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„Im heftigsten Sturme des Mitgefühls’’

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„Im heftigsten Sturme des

Mitgefühls’’

Buddhistische oder indomanische Tendenzen in Richard

Wagners Götterdämmerung

Fabius Witt-Brattström Engdahl

Institutionen för slaviska och baltiska språk, finska, tyska och nederländska

Examensarbete 15 hp Litteraturvetenskap Tyska kandidatkurs

(2)

„Im heftigsten Sturme des

Mitgefühls’’

Buddhistische oder indomanische Tendenzen in Richard Wagners

Götterdämmerung

Fabius Witt-Brattström Engdahl

Sammanfattning/Abstract

In Richard Wagners Musikdramen kommen mehrere zeittypische philosophische, sozialkritische und religiöse Strömungen zum Ausdruck. In seiner Tetralogie und vielleicht wohlbekanntesten Werk Der Ring des Nibelungen finden wir, wohl infolge des langen und ereignisvollen Konzeptionsprozesses des Werkes, den prägnantesten Kern dieses künstlerischen Ausdrucks. Gemeinsam mit zahlreichen seiner Zeitgenossen interessierte sich Wagner zeitlebens für Indien und den Buddhismus. Die Spuren dieses Interesses sehen wir überall in seinen Opern. In der vorliegenden Arbeit gilt es, die Götterdämmerung aus diesem Blickwinkel heraus zu analysieren. Es lässt sich beweisen, dass eine Interpretation in diesem Sinne durchaus möglich und plausibel ist. Gezeigt wird in dieser Arbeit, wie mithilfe des wagnerischen Buddhismus aus Brünnhilde ein Heilscharakter gemacht wird, der ähnlich wie Parsifal die Funktion der wagnerischen Mitleidsideologie erfüllt. Mit Mitleidsideologie wird hier sein

(3)

Innehållsförteckning/

Inhaltsverzeichnis

Innehållsförteckning/Inhaltsverzeichnis ...3

Einleitung ...4

Fragestellung ...5

Methode und Ziel ...6

Kapitel 1 - Buddhismus im 19. Jh. ...7

Kapitel 2 - Die Wibelungen, Weltgeschichte aus der Sage ...10

Die drei Schlüsselmomente des Aufsatzes - Die Zweideutigkeit des Wissens - Der Nibelungenhort und der religiöse Kern der „Stammsage’’ ...12

Der Nibelungenhort ...13

Der religiöse Kern der Nibelungensage ...14

Aufgehen des idealen Inhaltes des Hortes in den „heiligen Gral“ ...16

Über den „realen Gehalt’’ ...17

Kapitel 3 - Interpretation der Götterdämmerung ...18

Zur Interpretation der Götterdämmerung ...18

Die Nornenszene ...19

Siegfried und Gunther - In der Halle der Gibichungen ...22

Brünnhilde auf dem Felsen, Gespräch mit Waltraute, Siegfrieds Trug ...25

Wieder in der Halle der Gibichungen ...26

Nächste Szene: Brünnhilde, Hagen und Gunther ...27

Letztes Kapitel: Tod und Ende der Tetralogie ...28

Der Trauermarsch und Brünnhildes Schlussgesang ...29

Abschluss ...37

Die Zweideutigkeit des Wissens - Brünnhildes Erlösungsmotiv ...37

Literaturverzeichnis ...39

Quellen/Primärliteratur ...39

Literatur/Sekundärliteratur ...39

(4)

Einleitung

Im Herbst 1854 liest Richard Wagner zum ersten Mal Schopenhauers Die Welt als Wille und Vorstellung und kommt dadurch mit der indischen Gedankenwelt in Kontakt.

In der Wagner-Exegese wird die Lektüre dieses Buches oft als eine Art Erweckungserlebnis

beschrieben, was Wagners Reifung als Künstler anbelangt . Diese Begegnung kam aber viel früher mit 1

dem Verkehr im Hause seines Schwagers, des Indologen Hermann Brockhaus zustande (mit Wagners Schwester Ottilie Wagner im Jahre 1836 verheiratet) . 2

Es steht aber fest, dass kein Philosoph einen so tiefen und beständigen Eindruck auf ihn zu machen vermochte wie Schopenhauer. Wagner las alles über den Buddhismus, was ihm in die Hände kam und glaubte sich dadurch ein Bild vom wahren Wesen der asiatischen Weltreligion machen zu können. Dieser Glaube drückt sich entscheidend in seiner Musik und in seiner Lyrik aus.

