben und kann in drei Hauptbereiche eingeteilt werden:

Sprache über Frauen

Das Sprachsystem

Studiert werden die Lexik und die Grammatik, das heißt die Mittel sprachlicher Produktion. Als Beispiel können Untersuchungen zur Bedeutung und Anzahl unterschiedlicher Bezeichnungen von Frauen und Männern genannt werden.

Der Sprachgebrauch

Untersucht wird, wie die Mittel sprachlicher Produktion, das heißt die Lexik und die Grammatik, tatsächlich gebraucht und aufgefasst werden. Zu diesem Bereich gehören die Studien zur Anwendung des so genannten generischen Maskulinums zur impliziten Ausgrenzung von Frauen, sowie Studien zur Wirkung generischer Maskulinformen. Ein anderes Beispiel aus diesem Bereich sind Untersuchungen zum Gebrauch von weiblichen Personenbezeichnungen als Beleidigung von Männern.

Sprache von Frauen

Untersucht wird das Gesprächsverhalten von Frauen und Männern, das heißt Variationen in der Art sich auszudrücken und die Rollen von Frauen und Männern in Gesprächen.

Der feministischen Linguistik geht es aber nicht nur darum, das Sprachsystem, den Sprachgebrauch und das Gesprächsverhalten zu beschreiben und zu erklären. Als Wissenschaft ist sie nämlich nicht

12 Vgl. Jobin, Bettina: Genus im Wandel – Studien zu Genus und Animatizität anhand von Personenbezeichnungen im

heutigen Deutsch mit Kontrastierungen zum Schwedischen. Stockholm: Almqvist & Wiksell International 2004. S. 56.

Jobin bemerkt, dass der Ausdruck „feministische Linguistik“ von vielen als zu politisch betrachtet wird. Stattdessen wird die feministische Linguistik auch als „linguistische Frauenforschung“ oder „linguistische Geschlechterforschung“ bezeichnet. In dieser Arbeit wird auf die ältere Bezeichnung bestanden.

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nur deskriptiv, sondern auch normativ. Statt die Diskriminierung von Frauen mit Hilfe von Sprache einfach als „Bestandteil von sozialer Realität“ zu akzeptieren, ist sie auf Sprachveränderung mit dem Ziel einer Gleichbehandlung von Frauen und Männern ausgerichtet.14

2.2 DAS GENERISCHE MASKULINUM – EIN ZENTRALER FORSCHUNGSGEGENSTAND DER FEMINISTISCHEN LINGUISTIK

Das so genannte generische Maskulinum macht seit Ende der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts eine der Hauptangriffspunkte der feministischen Sprachkritik aus. Es ist auch ein zentraler Forschungsgegenstand der feministischen Linguistik. Mit dem Begriff „generisches Maskulinum“ wird der geschlechtsabstrahierende Gebrauch maskuliner Grundformen bezeichnet, wie es die folgenden Beispiele aus dem deutschen Grundgesetz (GG) illustrieren:15

(1) Kein Lehrer darf gegen seinen Willen verpflichtet werden, Religionsunterricht zu erteilen. (Art. 7 (3) GG)

(2) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (Art. 2 (1) GG)16

In diesen Sätzen werden nur maskuline Personenbezeichnungen in Form von Substantiven (Lehrer) und Indefinitpronomina (jeder) verwendet. Sie beziehen sich aber, nach der gegenwärtigen Norm und Konvention, sowohl auf Männer als auch auf Frauen.17 Die maskulinen Possessivpronomina

(sein) und Personalpronomina (er), die von den maskulinen Personenbezeichnungen verlangt sind, um die Regeln der Kongruenz zu respektieren, sind ebenso in diesen Sätzen als geschlechtsneutral zu interpretieren. Traditionell wird das generische Maskulinum verwendet, „[w]enn im Deutschen von Personen mit unbekanntem Geschlecht die Rede ist, wenn das Geschlecht von Personen nicht relevant ist oder eine allgemeine Aussage gemacht werden soll [...].“18 Im Bereich des generischen Maskulinums gilt also nicht mehr die Regel, nach der es im Deutschen, bei den substantivischen

14 Vgl. Hellinger, Marlis: Kontrastive feministische Linguistik – Mechanismen sprachlicher Diskriminierung im

Englischen und Deutschen. Ismaning: Max Hueber Verlag 1990. S. 48.

15 Untersuchungen zum generischen Maskulinum gehören also zum zweiten der oben genannten Forschungsbereiche,

zur Erforschung des Sprachgebrauchs.

16 Die Kursivschrift, die in den zitierten Gesetzen vorkommt, ist immer von der Verfasserin, LS.

17 Vgl. Doleschal, Ursula: „Das generische Maskulinum im Deutschen – Ein historischer Spaziergang durch die

deutsche Grammatikschreibung von der Renaissance bis zur Postmoderne“. In: Linguistic online 11, 2, 2002. S. 39-70, hier S. 39.

18 Vgl. Braun, Friederike, Gottburgsen, Anja, Sczesny, Sabine, Stahlberg, Dagmar: „Können Geophysiker Frauen sein?

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und pronominalen Personenbezeichnungen, eine Beziehung zwischen der grammatischen Kategorie Genus (Maskulinum, Femininum, Neutrum) und Sexus (natürlichem Geschlecht) gibt.19

Der generische Gebrauch der maskulinen Formen ist damit erklärt worden, dass die maskulinen Formen einen umfassenderen Geltungsbereich hätten als die femininen Formen. In seiner Grammatik des Deutschen schreibt Walter Flämig:

Die maskulinen Formen [...] können auf die Kategorie ‘Person’ schlechthin bezogen werden, während die femininen Formen ausdrücklich auf das Merkmal ‘weiblich’ eingeschränkt erscheinen.20

Wer mit dieser Erklärung einverstanden ist, hält es natürlich nicht für notwendig, im GG von Lehrern und Lehrerinnen zu sprechen, oder etwa jeder Person das Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit zu gewährleisten. Wo Lehrer und jeder steht, sind Frauen „selbstverständlich eingeschlossen“;21 das generische Maskulinum Lehrer wird als Archilexem, als Oberbegriff, verstanden, das sowohl das geschlechtsdefinite Maskulinum Lehrer als auch das geschlechtsdefinite Femininum Lehrerin umfasst.

Im Rahmen der feministischen Linguistik ist diese angebliche Geschlechtsneutralität des generischen Maskulinums in Frage gestellt worden. 1978 machte die Sprachwissenschaftlerin Senta Trömel-Plötz in einem Artikel mit dem Titel Linguistik und Frauensprache darauf aufmerksam, dass das generische, „geschlechtsneutrale“ Maskulinum in der Form mit dem geschlechtsdefiniten Maskulinum identisch ist.22 Daraus folgt, dass jede Äußerung, in der ein generisches Maskulinum verwendet wird, im Prinzip ambig ist: Entweder sind Personen beider Geschlechter gemeint, oder die Äußerung bezieht sich nur auf Männer. Nach Trömel-Plötz führt der Gebrauch eines generischen Maskulinums, der auf Kosten eines möglichen Gebrauches einer geschlechtsdefiniten weiblichen Bezeichnung neben einer männlichen Bezeichnung (das heißt einer Beidbenennung) stattfindet, dazu, dass Frauen häufig nicht mitgemeint sind oder sich nicht angesprochen fühlen. Im Grunde genommen biete das generische Maskulinum den Sprechern und Sprecherinnen eine Möglichkeit an, „unter Ausschluss von Frauen über Männer zu sprechen oder Männer anzusprechen und zugleich die Rückzugsmöglichkeit offen zu halten, dass auch Frauen eingeschlossen waren“.23 Auch Bettina Jobin macht in ihrer Dissertation Genus im Wandel (2004) auf die Ambiguität des generischen Maskulinums und die Asymmetrie der sprachlichen Mittel zur Bezeichnung von

19 Vgl. Hellinger, Kontrastive feministische Linguistik. S. 63.

20 Flämig, Walter: Grammatik des Deutschen – Einführung in Struktur- und Wirkungszusammenhänge. Berlin:

Akademie Verlag 1991. S. 454 f. Hervorhebungen im Original.