Aus den zahlreichen Briefwechseln, die der Nachwelt zugute gekommen sind, ersieht man leicht, wie weitläufig der Einfluss der indischen Gedankenwelt auf seine Kunst ist - und vor allem wie sich das Bild des Christentums, der Religion überhaupt, durch den Kontakt mit dem buddhistischen und indischen Gedankengut verändert hat. 3

Den Titel dieses Aufsatzes habe ich den Schauspieleranweisungen der vierten Szene der Walküre entnommen, in der Brünnhilde von Mitleid ergriffen wird und deswegen Sieglinde und damit auch den noch ungeborenen Siegfried rettet.

Suneson, Carl: Richard Wagner och den indiska tankevärlden, Uppsala, 1985. S.1-10.

1

Buschinger, Danielle: Durch Mitleid wissend: Wagner und der Buddhismus, Würzburg, 2017. S. 22.

2

Siehe zum Beispiel Wagner, Richard (1880): „Religion und Kunst“. In: Werner, Philipp (Hrsg.): Richard

3

(5)

Fragestellung

In dieser Arbeit gilt es also zu aller erst den Umstand zu beweisen, dass Wagners hauptsächlich durch den schopenhauerischen Filter zugute gekommenen, missverstandenen Buddhismus und Brahmaismus heraus kreierter wagnerischer Synkretismus einen Einfluss auf seine Werke hatten - um dann in nächstem Schritte näher auf das Libretto der Götterdämmerung einzugehen. Es wird aufgrund der beschränkten Länge dieses Aufsatzes einer biographischen Beschreibung von Wagners Leben und Wirken keine allzu große Aufmerksamkeit gewidmet. Die Lektüre setzt demzufolge ein Wissen über sein Leben so wie sein künstlerisches Schaffen voraus. Es wird gegen das, was nicht einschlägig für das Thema ist, verständlicherweise diskriminiert und nur in grossen Zügen den Kontext dargestellt. Unter den Leuten, die einen Versuch einer solchen Gesamtdarstellung eben dieser indischen

Tendenzen gewagt haben, hat Sune Claeson, ein schwedischer Forscher, den hervorragendsten Beitrag geleistet. Seine Studie Richard Wagner och den indiska tankevärlden, im Jahre 1985 publiziert, behandelt das Thema äusserst gründlich, mit der liebevollen Sorgfältigkeit eines enthusiastischen Wagnerianers. Leider widmet er der Götterdämmerung nur einen etwas zu kurzen Abschnitt. Einen ausführlichen Beitrag leistet hingegen die deutsche Germanistin Danielle Buschinger, die in ihrer Studie durch Mitleid wissend, 2017 erschienen, den von Wagner und seinen Zeitgenossen verwendeten Quellen auf die Spur geht.

Es soll und muss allerdings hervorgehoben werden, dass an der Gesamtheit dessen, was über Wagners Leben und Werk geschrieben worden ist, nur ein geringer Teil der Literatur gerade diese eben

genannten buddhistischen Tendenzen zum Thema hat.

Sicher lässt sich dieser Umstand mit dem schon zugegeben fragmentarischen Aspekt einer solchen Darstellung erklären. Dem oben erwähnten besonders enthusiastischen schwedischen Forscher 4

scheint es gelungen zu sein, die nicht gerade leicht zugänglichen Quellen ausfindig zu machen, um 5

für eine qualitative Gesamtdarstellung den Einfluss der indischen Texte auf den Tristan, Parsifal, Götterdämmerung so wie natürlich auch die Sieger angemessen schildern zu können.

In der Einleitung seiner Studie Richard Wagner och den indiska tankevärlden auf Seite 9-12 spricht er von

4

seinem persönlichen Interesse für sowohl die Musik, als die Lyrik Wagners. Sogar der Verlust seiner Sehkraft habe ihn nicht davon abhalten können, die Studie zu vollenden. (!)

Als Beispiel für die Unzulänglichkeit mancher Quellen diene eine Fussnote auf Seite 39 der Studie Richard

5

Wagner och den indiska tankevärlden: „Diese Erkundigungen habe ich vom Richard-Wagner-Museum mit

(6)

Methode und Ziel

Ziel ist, mithilfe einer historisch-kontextuellen Interpretationsmethode eine neue Perspektive auf die Götterdämmerung anzubieten, um dadurch der Sicht auf diese Oper eine andere Dimension

hinzuzufügen als die landläufige.