21 Ebd. S. 455.

22 Vgl. Trömel-Plötz, Senta: „Linguistik und Frauensprache“. In: Trömel-Plötz, Senta: Frauensprache: Sprache der

Veränderung. Frankfurt am Main: Fischer 1982. S. 35-57, hier S. 38.

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Frauen und Männern aufmerksam.24 Als Beispiel eines echt geschlechtsneutralen Oberbegriffes führt Jobin das Wort Mensch an. Dieses Wort ist lexeminhärent geschlechtsneutral,25 eine Eigenschaft, die nur wenige Personenbezeichnungen im Deutschen haben.26 Außer Mensch können zum Beispiel Person, Individuum und Kind und die Komposita mit –kraft wie zum Beispiel Lehrkraft, erwähnt werden. Die Unterbegriffe des geschlechtsneutralen Wortes Mensch sind Mann und Frau, die beide eindeutig geschlechtsspezifisch sind. Die Situation ist also sowohl im Singular als auch im Plural symmetrisch:

Singular Plural

Der Mensch [Oberbegriff] Die Menschen [Oberbegriff]

Die Frau [w] Der Mann [m] Die Frauen [w] Die Männer [m]

[w] = [weiblich]; [m] = [männlich]

Anders verhält es sich bei Personenbezeichnungen wo eine formale Übereinstimmung der geschlechtsspezifischen maskulinen Form mit der als Oberbegriff erklärten, angeblich geschlechtsneutralen Form besteht. Zum Beispiel ist der Oberbegriff Lehrer, im Singular und im Plural, identisch mit dem geschlechtsspezifischen Begriff Lehrer: eine Asymmetrie, der das Prinzip der Vorrangigkeit des Maskulinums zugrunde liegt.27

Singular Plural

Der Lehrer [Oberbegriff] Die Lehrer [Oberbegriff]

Die Lehrerin [w] Der Lehrer [m] Die Lehrerinnen [w] Die Lehrer [m]

Diese vermeintlich geschlechtsneutralen Oberbegriffe werden von Jobin als pseudo-geschlechtsneutral bezeichnet. Beim Gebrauch des Wortes Lehrer muss nämlich jede Lehrerin den Kontext heranziehen, um zu entscheiden, ob sie mitgemeint ist. Meistens ist wohl die Frage, ob auch Frauen mitgemeint sind, nicht so schwierig zu beantworten, aber in vielen Fällen, so Jobin, bleibe eine genuine Unsicherheit bestehen.28

Substantivische Personenbezeichnungen mit Differentialgenus bilden in diesem Zusammenhang eine etwas spezielle Kategorie, da sie keine invariante Genusklassenzugehörigkeit haben.29 Diese

Substantive sind Nominalisierungen, die von Adjektiven und Partizipien abgeleitet sind: deutsch →

24 Jobin: Genus im Wandel. S. 61 ff.

25 Hier könnte eingewendet werden, dass viele Menschen sich unter dem Wort Mensch üblicherweise einen Mann

vorstellen. Die Probleme zum sozialen Geschlecht der lexeminhärent geschlechtsneutralen Personenbezeichnungen können aber im Rahmen dieser Arbeit nicht näher behandelt werden.

26 Vgl. Hellinger: Kontrastive feministische Linguistik. S. 81 f. 27 Vgl. ebd. S. 83.

28 Vgl. Jobin: Genus im Wandel. S. 62.

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der/die Deutsche; beschuldigen → der/die Beschuldigte. Hier fällt der Oberbegriff im Singular mit der geschlechtsspezifischen maskulinen Form zusammen und kann also, mit dem Begriff Jobins, als pseudo-geschlechtsneutral beschrieben werden. Im Plural sind aber sowohl der Oberbegriff als auch die geschlechtsdefinit feminine und maskuline Form identisch, und der Plural kann als geschlechtsneutral bezeichnet werden:

Singular Plural

Der Deutsche [Oberbegriff] Die Deutschen [Oberbegriff]

Die Deutsche [w] Der Deutsche [m] Die Deutschen [w] Die Deutschen [m]

Da die Substantive mit Differentialgenus aus Adjektiven und Partizipien abgeleitet werden, ist ihre Zahl beinahe unendlich groß.

2.3 STRATEGIEN ZUR VERMEIDUNG DES GENERISCHEN MASKULINUMS

Es wurde schon erwähnt, dass die feministische Linguistik eine normative Wissenschaft ist.30 Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler begnügen sich nicht einfach damit, sprachliche Phänomene, die ihrer Meinung nach zur Diskriminierung von Frauen beitragen, zu beschreiben und erklären, sondern versuchen es auch, Veränderung zustande zu bringen. Im Rahmen dieser Arbeit sind auch Alternativen zum Gebrauch des generischen Maskulinums vorgeschlagen worden.

Die vorgeschlagenen Strategien für ein geschlechtergerechtes Deutsch, die der Sprachgemeinschaft präsentiert worden sind, können in drei Kategorien eingeteilt werden: Die Beidbenennung, die Neutralisation und das generische Femininum.31 Die Strategien der Neutralisation und des generischen Femininums gehen auf die Sprachwissenschaftlerin Luise Pusch zurück. Unter Neutralisation versteht Pusch eine Abschaffung der Suffixe (vor allem das Suffix – in), die bei den femininen substantivischen Personenbezeichnungen das Femininum markieren. Dies soll aber bei Beibehaltung des grammatischen Genus geschehen.32 Aus die Lehrerin wird also *die Lehrer. Um einen geschlechtsneutralen Oberbegriff zu schaffen wird der pseudo-geschlechtsneutrale Oberbegriff der Lehrer mit *das Lehrer ersetzt. So ein radikaler Vorschlag hat natürlich nur sehr begrenzte Chancen von der Sprachgemeinschaft angenommen zu werden.

Aus der Sicht vieler Männer ist aber vielleicht der zweite Pusch-Vorschlag, die Strategie des generischen Femininums, noch radikaler. Statt des generischen Maskulinums zur Bezeichnung

30 Vgl. oben Kap. 2.1.

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beider Geschlechter schlägt Pusch eine totale Feminisierung mit Gebrauch eines Männer und Frauen bezeichnenden generischen Femininums vor.33 Dieser Vorschlag verstößt jedoch gegen die Norm, nach der ein Mann nie mit einem Femininum bezeichnet werden darf.34 Das generische Femininum wird aber inzwischen in politisch bewussten Kontexten gebraucht.35

Von den drei erwähnten Strategien hat die Strategie der Beidbenennung die größte Akzeptanz in der Sprachgemeinschaft gefunden. Beidbenennung heißt geschlechtsdefinite maskuline und feminine Personenbezeichnungen nebeneinander zu verwenden:36

Die Bundespräsidentin oder der Bundespräsident führt den Vorsitz im Bundesrat. (Art. 176.1 BV)

Die maskuline und die feminine Form werden nicht immer ausgeschrieben. Stattdessen werden oft Kurzformen verwendet: die Beidbenennung mit Hilfe des Schrägstrichs (Bundespräsident/-in) oder mit Hilfe des großen I (BundespräsidentIn).37

Die Fürsprecherinnen und Fürsprecher der Beidbenennung legen großes Gewicht darauf, Frauen in der Sprache sichtbar zu machen. Sie sind aber nicht fundamentalistisch in ihrem Bestreben, Frauen explizit zu nennen. So wird auch keine übertriebene, automatisierte Beidbenennung befürwortet.38 Empfohlen wird in der Regel, dass Beidbenennungen im Wechsel mit geschlechtsneutralen Ausdrücken, wie zum Beispiel die oben erwähnten lexeminhärent geschlechtsneutralen Personenbezeichnungen und die Pluralformen von substantivischen Personenbezeichnungen mit Differentialgenus, verwendet werden.39

33 Ebd. S. 75 ff.

34 Weibliche Personenbezeichnungen werden grundsätzlich nur zur Bezeichnung eines Mannes verwendet, wenn es

darum geht, ihn zu beleidigen.