Die Arbeit gestaltet sich folgendermaßen.

In erstem Schritte wird kurz und in großen Umrissen ein Bild von der eigentlichen Lehre des Buddhismus gezeichnet, bei welchem der womöglich kritische Fokus auf den historischen

Buddhismus gelegt wird - das heisst, die Buddhalegende und ihre Implikationen. Anschliessend wird direkt auf den Wissenstand des 19. Jh. über dieses Thema eingegangen und diejenigen zu jener Zeit vorhandenen Quellen genannt.

In zweitem Schritte wird Wagners Sicht auf den Mythos erklärt, damit der Kontext angemessen beschrieben wird.

Das dritte Kapitel widme ich der Götterdämmerung. Hierauf wird der Schwerpunkt meiner Arbeit gelegt.

Ich beschreibe sowohl die Entstehungsgeschichte des Werkes, die landläufigen Interpretationen anhand von drei Wagner-Forschern, Donington, einem englischen Literaturwissenschaftler,

Borchmeyer und Hans Mayer, zwei deutschen Germanisten, Danielle Buschinger und Sune Claeson. Verständlicherweise kann nicht auf jede Interpretation eingegangen werden - das würde zu weit ausgreifen.

Ich werde mich der heutzutage meistverwendeten Interpretationsmethode bedienen, um dem Leser 6

einen guten Überblick darüber zu verschaffen, wie die Götterdämmerung normalerweise interpretiert wird.

Schließlich wird zum Zweck der Analyse auf die Götterdämmerung eingegangen.

Hier wird gezeigt, wo die Gedanken präsent sind, die vorher in der Arbeit beschrieben worden sind. Es geht also um eine Interpretation der Götterdämmerung, so wie sie hundertmal und auf hunderte Weise interpretiert und diskutiert worden ist. Allerdings wurde bisher dem buddhistischen Aspekt eine zu geringe Bedeutung beigemessen. Weil es der ursprünglichen Idee entspricht, wird das Werk

meistens aus dem sozialkritischen, antikapitalistischen Blickwinkel heraus verstanden - und zwar mit guten Gründen.

Mayer, Hans: Richard Wagner, Frankfurt am Main, 1998. S. 186-197.

(7)

Kapitel 1 - Buddhismus im 19. Jh.

Es ist kein Wunder, dass der Buddhismus eine Weltreligion geworden ist, versteht man die Legende vom Buddha als Ausdruck einer infolge der Ablehnung der Askese Verallgemeinerung

(Demokratisierung) des aus Indien stammenden, scheinbar esoterischen spirituellen Prozesses, der in 7

Richtung der so genannten „Erleuchterung’’ führt. Das Sanskrit-Wort Buddha bedeutet „einer, der 8

wach ist’’ und es soll nach mancher Interpretation verlauten, dass der historische Buddha, Siddharta Gautama, ein ganz gewöhnlicher Mensch gewesen sei, der aber in strahlenden Verhältnissen

aufgewachsen wäre, als Sohn eines Königs oder eines reichen Aristokraten. Wie es sich hier mit dem Quellenmaterial verhält, sei dahingestellt. Freilich verhält es sich hier ähnlich wie bei vielen

historischen Figuren, die Wahrheit scheint schwer zu erörtern und die verschiedenen Quellen liefern eine recht imponierende Bandbreite an Aussagen über die Geschichte des Buddhas.

Der Buddhismus ist als ein Lebensweg zu betrachten, dessen Ziel die Aufhebung des Leidens durch das Überwinden alles Begehrens und das Eingehen in das Nirwana (Verlöschen) ist. Weil man im Buddhismus an die Reinkarnation (Wiedergeburt) glaubt, ist das Eingehen in das Nirwana synonym mit einem Ausweg aus dem Kreislauf der Wiedergeburten, denn die Wiedergeburt, ob in eine gute oder schlechte Existenz, als Tier oder als Mensch, betrachten die Buddhisten als ein leidvolles und

deswegen unerwünschtes Ereignis.

Der Buddhismus kennt vier Wahrheiten, die als die „Vier edlen Wahrheiten’’ bekannt sind, die lauten wie folgt, ich zitiere hier Danielle Buschinger.