35 Für diese Bemerkung danke ich meiner Betreuerin, FD Charlotta Brylla. 36 Samel: Einführung in die feministische Sprachwissenschaft. S. 71 f.

37 Auch die Beidbenennung mit Hilfe der Klammer Bundespräsident(in) kommt vor. Diese wird aber von der

feministischen Linguistik abgelehnt, da sie den Eindruck vermittle, dass der in Klammern stehende Ausdruck doch wieder etwas Abgeleitetes und Zweitrangiges bezeichne. Vgl. Hellinger, Marlis, Kremer, Marion, Schräpel, Beate: „Empfehlungen zur Vermeidung von sexistischem Sprachgebrauch in öffentlicher Sprache (1985)“. In: Hellinger, Marlis: Kontrastive feministische Linguistik – Mechanismen sprachlicher Diskriminierung im Englischen und

Deutschen. Ismaning: Max Hueber Verlag 1990. S. 153-170, hier S. 167.

38 Die Kritiker und Kritikerinnen der feministischen Linguistik haben oft die vorgeschlagene Beidbenennung als

schwerfällig, unökonomisch oder sogar als „sprachzerstörerisch“ verworfen. Als Argument haben sie oft absurde Beispiele konstruiert, um die Beidbenennung als komplett unmöglich darzustellen. Ein gutes Beispiel ist das sprachliche Monster A(Ä)rzt(e)Innen. Vgl. Peyer, Wyss: „,JazzmusikerInnen – weder Asketen noch Müsli-Fifis’ – Feministische Sprachkritik in der Schweiz, ein Überblick“. S. 129.

39 Vgl. z.B. Hellinger, Kremer, Schräpel: „Empfehlungen zur Vermeidung von sexistischem Sprachgebrauch in

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2.4 DIE LINGUISTISCHE RELATIVITÄTSTHEORIE UND DAS GENERISCHE MASKULINUM

Ist denn die Unsichtbarkeit von Frauen beim Gebrauch des generischen Maskulinums wirklich ein Problem? Oben wurde schon erwähnt, dass Frauen „aus Norm und Konvention“ beim Gebrauch des generischen Maskulinums mitgemeint sind, und dass meistens aus dem Kontext hervorgeht, ob wir es mit einem generischen oder einem geschlechtsspezifischen Maskulinum zu tun haben. Natürlich kann der Gebrauch der Form problematisch sein, wenn der Kontext für die Interpretation keine Hilfe bietet. Solche Fälle sollten doch eher Ausnahme als Regel sein, da sie gegen die sprachliche Regel der Exaktheit des Ausdrucks verstoßen – Deutlichkeit ist immer eines der Ziele des Sprachgebrauches. Ist es denn so wichtig Frauen explizit zu nennen, oder auf jeden Fall geschlechtsneutrale Lexeme und Formen zu verwenden? Können Frauen durch die Sprache, durch den Gebrauch einer gewissen Form, tatsächlich diskriminiert werden?

Die Antwort dieser Fragen hängt grundsätzlich davon ab, wie sich die Sprache zum Denken verhält. Die These der Determinierung der Gedanken durch die Sprache ist seit mehr als zweihundert Jahren Gegenstand wissenschaftlicher Diskussionen. Romantiker wie Johann Gottfried Herder, Wilhelm von Humboldt und Johann Gottlieb Fichte waren der Auffassung, dass die Sprache Denken und Willen präge, und ihre Ideen haben in vielen späteren psycholinguistischen Arbeiten Spuren hinterlassen.40

Als wissenschaftlichen Grund der Behauptung, dass Sichtbarkeit von Frauen in der Sprache tatsächlich von praktischer Bedeutung sei, stützen sich viele Vertreterinnen und Vertreter der feministischen Linguistik auf die linguistische Relativitätstheorie,41 die von den amerikanischen Sprachwissenschaftlern Edward Sapir und Benjamin Lee Whorf, entwickelt worden ist.

Nach der linguistischen Relativitätstheorie findet eine Beeinflussung des Denkens durch die sprachlichen Strukturen statt.42 Whorf weist darauf hin, dass die Welt in verschiedenen Sprachen

unterschiedlich analysiert und strukturiert wird.43 Als Beispiel nennt er den englischen Begriff snow:

40 Vgl. Almgren, Birgitta, Brylla, Charlotta: „Språk och politik – teoretiska och metodiska reflektioner“. In: Bilder i

kontrast: interkulturella processer Sverige/Tyskland i skuggan av nazismen 1933-1945. Hrsg. Brylla, Charlotta,

Almgren, Birgitta, Kirsch, Frank-Michael. Aalborg : Institut für Sprache und internationale Kulturstudien, Univ. Aalborg, 2005. S. 103-111, hier S. 103.

41 Diese Bezeichnung geht auf Whorf zurück. Im Artikel „Linguistics as an Exact Science“ beschrieb er seine Theorie

zum Verhältnis zwischen Sprache und Denken als „the ‚linguistic relativity principle’“. Vgl. Whorf, Benjamin Lee: „Linguistics as an Exact Science”. In: Language, Thought and Reality. Selected Writings of Benjamin Lee Whorf. Hrsg. Carroll, John B. New York: The Technology Press of Massachusetts Institute of Technology and John Wiley & Sons 1956. S. 220-232, hier S. 221.

42 Vgl. Hellinger: Kontrastive feministische Linguistik. S. 42.

43 Vgl. Whorf, Benjamin Lee: „Science and Linguistics“. In: Language, Thought and Reality. Selected Writings of

Benjamin Lee Whorf. Hrsg. Carroll, John B. New York: The Technology Press of Massachusetts Institute of

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We have the same word for falling snow, snow on the ground, snow packed hard like ice, slushy snow, wind-driven flying snow – whatever the situation may be. To an Eskimo, this all-inclusive word would be almost unthinkable; he would say that falling snow, slushy snow, and so on, are sensuously and operationally different, different things to contend with; he uses different words for them and for other kinds of snow.44

Diese und andere Beobachtungen, vor allem der Indianersprache Hopi, führten Whorf zu der Hypothese, „dass die jeweiligen sprachlichen (lexikalischen und grammatischen) Strukturen ihrerseits einen Einfluss darauf haben, wie Menschen die Wirklichkeit wahrnehmen.“45 Whorf schreibt:

It was found that the background linguistic system (in other words, the grammar) of each language is not merely a reproducing instrument for voicing ideas but rather itself the shaper of ideas, the program and guide for the individual’s mental activity, for his analysis of impressions, for his synthesis of his mental stock in trade. Formulation of ideas is not an independent process, strictly rational in the old sense, but is part of a particular grammar, and differs, from slightly to greatly, between different grammars. We dissect nature along lines laid down by our native languages. The categories and types that we isolate from the world of phenomena we do not find there because they stare every observer in the face; on the contrary, the world is presented in a kaleidoscopic flux of impressions which has to be organized by our minds – and this means largely by the linguistic systems in our minds. We cut nature up, organize it into concepts, and ascribe significances as we do, largely because we are parties to an agreement to organize it in this way – an agreement that holds throughout our speech community and is codified in the patterns of our language.46