-Alles Dasein ist leidvoll.

-Ursache allen Leidens ist Ich-Sucht, Begierde und Anhaften.

-Nur durch das völlige Loslassen von Gier und Hass kan Leiden überwunden werden. Das Nirwana ist das Ende des Leidens.

-Zu diesem Ziel führt der sogenannte ’’Edle Achtfache Pfad’’, der Verhaltensregel wie beispielsweise ethisches Handel, Streben nach Wissen und Meditation einbegreift. 9

Mit indischer Literatur kamen die Europäer zuerst in Kontakt gegen Ende des 18. Jahrhunderts. Als wichtigste Voraussetzung galt die Eroberung Indiens durch Großbritannien, das schrittweise während des 18. Jh. durch Vereinbarungen mit lokalen Moghul-Fürsten seinen Einfluss auf der indischen

Buschinger, Durch Mitleid wissend, S. 11.

7

Pauling, Chris, Introduktion till buddhismen, Stockholm, 2000, S. 11.

8

Buschinger, Durch Mitleid wissend, S. 12.

(8)

Halbinsel vermehrt hatte, um schliesslich, im Laufe des nächsten Jahrhunderts, das ganze Land zu erobern und zu unterdrücken. Gegen Ende des ausgehenden 18. Jahrhunderts erschienen infolgedessen in Europa die ersten Übersetzungen von Sanskritliteratur, wovon vor allem das Epos Bhagavadgita in englischer Übersetzung dafür sorgte, dass immer mehr Leute sich für die indische Gedankenwelt interessiert hat. 10

Claeson schreibt:

„Eine gewisse Belesenheit in der indischen Literatur wurde bald zum festen Bestandteil der deutschen Bildungstradition, wovon z.B. ein Komponist wie Beethoven Zeugnis ablegt.’’ 11

Das Interesse für Indien lag folglich in der Zeit und es ist kein Wunder, dass Schopenhauers

Hauptwerk Die Welt als Wille und Vorstellung erst nach der Revolution 1848, und nicht zur Zeit seiner Erscheinung 1819, zu europaweiter Berühmtheit gelangt ist, hat man den Buddhismus doch

fälschlicherweise als eine pessimistische Religion erlebt . 12

Über diese Stimmung der Resignation und des Pessimismus, die sich viele intellektuelle Europäer nach der (scheinbar) gescheiterten Revolution 1848-1849 als leitendes Prinzip der Geschichte erwählten, schreibt Bengt Algot Sorensen in seiner Geschichte der deutschen Literatur 2.

Das den europäischen Realismus begleitende Zeitgefühl der Skepsis, Enttäuschung und Trauer lässt sich als eine verständliche Reaktion auf die gesellschaftlichen Umwälzungen und den Zerfall tradierter Normen und Werte verstehen. In Deutschland fand der Zweifel an der Fortschrittsideologie in der Philosophie Arthur Schopenhauers (1788-1860) einen extrem radikalen Ausdruck. Sein Hauptwerk Die Welt als Wille und Vorstellung, das bereits 1819 erschienen war, hatte in der Restaurationszeit wenig Beachtung gefunden. Erst nach 1848 - und bis um die Jahrhundertwende - wurde sein metaphysisch begründeter Pessimismus für viele Menschen zu einer Art Offenbarung der absoluten Wahrheit. 13

Das ist der Rahmen, in dem man sich zeitlich bewegen muss, um sich einen Überblick über die Vorstellungen zu verschaffen, die Wagner durch die Lektüre indischer Literatur zu eigen machte. Als er 1854 zum ersten Mal Schopenhauer liest, kennt er sich schon ziemlich gut in der orientalischen Literatur aus.

Suneson, Richard Wagner och den indiska tankevärlden, S.11.

10

Suneson, Richard Wagner och den indiska tankevärlden, S. 5.

11

Suneson, Richard Wagner och den indiska tankevärlden, S.27-28.