Hellinger betont, dass Whorf nie davon spreche, dass Sprache das Denken determiniere. Er gehe vielmehr „von einer relativen Beeinflussung des gewohnheitsmäßigen Denkens aus [...].“47

Der Einfluss des Gebrauches des generischen Maskulinums auf das Denken ist empirisch in mehreren Untersuchungen studiert worden. Für das Englische haben unter anderen Donald G. MacKay und David C. Fulkerson nachgewiesen, dass die geschlechtsneutrale Interpretation des generischen Maskulinums „keine psychologische Realität besitzt, das heißt dass diese Ausdrücke als männlich besetzt wahrgenommen und verstanden werden.“48

Auch für das Deutsche haben empirische Untersuchungen gezeigt, dass das generische Maskulinum nicht geschlechtsneutral interpretiert wird, sondern die Assoziation ‚männlich’

44 Ebd. S. 216.

45 Hellinger: Kontrastive feministische Linguistik. S. 42. 46 Whorf: „Science and Linguistics“. S. 212 f.

47 Hellinger: Kontrastive feministische Linguistik. S. 42. Vgl. auch Mühlhäusler, Peter, Harré, Rom: Pronouns and

People. Oxford: Basil Blackwell 1990. S. 2. Samel scheint die linguistische Relativitätsthese anders zu verstehen: „Die

Sapir-Whorf-Hypothese besagt zum einen, dass das Weltbild und damit auch das Denken durch die Sprache determiniert sei.“ Siehe Samel: Einführung in die feministische Sprachwissenschaft. S. 84.

48 Hellinger: Kontrastive feministische Linguistik. S. 37 f. Hellinger gibt eine ausführliche Zusammenfassung der

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verstärkt.49 Zu diesem Schluss kommen unter anderen die Sprachwissenschaftlerinnen Friederike Braun und Anja Gottburgsen und die Psychologinnen Sabine Sczesny und Dagmar Stahlberg, die in einer interdisziplinären Studie das generische Maskulinum im Vergleich zu anderen Formulierungsmöglichkeiten untersucht haben.50

In Bezug auf die alternativen Formulierungsmöglichkeiten, die im Rahmen der feministischen Linguistik vorgeschlagen worden sind, zeigt die Studie von Braun, Gottburgsen, Sczesny und Stahlberg, dass die Strategie der Beidbenennung tatsächlich zu einer stärkeren Einbeziehung von Frauen führt. „Neutrale Formulierungen“ (darunter scheinen die vier Forscherinnen vor allem Pluralformen von Substantiven mit Differentialgenus zu verstehen) bewirken aber „kaum eine Steigerung der Assoziation ‚weiblich’.“51 Es kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass die in der Studie verwendete Methode nicht ganz geeignet gewesen ist, um zu zeigen, inwiefern die genannten Formen Frauen einbeziehen können.52

Die nicht-diskriminierende Wirkung der im Rahmen der feministischen Linguistik vorgeschlagenen Formulierungsalternativen ist auch in einer Studie von Brigitte Scheele und Eva Gauler studiert worden. Obwohl diese Studie von Braun, Gottburgsen, Sczesny und Stahlberg scharf kritisiert wird,53 sind die Ergebnisse nicht uninteressant. Scheele und Braun studieren unter anderem die Wirkung der geschlechtsindefiniten Personenbezeichnungen der Mensch, das Individuum und die Person.54 Dabei können sie „erwartungswidrig“ feststellen, dass die Pluralformen von Mensch und Individuum als Diskriminierungsvarianten zu klassifizieren sind,

49 Vgl. Braun, Gottburgsen, Sczesny, Stahlberg: „Können Geophysiker Frauen sein?“. S. 266 ff mit Hinweisen auf die

Untersuchungen von Josef Klein (1988), Ulrike Rummler (1995), Brigitte Scheele und Eva Gauler (1993) und Lisa Irmen und Astrid Köhncke (1996).

50 Vgl. ebd. S. 281. Nach Braun et al. soll aber dieser Zusammenhang differenzierter formuliert werden, da diese

Wirkung nicht in jedem Fall und nicht bei allen Rezipierenden auftritt. In der Untersuchung variierten die Ergebnisse sowohl mit dem Kontext, der in der Untersuchung entweder ‚typisch männlich’, ‚typisch weiblich’ oder ‚neutral’ war, als auch mit dem Geschlecht der Versuchspersonen.

51 Ebd.

52 In der Untersuchung wurden Texte über einen wissenschaftlichen Kongress bzw. ein Sportverbandstreffen als

Versuchstexte verwendet. Die Texte waren wie Zeitungsartikel gestaltet. An fünf Stellen im Text kamen

Personenbezeichnungen entweder im generischen Maskulinum (z.B. die Wissenschaftler), in Neutralform (z.B. die

wissenschaftlich Tätigen) oder in Beidbenennung (z.B. Wissenschaflerinnen und Wissenschaftler) vor. Nachdem die

Versuchspersonen den Text gelesen hatten, sollten sie den Prozentsatz teilnehmender Frauen und Männer einschätzen. Als Personenbezeichnungen sind aber Neutralformen in Zeitungstexten eher ungewöhnlich, und ein authentischer Zeitungstext, in dem nur Neutralfomen verwendet wird, ist natürlich noch ungewöhnlicher. Auf diesem Punkt

überzeugt die in der Studie verwendete Methode nicht. Überhaupt ist es fraglich, inwiefern es Sinn hat, Textbeispiele zu verwenden, die in der Sprache eher ungewöhnlich sind. Auch was die Beidbennennung betrifft, wird ja diese in der Sprachgemeinschaft eher im Wechsel mit Neutralformen verwendet. Eine Untersuchung zur Geschlechtsneutralität dieser Mischstrategie wünschen sich auch Braun et al.

53 Ebd. S. 268.

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während sich die Pluralform von Person als „optimal tauglich“ erweist.55 Diese nicht-diskriminierende Wirkung von Person ist jedoch kontextabhängig:

[...] die «Person»-Formulierung (im Plural) scheitert offensichtlich im Fall einer stark «männlich» besetzten Assoziationsorganisation, wirkt aber sehr wohl «heilsam» dort, wo sie vorhandenes Nicht-Benachteiligungswissen nur stimulierend in den Aufmerksamkeitsfokus zu rücken braucht [...].56 2.5 WEGEN ”NORM UND KONVENTION” GESCHLECHTSNEUTRAL? KURZER HISTORISCHER RÜCKBLICK AUF DEN GEBRAUCH DES GENERISCHEN MASKULINUMS

Unter Berücksichtigung der Selbstverständlichkeit mit der viele Grammatiken das Verständnis maskuliner Personenbezeichnungen als geschlechtsneutral beschreiben, müssen die Resultate der Studien zur Geschichte des generischen Maskulinums, die im Rahmen der feministischen Linguistik vorgenommen worden sind, überraschen. Die Sprachwissenschaftlerin Ursula Doleschal hat in einer Studie die Behandlung des generischen Maskulinums in deutschen Grammatiken, Sprachlehren und Sprachempfehlungen ab dem 16. Jahrhundert untersucht. Ihr Resultat ist hochinteressant. Die Studie zeigt nämlich, dass das generische Maskulinum „erst in den sechziger Jahren des 20. Jh. in die Germanistik Eingang gefunden hat.“57

Daraus direkt den Schluss zu ziehen, dass es das generische Maskulinum früher nicht gegeben hat, ist natürlich nicht möglich.58 Es gibt aber auch andere Studien, die in dieselbe Richtung wie Doleschals Untersuchung zeigen, und das „traditionelle“ Verständnis der maskulinen Personenbezeichnungen als geschlechtsabstrahierend in Frage stellen. Im Buch Vater Staat hat keine Muttersprache analysiert die Richterin Marianne Grabrucker unter anderem die Geschichte der deutschen Rechtssprache. Grabrucker zeigt wie diese Sprache schon seit Jahrhunderten von maskulinen Personenbezeichnungen voll ist. Ein generelles Verständnis dieser Personenbezeichnungen als generisch gibt es aber erst seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, und auch dann nicht ohne eine gewisse Ambiguität.