12

Sorensen, Bengt Algot, Geschichte der deutschen Literatur 2, München, 1997, S. 68

(9)

Danielle Buschinger zeigt in ihrem Buch Wagner und der Buddhismus, dass Wagner sich schon vor der Begegnung mit Schopenhauer mit dem Buddhismus auskannte. Seine letzte Ehefrau Cosima 14

Wagner wollte es in ihrem Tagebuch sogar so ausdrücken: obwohl Wagner ein „wirklicher Anhänger Schopenhauer’s’’ sei, könne er Schopenhauer „ebenso viel bringen … als dieser ihm.’’ . Es steht 15

zudem fest, dass Wagner sich die Freiheit genommen hat, die Fehler, die Schopenhauer in seinen Äusserungen über den Buddhismus gemacht hatte, zu korrigieren - auf eine sehr eigenartige Art und Weise, denn die Korrektur bedeutete, wie Carl Dahlhaus in seinem Essay „Über den Schluss der Götterdämmerung’’ bemerkt, nichts Geringeres als eine Verkehrung ins Gegenteil:

Es handelt sich nämlich darum, den von keinem Philosophen, namentlich auch von Schopenhauer nicht, erkannten Heilsweg zur vollkommenen Beruhigung des Willens (zum Leben) durch die Liebe, und zwar nicht einer abstrakten Menschenliebe, sondern der wirklich, aus dem Grunde der Geschlechtsliebe, d.h. der Neigung. zwischen Mann und Frau keimenden Liebe, nachzuweisen. 16

Wie hier deutlich zu sehen ist, hatte Wagner bereits seinen eigenen Ausgangspunkt in Bezug auf die Indologie, als er Die Welt als Wille und Vorstellung las. Um in die Lage einer selbständigen

indologischen Beurteilung von Schopenhauers Quellenmaterial zu kommen, musste er schon vor der Lektüre dieses Buches einige Kenntnisse im Feld der Indologie erworben haben. Schopenhauers weit vorgedrungenen Wissenstand im Feld der Indologie beschreibt Sune Claeson näher auf Seite 22 und 23 seiner Studie Richard Wagner och den indiska tankevärlden. Liest man diese lange Liste von Büchern und Studien, leuchtet einem sofort ein, dass Schopenhauer die Autorität auf diesem Gebiet gewesen sein musste.

Dass sich Wagner so gut in der Indologie auskannte, hängt, wie sowohl Sune Claeson als auch Danielle Buschinger in ihren Aufsätzen zeigen, mit der Bekanntschaft mit dem Indologen Hermann Brockhaus zusammen. Diesen hervorragenden Orientalisten, in diesem Wissenschaftszweig einen der Pioniere des 19. Jh. zusammen mit Berühmtheiten wie August Wilhelm Schlegel, hatte seine

Schwester Ottilie Wagner im Jahre 1836 geheiratet. Sie führten, wie es scheint, eine glückliche Ehe und Wagner fand bei ihnen einen Zufluchtsort. Von den unterhaltsamen und lehrhaften Gesprächen im Brockhaus-Haus berichtet er sowohl in seiner Biographie Mein Leben wie auch in zahlreichen

Briefen. Bei ihnen begegnet er auch Nietzsche zum ersten Mal, auf den Brockhaus übrigens auch 17

grossen Einfluss übte.

Buschinger, Durch Mitleid wissend, S. 24.

14

Gregor-Dellin, Martin und Mack, Dietrich (Hrsg.): Cosima Wagner - Die Tagebücher 1878-1883, Band 2,

15

München/Zürich 1977, S. 773.

„Über den Schluss der Götterdämmerung“. In: Dahlhaus, Carl (Hrsg.): Richard Wagner: Werk und Wirkung. 16

Regensburg, 1973, S. 111.

Buschinger, Durch Mitleid wissend, S. 22.

(10)

Kapitel 2 - Die Wibelungen,

Weltgeschichte aus der Sage

Um sich die Funktion des mythologischen Nibelungen-Stoffes in diesem von sozialkritischen Tendenzen durchaus durchzogenen Drama zu vergegenwärtigen, muss man einen Blick auf Wagners merkwürdigen Einfall im Sommer 1848, den Wibelungen-Aufsatz, werfen, denn aus diesem Aufsatz heraus lässt sich vieles erklären.

Wagner wollte eigentlich, wie er selbst am Anfang des Aufsatzes zusteht, ein Drama über Friedrich Rotbart, auch Friedrich Barbarossa genannt, den Kaiser des römisch-deutschen Reiches, schreiben. Schon 1846 hatte er sich die Arbeit vorgenommen, ohne sie zu beenden. Der Versuch, den Stoff zu eigen zu machen, veranlasste ihn zur Geschichtsforschung, und nun fiel ihm plötzlich, wie vom Donner getroffen, die Idee ein, Friedrich Barbarossa müsse doch eine geschichtliche Reinkarnation des altheidnischen Siegfrieds sein, der in der Nibelungen-Geschichte vorkommt.