Blicken wir kurz in die Geschichte zurück. Im merowingisch-karolinischen Volksrecht des frühen Mittelalters wurden Frauen rechtlich den Sachen zugeordnet. Die mit maskulinen Personenbezeichnungen bezeichneten Rechtspersonen der Gesetze waren also per Definition Männer. Als sich die Situation der Frauen im Hoch- und Spätmittelalter etwas verbesserte und

55 Scheele, Brigitte, Gauler, Eva: „Wählen Wissenschaftler ihre Probleme anders aus als WissenschaflerInnen? Das

Genus-Sexus-Problem als paradigmatischer Fall der linguistischen Relativitätsthese“. In: Sprache und Kognition, 12, 2, 1993. S. 59-72, hier S. 71.

56 Ebd. Eine‚heilsame’ Formulierung ist nach Scheele und Gauler eine Formulierung, die in der Tat empirisch zu

Veränderungen in den resultierenden Assoziationen (‚männlich’, ‚weiblich’, ‚männlich und/oder weiblich’) führt.

57 Doleschal: „Das generische Maskulinum im Deutschen“. S. 66. Mit „Germanistik“ meint Doleschal die Behandlung

in den von ihr untersuchten Grammatiken und Sprachlehren.

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Frauen teilweise als Rechtspersonen agieren konnten, wurden diese auch in gesetzlichen Texten sichtbar. So verfügte zum Beispiel München im Jahre 1365:

Wann es dazu kommt, daß sich ein Knecht oder ein Dirn verdingt hat zu einem Mann oder zu einer

Frau und einen Pfennig oder mehr daraus einnemmit, der soll dem selben Mann oder Frau dann treu

dienen.59

Ein anderes Beispiel des Gebrauches der Benennung von Frauen und Männern nebeneinander stellt dieses Edikt aus dem 13. Jahrhundert dar:

Alle, Chirurg oder Chirurgin, Apotheker oder Apothekerin, Kräutersammler oder Kräuterkundige, dürfen die Grenzen ihres Berufes nicht überschreiten.60

Durch diese Verwendung der Beidbenennung wird deutlich, dass maskuline Personenbezeichnungen zu dieser Zeit keineswegs als geschlechtsneutral verstanden wurden. Daran änderte sich auch grundsätzlich nichts in der frühen Neuzeit. Wo maskuline Personenbezeichnungen verwendet wurden, waren, tatsächlich, auch nur Männer gemeint. Auch der in der Weimarer Verfassung eingeführte Gleichheitsgrundsatz, nachdem „[a]lle Männer und Frauen [...] grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten“ haben, änderte nichts daran, wie maskuline Personenbezeichnungen verstanden wurden. Um Frauen tatsächlich zu Berufen zuzulassen, die früher nur Männer ausüben durften, wurde nämlich eine Menge von neuen Gesetzen angenommen. So hieß es zum Beispiel im Gesetz vom 1. Juli 1922 über die Zulassung der Frauen zu den Ämtern und Berufen der Rechtspflege:

Die Fähigkeit zum Richteramte kann auch von Frauen erworben werden. Ebenso können Frauen zu Handelsrichtern, Amtsanwälten, Gerichtsschreibern und Gerichtsvollziehern ernannt werden.61

Wenn maskuline Personenbezeichnungen wirklich als geschlechtsneutral aufgefasst worden wären, hätte es natürlich dieser Gesetzesänderungen nicht bedurft.62

Oben wurde schon erwähnt, dass die maskulinen Personenbezeichnungen erst ab der Nachkriegszeit in der Rechtssprache „ohne Wenn und Aber“ als geschlechtsneutral aufgefasst werden.63 Die Ambiguität dieser Form, die je nach dem Kontext als geschlechtsspezifisch oder geschlechtsneutral verstanden werden kann, ist aber auch in moderner Zeit von reaktionären Kräften ausgenutzt worden. So wurde den Schweizerinnen in den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts das Wahlrecht mit der Begründung, die Verfassung der Schweiz enthalte nur das

59 Grabrucker, Marianne: Vater Staat hat keine Muttersprache. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuchverlag 1993. S.

90.

60 Ebd. S. 92. 61 Ebd. S. 111. 62 Vgl. ebd. S. 108 ff.

(18)

Maskulinum, vorenthalten.64 Im Artikel 43 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft aus 1874 hieß es nämlich:

Jeder Kantonsbürger ist Schweizer Bürger.

Als solcher kann er bei allen eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen an seinem Wohnsitze Anteil nehmen, nachdem er sich über seine Stimmberechtigung gehörig ausgewiesen hat.

Als diese Regelung angenommen wurde, waren tatsächlich nur Männer gemeint. Zur Zeit der schweizerischen Debatte über das Wahlrecht der Frauen hatte sich aber die Möglichkeit einer geschlechtsneutralen Interpretation maskuliner Personenbezeichnungen im Deutschen durchgesetzt (siehe oben). Die Tatsache, dass die Ambiguität der maskulinen Form vor weniger als sechzig Jahren ausgenützt worden ist, um Frauen von grundlegenden Menschenrechten auszuschließen, ist, meiner Meinung nach, ein starkes Argument dafür, das generische Maskulinum bei der Formulierung öffentlicher Texten zu vermeiden.

3 ANALYSE

3.1 MATERIAL UND METHODE

Um ein genaueres Bild über die Geschlechtsneutralität der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft (BV) zu erhalten, habe ich den Gebrauch von Personenbezeichnungen in den ersten zwei Kapiteln („Grundrechte“ und „Bürgerrecht und politische Rechte“) des zweiten Titels („Grundrechte, Bürgerrechte und Sozialziele“) näher untersucht. Untersucht werden also die 31 Artikel der BV, in denen die Grundrechte, die Bürgerrechte und die politischen Rechte festgelegt werden. Insgesamt umfasst das Untersuchungsmaterial 1386 Wörter. Darunter sind 51 substantivische Personenbezeichnungen65 und 9 indefinite Pronomen, die Personen bezeichnen. Die Wahl, diesen Teil der BV zu untersuchen, gründet sich teils darauf, dass die Grundrechte, die Bürgerrechte und die politischen Rechte tatsächlich jeden Menschen angehen. In dieser Hinsicht sind sie sozusagen „allgemeiner“ als zum Beispiel die Regeln zur Bundesversammlung oder zum Bundesrat.66 Vor allem gründet sich aber meine Wahl darauf, dass Personenbezeichnungen in diesen Artikeln besonders häufig auftreten müssten. Die ganze BV (die insgesamt aus etwa 13 000 Wörtern besteht) in Detail zu studieren würde sich wahrscheinlich nicht besser dazu eignen, die

64 Vgl. Samel: Einführung in die feministische Sprachwissenschaft. S. 132.

65 Beidbenennungen, die ja eigentlich aus zwei Personenbezeichnungen bestehen (die männliche und die weibliche

Form), werden in dieser Arbeit nur als eine Personenbezeichnung gezählt.

66 Stimmberechtigt in Bundessachen und wählbar in den Nationalrat und in den Bundesrat ist nur, wer das 18. Altersjahr

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Geschlechtsneutralität des Textes zu untersuchen, da große Teile davon nur ganz wenige Personenbezeichnungen enthalten.67 Die Untersuchung der vorliegenden Arbeit ist auf zwei Kapitel begrenzt, jedoch wurden auch die anderen Kapitel aus der Perspektive der feministischen Linguistik gelesen. Meine Beobachtungen zum Gebrauch des generischen Maskulinums im Rest der BV sind der Analyse des hauptsächlichen Untersuchungsmaterials hinzugefügt.

Ziel der Untersuchung ist, festzustellen, ob tatsächlich nur Personenbezeichnungen verwendet werden, die als geschlechtsneutral bezeichnet werden können. Die erste Frage ist also, ob generische Maskulina vorkommen oder nicht. Unter generischen Maskulina verstehe ich:

A. Maskuline substantivische Personenbezeichnungen, deren Beziehung auf sowohl Männer als auch Frauen nur aus dem Kontext hervorgeht;

B. Indefinite Pronomina, deren Beziehung auf sowohl Männer als auch Frauen nur aus dem Kontext hervorgeht; und

C. Konstruktionen, in denen ein maskulines persönliches oder possessives Pronomen anaphorisch auf ein indefinites Pronomen verweist, das nicht per se als ein generisches Maskulinum betrachtet werden kann.

Bei den indefiniten Pronomina mache ich folgende Differenzierung. Die Pronomina jeder und keiner werden als generische Maskulina bezeichnet, da sie maskuline Formen sind, die sich immer auf Männer beziehen und nur in gewissen Kontexten auch auf Frauen Bezug nehmen (Typ B der oben erwähnten Formen von generischen Maskulina). Als generische Maskulina werden auch die Pronomina man und jedermann betrachtet, da die Beziehung dieser beiden Wörter zum Wort Mann sehr deutlich ist.68 Die Pronomina wer, niemand und jemand werden prinzipiell als geschlechtsneutral betrachtet, obwohl niemand und jemand eigentlich auf das Wort Mann zurückgehen.69 Die Verwandtschaft zum Wort Mann ist aber, im Vergleich mit den Pronomina man und jedermann, nicht sehr deutlich. Deswegen möchte ich sie nicht als generische Maskulina kategorisieren. Die Geschlechtsneutralität gilt aber nur, wenn sie nicht in Konstruktionen auftreten, in denen ein maskulines persönliches oder possessives Pronomen anaphorisch auf sie verweist (Typ C). Als Beispiel kann der folgende Satz dienen: „Niemand darf in einen Staat ausgeschafft werden,

67 Vgl. z.B. das dritte Kapitel („Finanzordnung“) des dritten Titels („Bund, Kantone und Gemeinden“), in dem nur drei

substantivische Personenbezeichnungen vorhanden sind.

68 Das Indefinitpronomen man ist eine Abschwächung des Substantivs Mann, das im Althochdeutschen gleichzeitig

”Mann” und ”Mensch” bedeutete. Vgl. Kluge, Friedrich: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Bearb. von Elmar Seebold. Berlin/ New York: Walter de Gruyter 2002. S. 594 und Samel: Einführung in die feministische

Sprachwissenschaft. S. 90.

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in dem ihm Folter oder eine andere Art grausamer und unmenschlicher Behandlung oder Bestrafung droht“ (Art. 25 (3) BV).70

Es ist ebenfalls interessant zu untersuchen, in welchem Maße die verschiedenen Formen von geschlechtsneutralen Konstruktionen vorkommen. Die Studien zur Wirkung der alternativen Formulierungsmöglichkeiten, die von der feministischen Linguistik vorgeschlagen worden sind, haben gezeigt, dass die verschiedenen formal geschlechtsneutralen Formen nicht in gleichem Maße Frauen einbeziehen. Eine Untersuchung der bevorzugten Strategien hat aus diesem Grunde Relevanz.

Uninteressant ist es, meiner Ansicht nach, ebensowenig die schweizerische Bundesverfassung mit einer Verfassung zu vergleichen, die ohne Berücksichtigung auf die Ideen der feministischen Linguistik formuliert worden ist. Als illustrierendes Vergleichsmaterial habe ich deswegen das erste Kapitel des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland (GG) gewählt. In den 22 Artikeln dieses Kapitels sind die Grundrechte festgelegt worden. Inhaltlich spiegelt also das gewählte Kapitel das Untersuchungsmaterial aus der BV sehr gut. Das GG ist ursprünglich 1949 in Kraft getreten. Seitdem ist es natürlich mehrmals geändert worden, um den neuen Bedürfnissen der Zeit entgegenzukommen. Ein Antrag der SPD zur geschlechtergerechten Sprache des Grundgesetztes scheiterte aber 1993 in der Verfassungskommission, weswegen das GG ein „traditionelles“, androzentrisches Gesetz geblieben ist.

3.2 ANALYSE DES UNTERSUCHUNGSMATERIALS

In den folgenden Abschnitten (Kapitel 3.3 – 3.4) werden die Personenbezeichnungen, die in den ersten zwei Kapiteln des zweiten Titels der BV (im Folgenden „das Untersuchungsmaterial“ genannt) vorkommen, analysiert. Die verschiedenen Personenbezeichnungen werden grundsätzlich in zwei Gruppen eingeteilt: die generischen Maskulina, die im Kapitel 3.3 behandelt werden, und die geschlechtsneutralen Formen, die im Kapitel 3.4 besprochen werden. Die geschlechtsneutralen Formen werden ihrerseits in vier Gruppen eingeteilt: lexeminhärent geschlechtsabstrakte substantivische Personenbezeichnungen, Beidbennennungen, Pluralformen von Personenbezeichnungen mit Differentialgenus und indefinite Pronomen, die nicht per se als generische Maskulina betrachtet werden können, und nicht mit maskulinen persönlichen oder

70 Diese Kategorisierung stimmt im Prinzip mit den Empfehlungen von Marlis Hellinger, Marion Kremer und Beater

Schräpel überein. Vgl. Hellinger, Kremer, Schräpel: „Empfehlungen zur Vermeidung sexistischem Sprachgebrauch in öffentlicher Sprache (1985)“. S. 162 ff. Susanna Häberlin, Rachel Schmid und Eva Lia Wyss bezeichnen sowohl das Pronomen jedermann als auch die Pronomina jemand und niemand als „pseudogenerisch“ und empfehlen den Gebrauch anderer Formulierungen. Vgl. Häberlin, Susanna, Schmid, Rachel, Wyss, Eva Lia: Übung macht die Meisterin –

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possessiven Pronomina verbunden sind.71 In den folgenden Abschnitten wird vor allem die Frequenz der verschiedenen Formen untersucht. Vergleiche mit dem ersten Kapitel des GG werden auch gemacht, um die Unterschiede zwischen einer „traditionellen“ Verfassung und einer Verfassung, die auf die Ideen der feministischen Linguistik Rücksicht genommen hat, zu illustrieren.