Hier sieht man noch einmal, wie im vorigen Kapitel gezeigt worden ist, dass er schon zu diesem Zeitpunkt (1848) mit dem Begriff der Reinkarnation vertraut war. Darauf haben sowohl Danielle Buschinger wie auch Sune Claeson hingewiesen. Danielle Buschinger weist zudem darauf hin, 18 19

dass der Romantiker K.W. Göttling schon 1816 in einem Buch mit dem Titel Nibelungen und Gibelinen die Gibelinen und die Nibelungen gleichgesetzt hatte. Wagner kannte dieses Buch und hat also an einer schon vorhandenen These laboriert - und das Element der Reinkarnation hinzugefügt. Es gibt also durchaus Grund zu behaupten, dass er sich nicht nur in der indischen Gedankenwelt

ausgekannt hat, sondern dass schon zu dieser Zeit auch möglicherweise ein selbständiges Interesse vorhanden war.

Der erste Abschnitt des im Sommer 1848 entstandenen Wibelungen-Aufsatzes mit dem pompösen und vielversprechenden Titel „Weltgeschichte aus der Sage’’ behandelt die Idee eines angeblichen

Urkönigtums. Von diesem Urkönigtum, das nach Asien, in die „Urheimath der Menschen’’, verlegt wird, leitet sich die Geschichte der fränkischen Könige her.

Im folgenden Abschnitt wird Wagners Aufsatz Die Wibelungen, Weltgeschichte aus der Sage

vollständig analysiert. Ich werde in meiner Darstellung chronologisch verfahren, um dem Leser einen guten Einblick in die These des Aufsatzes zu bieten. Sämtliche bis zum dritten Kapitel auftauchenden Zitate sind dem Aufsatz direkt entnommen.

Buschinger, Durch Mitleid wissend, S. 26.

18

Sune Claeson hat auch in seiner Studie „Richard Wagner und die indische Gedankenwelt’’ auf die Tatsache

19

(11)

Fangen wir also von vorne an. Die These des Aufsatzes lautet wie folgt: Vom „höchsten Gebirge Asiens’’, dem sogenannten indischen Kaukasus, stammen alle die jetzigen Völker Asiens so wie die Völker, die nach Europa eingewandert seien. Zur Zeit der Sintflut, als „die nördliche Halbkugel unsrer Erde ungefähr so mit Wasser bedeckt war, wie es jetzt die Südliche ist’’, habe dieses Gebirge, dieser s.g. indische Kaukasus, eine eigene selbständige Insel ausgemacht. Hier sei der „Ursitz aller

Religionen, aller Sprachen, alles Königthumes dieser Völker’’ zu finden. 20

Das Urkönigtum bedeute zugleich das Patriarchat, weil der Vater natürlicherweise der Erzieher und Lehrer seiner Kinder gewesen sei - weshalb den Kindern die Lehre des Vaters wie die Gewalt und die Weisheit „eines höheren Wesens’’ vorgekommen sein müsste. Aus diesem Grund hätten sich mit der Zeit in der Vatergestalt die königliche und priesterliche Gewalt (Macht) vereinigt und dieses

Machtverhältnis sei auch dementsprechend allmählich angewachsen, als sich die Familie zum Stamm ausgedehnt habe. Der jeweilige Leiter des Stammes habe seine Autorität aus der Verwandtschaft zu dem ursprünglichen Stammvater hergeleitet, der, nun längst geschieden, beinahe wie ein Gott oder wenigstens die „irdische Wiedergeburt eines idealen Gottes’’, dem Volk (den MitgliederInnen des Stammes) erscheinen müsste.

Als nun die Zeit der Sintflut vorbei gewesen sei und die Gewässer zurückgetreten seien, habe sich die Bevölkerung dieser Insel auf die das Gebirge umgebenden Täler und getrockneten Ebenen verteilt. Ein Teil des Urstammes sei in Asien geblieben, während ein anderer Teil nach Westen, nach Europa ausgewandert sei.