3.3 DAS GENERISCHE MASKULINUM IM UNTERSUCHUNGSMATERIAL

In einem Text, der bewusst geschlechtsneutral formuliert worden ist, sollte natürlich kein einziges generisches Maskulinum auftauchen. Im Untersuchungsmaterial sind zwar keine maskulinen substantivischen Personenbezeichnungen, deren Beziehung auf sowohl Männer als auch Frauen nur aus dem Kontext hervorgeht (Typ A), vorhanden. Es gibt auch keine indefiniten Pronomina dieser Art (Typ B). Das heißt aber nicht, dass das Untersuchungsmaterial vom generischen Maskulinum frei ist. In zwei Sätzen kommen nämlich Konstruktionen vor, in denen ein maskulines persönliches oder possessives Pronomen anaphorisch auf das indefinite Pronomen niemand verweist (Typ C):

(1) Niemand darf in einen Staat ausgeschafft werden, in dem ihm Folter oder eine andere Art grausamer und unmenschlicher Behandlung oder Bestrafung droht. (Art. 25 (3) BV)

(2) Niemand darf wegen seiner Bürgerrechte bevorzugt oder benachteiligt werden. (Art. 37 (2) BV) Das Vorkommen dieser Konstruktionen in einem Gesetz, das geschlechtsneutral formuliert sein soll, überrascht natürlich. Es ist nämlich möglich, Normen jedes Inhaltes geschlechtsneutral zu formulieren.72 Was Artikel 25 (3) und 37 (2) BV betrifft, wären folgende geschlechtsneutrale Alternative möglich:

(1.a) Niemand darf in einen Staat ausgeschafft werden, in dem ihm oder ihr Folter... (1.b) Kein Mensch darf in einen Staat ausgeschafft werden, in dem ihm Folter...

(2.a) Keine Person darf wegen ihrer Bürgerrechte bevorzugt oder benachteiligt werden.

71 Die Einteilung folgt, was die ersten drei Gruppen betrifft, prinzipiell der Einteilung der substantivischen

Personenbezeichnungen von Marlis Hellinger. Hellinger spricht von lexikalischen und grammatischen Mitteln der Geschlechtsabstraktion. Lexikalisch geschlechtsabstrakt sind die Personenbezeichnungen, die lexeminhärent geschlechtsneutral sind, d.h. ”die weder das natürliche Geschlecht [weiblich/männlich] noch das soziale Geschlecht [prototypisch weiblich/prototypisch männlich] spezifizieren”. Vgl. Hellinger: Kontrastive feministische Linguistik. S. 81. Grammatisch geschlechtsabstrakt sind nach Hellinger die Pluralformen von Personenbezeichnungen mit

Differentialgenus und das Splitting, das heißt die Beidbenennung. Vgl. ebd. S. 78 f.

72 Als Beispiel kann Art. 8 (2) BV erwähnt werden: ”Niemand darf diskriminiert werden, namentlich nicht wegen der

Herkunft, der Rasse, des Geschlechts, des Alters, der Sprache, der sozialen Stellung, der Lebensform, der religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugung oder wegen einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung.” Diese exemplarisch geschlechtsneutrale Formulierung kann mit der Formulierung im Art. 3 (3) GG verglichen werden: ”Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache,

seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder

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Der erste Vorschlag (1.a) ist nach der Forderung von Hellinger, Kremer und Schräpel ausgeformt worden. Ihrer Meinung nach sollen die indefiniten Pronomina mit einer Art pronominalen Beidbenennung verbunden werden.73 Diese Konstruktion wird aber von vielen als ungrammatisch bezeichnet, weswegen ich hier auch eine alternative, grammatisch korrekte Formulierung (1.b) erwähne.

Oben wurde schon erwähnt, dass im Untersuchungsmaterial keine maskulinen substantivischen Personenbezeichnungen, deren Beziehung auf sowohl Männer als auch Frauen nur aus dem Kontext hervorgeht (Typ A), vorhanden sind. Ein Sonderfall ist jedoch das Wort Flüchtling, das einmal (im Plural) vorkommt (Art. 25 (2) BV). Flüchtling ist grundsätzlich eine maskuline Personenbezeichnung, die nicht zur Gruppe der lexeminhärent geschlechtsabstrakten Personenbezeichnungen gehört (zu dieser Gruppe gehören zum Beispiel die Wörter Mensch und Kind).

Das Wort Flüchtling gehört zu einer kleinen Gruppe von maskulinen Personenbezeichnungen, die nicht moviert werden können, da sie Derivate auf –ling sind.74 Die feminisierte Form *Flüchtlingin ist also prinzipiell nicht möglich.75 Häberlin, Schmid und Wyss schlagen die Feminisierung mit der Endung –frau vor, und empfehlen die Benutzung der Parallelformen Flüchtlingsfrauen und -männer.76 In der Leitfaden zur sprachlichen Gleichbehandlung im Deutschen wird aber behauptet, es hätten sich im Sprachsystem zu Wörtern mit der Endung –ling noch keine Feminina durchgesetzt, die von Form und Inhalt her gleichwertig seien.77

Auf dem Niveau des internationalen Rechts hat das Wort Flüchtling, durch das Abkommen vom 28. Juli über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, einen relativ deutlich abgegrenzten Inhalt; es funktioniert wie ein juristischer Terminus Technicus. Aus diesem Grund ist es schwierig, das Wort mit irgendeiner alternativen Formulierung zu ersetzen. Deswegen kann es, meiner Meinung nach, auch nicht ohne weiteres als generisches Maskulinum betrachtet und verworfen werden. Um Frauen besser einzuschließen sollte aber das Wort, genauso wie in der BV, vor allem im Plural verwendet werden. Dadurch wird es möglich, der Gebrauch von eindeutig maskulinen anaphorischen Pronomina zu vermeiden.78

73 Hellinger, Kremer, Schräpel: „Empfehlungen zur Vermeidung sexistischem Sprachgebrauch in öffentlicher Sprache

(1985)“. S. 163.

74 Vgl. Jobin: Genus im Wandel. S. 110.

75 Es sollte aber in diesem Zusammenhang erwähnt werden, dass die Frage der Movierbarkeit wohl „Moden“

unterworfen ist. Während der Epoche der Romantik ist die Zahl der Movierungen stark angestiegen, und das Wort *Flüchtlingin ist bei Jean Paul belegt. Vgl. Jobin: Genus im Wandel. S. 51.

76 Häberlin, Schmid, Wyss: Übung macht die Meisterin. S. 24.

77 Vgl. Leitfaden zur sprachlichen Gleichbehandlung im Deutschen. S. 36.

78 Vgl. die folgenden Sätze: a) Flüchtlinge dürfen nicht in einen Staat ausgeschafft oder ausgeliefert werden, in dem sie

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3.4 DER GEBRAUCH VON GESCHLECHTSNEUTRALEN FORMEN IM UNTERSUCHUNGSMATERIAL

Im vorigen Abschnitt wurde festgestellt, dass das generische Maskulinum nur in zwei Fällen im Untersuchungsmaterial vorkommt (ich betrachte also das Wort Flüchtling nicht als ein generisches Maskulinum). Das heißt, dass die übrigen 51 substantivischen Personenbezeichnungen und 7 indefiniten Pronomina geschlechtsneutral sind. Dazu möchte ich im nächsten Abschnitt auf die folgenden zwei Fragen eingehen: Welche Typen von geschlechtsneutralen Formulierungen werden verwendet und wie oft?

3.4.1 LEXEMINHÄRENT GESCHLECHTSABSTRAKTE SUBSTANTIVISCHE PERSONENBEZEICHNUNGEN

Die Zahl der lexeminhärent geschlechtsabstrakten substantivischen Personenbezeichnungen im Untersuchungsmaterial ist relativ hoch. Zu dieser Gruppe zählen 3279, das heißt 62,7 % der 51 substantivischen Personenbezeichnungen. Dies hat vor allem mit dem Inhalt der Normen zu tun. Die Grundrechte kommen allen Menschen zuteil. Daraus folgt, dass Wörter wie zum Beispiel Mensch und Person häufig verwendet werden können.80 Das Wort Person ist auch, in der Tat, die häufigste Personenbezeichnung des Untersuchungsmaterials. Insgesamt kommt es 25-mal vor. Im Vergleich zu Person kommt das Wort Mensch eher selten vor (im Untersuchungsmaterial sind nur vier Belege vorhanden). Für den Leser ist es nicht ganz einfach zu verstehen, warum die Gesetzgebenden in einem gegebenen Fall das Wort Mensch oder das Wort Person gewählt haben. Tendenziell scheint Mensch vorgezogen zu werden, wenn es um ganz „grundlegende“ Rechte geht. Das Wort kommt ganz am Anfang des ersten Kapitels des zweiten Titels der BV, in den Artikeln zur Menschenwürde (Art. 7 BV), zur Rechtsgleichheit (Art. 8 BV), zum Recht auf Leben (Art. 10 BV) und zum Recht auf persönliche Freiheit (Art. 10 BV), vor. Dies ist aber keine vollständige Erklärung. Es ist nämlich zum Beispiel sehr fraglich ob Rechtsgleichheit tatsächlich als „wichtiger“ betrachtet werden kann als der „Anspruch [jeder Person] darauf, von den staatlichen Organen ohne Willkür und nach Treu und Glauben behandelt zu werden“ (Art. 9 BV). Aus der Perspektive der feministischen Linguistik ist jedoch die Wahl, häufiger Person als Mensch zu verwenden positiv,

79 Wenn auch das Wort Flüchtling dieser Gruppe hinzugefügt wird sind es insgesamt 33.

80 Dies ist natürlich nicht in allen Kapiteln der BV möglich, vor allem nicht da, wo die Personenbezeichnungen

Trägerinnen und Träger gewisser Funktionen oder Ämter bezeichnen. Vgl. zum Beispiel das kurze erste Kapitel („Allgemeine Bestimmungen“) des fünften Titels („Bundesbehörden“). Im Kapitel sind acht substantivische

Personenbezeichnungen vorhanden. Darunter sind drei geschlechtsabstrakt (das Wort Mitglied, das dreimal vorkommt), vier Beidbenennungen (Richterinnen und Richter kommt dreimal vor, während Bundeskanzlerin und Bundeskanzler einmal im Kapitel vorkommt) und eine Pluralform einer Personenbezeichnung mit Differentialgenus

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denn durch sie wird ein umfassender Gebrauch von femininen anaphorischen Pronomina gewährleistet. Als Beispiel können die folgenden Sätze mit einander verglichen werden:

(1) Jede Person hat das Recht, ihre Religion und ihre weltanschauliche Überzeugung frei zu wählen und allein oder in Gemeinschaft mit anderen zu bekennen. (Art. 15 (2) BV)

(1.a) Jeder Mensch hat das Recht, seine Religion und seine weltanschauliche Überzeugung frei zu wählen und allein oder in Gemeinschaft mit anderen zu bekennen.

Wenn das Untersuchungsmaterial aus der BV mit dem Vergleichsmaterial aus dem GG verglichen wird, fällt auf, dass lexeminhärent geschlechtsabstrakte substantivische Personenbezeichnungen im deutschen Gesetzestext viel seltener vorkommen. Nur 1681, das heißt 33,3 % der insgesamt 48 substantivischen Personenbezeichnungen sind lexeminhärent geschlechtsneutral. Das Wort Person kommt nur dreimal vor (einmal im Ausdruck „Freiheit der Person“ (Art. 2 GG) und zweimal im Artikel 13) und das Wort Mensch zweimal. Die am häufigsten vorkommende lexeminhärent geschlechtsneutrale Personenbezeichnung ist stattdessen das Wort Kind (sechs Belege).

3.4.2 BEIDBENENNUNGEN

Im Untersuchungsmaterial wird die so genannte Beidbenennung, das heißt „die Koordination einer weiblichen und einer männlichen Personenbezeichnung“82, zwölf mal verwendet. Es geht hier um Personenbezeichnungen wie Schweizerinnen und Schweizer (Art. 24, 25 und 40) Schweizerbürgerin oder Schweizerbürger (Art. 37) Ausländerinnen und Ausländer (Art. 38) Richterin oder Richter (Art. 31) Arbeitnehmerin und Arbeitnehmer (Art. 28) und Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber (Art. 28). Es fällt auf, dass bei allen diesen Beidbenennungen die weibliche Form als erste steht. Diese Wahl kann mit der Theorie zu den Wirkungen der so genannten freezes auf das Denken verglichen werden. Viele Beispiele aus dem Deutschen zeigen nämlich, „dass die Reihenfolge, in der die Elemente in mehrgliedrigen Ausdrücken angeordnet sind, auch etwas über die Rangfolge dieser Elemente aussagt. Das wichtigste Element nimmt die erste Position an“.83 So steht das männliche Element in vielen eingefrorenen beziehungsweise idiomatisch festen Ausdrücken, die aus einer weiblichen und einer männlichen Personenbezeichnung bestehen, als erstes: Adam und Eva, Tristan und Isolde, Brüder und Schwestern, Genossen und Genossinen, Männer und Frauen.84 Nach Hellinger lässt sich im Sinne der sprachlichen Relativitätstheorie argumentieren, „dass ein Kind mit den freezes gleichzeitig die Auffassung erwirbt, dass dem Männlichen grundsätzlich der höchste

81 18, wenn das Wort Flüchtling dieser Gruppe hinzugefügt wird. 82 Hellinger: Kontrastive feministische Linguistik. S. 79.

83 Ebd. S. 43.

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Rang zukommt, weil es an erster Stelle genannt wird“.85 Aus dieser Perspektive ist natürlich die schweizerische Initiative, die weibliche Personenbezeichnung in erster Position einnehmen zu lassen, aus der Sicht der feministischen Linguistik zu applaudieren. Es gibt aber im Untersuchungsmaterial eine Ausnahme:

Mann und Frau sind gleichberechtigt. Das Gesetz sorgt für ihre rechtliche und tatsächliche

Gleichstellung, vor allem in Familie, Ausbildung und Arbeit. Mann und Frau haben Anspruch auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit. (Art. 8 (3) BV)

Wenn es zu einem Ausdruck kommt, der als „idiomatisch fest“ beschrieben werden kann, machen also die Gesetzgebenden halt. Dies kann mit dem folgenden Auszug aus dem GG verglichen werden:

Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der

Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. (Art. 3 (2) GG)

Ironischerweise ist also das sonst sehr androzentrische GG gerade auf diesem Punkt, bei der sprachlichen Gestaltung des Gleichberechtigungsgrundsatzes, weniger sexistisch als die BV, auf jeden Fall, wenn die oben erwähnte Theorie zur Wirkung der Reihenfolge der sprachlichen Elemente auf das Denken akzeptiert wird. Dies ist jedoch die Ausnahme, die die Regel bestätigt. Die Beidbenennungen im Artikel 3 (2) GG sind nämlich die einzigen Beidbenennungen des ganzen ersten Kapitels des GG.

3.4.3 DIFFERENTIALGENUS

Pluralformen von Personenbezeichnungen mit Differentialgenus bilden die kleinste Gruppe der geschlechtsneutralen substantivischen Personenbezeichnungen im Untersuchungsmaterial. Sie kommen insgesamt sechsmal vor. Das erste Beispiel finden wir im Artikel 8 (4):

Das Gesetz sieht Massnahmen zur Beseitigung von Benachteiligungen der Behinderten vor.

Darauf folgen die Pluralformen Jugendliche (Art. 11), Angehörige (Art. 31), Private (Art. 35), Dritte (Art. 36) und Neuzugezogene (Art. 39). Damit macht die Gruppe der Pluralformen von Personenbezeichnungen mit Differentialgenus 11,8 % der geschlechtsneutralen substantivischen Personenbezeichnungen aus.

Auch im Vergleichsmaterial aus dem GG sind Pluralformen von Personenbezeichnungen mit Differentialgenus vorhanden. Am häufigsten kommt, aus natürlichen Gründen, das Wort Deutsche

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