Dem König sei jedoch die priesterliche Gewalt verloren gegangen, als die beschwerlichen Verhältnisse der raueren Gegenden und Klimata von Europa unter dem europäischen Nachwuchs immer mehr „das Gefühl und das Bewusstsein der Selbständigkeit des Einzelnen’’ hervorgebracht hätten, eine

Entwicklung, die zunächst in der Gemeinde zum Ausdruck gekommen sei, wo jedes Familienhaupt in ähnlicher Weise seine Macht über seine nächsten Angehörigen äusserte, als das Stammeshaupt einst über den ganzen Stamm. So sei das religiöse Element des Patriarchates verschwunden. Dem König blieb letztendlich nur die Funktion eines Vereinigungspunktes für alle Glieder des Stammes, denn „in ihm ersah man den Nachfolger des Urvaters der weit verzweigten Genossenschaft und in jedem Glied seiner Familie erkannte man am reinsten das Blut, dem das ganze Volk entsprossen.’’

Die bestehende königliche Gewalt, die Tatsache, dass eben diese Gewalt bei einem bestimmten

Geschlecht, hier sind die Hohenstaufen gemeint,- selbst bei tiefster Entartung desselben - eine so lange Zeit verblieben sei und einzig diesem Geschlecht zuerkannt worden, hätte seinen Grund darin, dass im Bewusstsein der Völker die Erinnerung an jene asiatische Urheimat, an die Entstehung der

Wagner, Richard (1848): „die Wibelungen, Weltgeschichte aus der Sage“, http://www.nibelungenrezeption.de/ 20

(12)

Völkerstämme aus der Familie, an die Macht des Hauptes der Familie, des „von den Göttern entsprossenen’’ Stammvaters geblieben worden sei. 21

Obwohl sich die Vorstellung dieses Machtverhältnisses mit der Zeit immer mehr verwischt habe, so sei „in dem Herzen des Volkes doch um so tiefer die Scheu und Ehrfurcht vor dem königlichen Stamme’’ geblieben. Dieser Satz ist zu betonen, denn diese Behauptung, dass das Volk sich der Urheimat und der dort geltenden Verhältnisse erinnern könne, macht den Kern dieses Aufsatzes aus. 22

Im nächsten Abschnitt folgt eine intensive Darlegung von Wagners Sicht auf den Mythos und dessen Rolle bei der Interpretation der Geschichte. Dieser Abschnitt ist besonders wichtig, wenn man den im Ring des Nibelungen zum Ausdruck kommenden geschichtskritischen Aspekt verstehen will. Bei der Interpretation der Götterdämmerung hat es hier mit einem der drei Schlüsselmomente des Aufsatzes zu tun, wie ich bald zeigen werde.

Die drei Schlüsselmomente des Aufsatzes - Die

Zweideutigkeit des Wissens - Der Nibelungenhort

und der religiöse Kern der „Stammsage’’

„Religion und Sage sind die ergebnisreichen Gestaltungen der Volksanschauung vom Wesen der Dinge und Menschen.’’ 23

Während der „gelehrte Geschichtsschreiber’’ sich nur an die „pragmatische Oberfläche’’ der Vorfälle halte und deshalb stets zu „willkürlicher, subjektiver Spekulation’’ hingetrieben werde, die Geschichte also nur aus ihrem „Auftreten in der nackten Geschichte, welche uns nur die Consequenzen ihrer wesenhaften Eigenthümlichkeit überliefert’’ erfasse, so meint es Wagner in Die Wibelungen, 24

Weltgeschichte aus der Sage, sei das Volk in seinem Dichten und Schaffen durchaus per se „genial und wahrhaftig’’, denn nur das Volk vermöge den Gegenstand seiner Arbeit mit „Geist und Herz’’ zu verstehen.

Den Kern dieser These macht die Behauptung aus, dass die Götter und Helden der Religion und der Sage die sinnlich erkennbaren „Persönlichkeiten’’ seien, in welchen der „Volksgeist’’ sich darzustellen vermöge. Bei aller Individualität dieser Persönlichkeiten seien sie von der allgemeinsten Art, weil jede

Wagner, „die Wibelungen, Weltgeschichte aus der Sage“, S. 1.

21

Wagner, „die Wibelungen, Weltgeschichte aus der Sage“, S. 3.

22

Wagner, „die Wibelungen, Weltgeschichte aus der Sage“, S. 5.

23

Wagner, „die Wibelungen, Weltgeschichte aus der Sage“, S. 3.

(13)

neue Richtung des „Volkswesens’’ in ihnen zum Ausdruck kämen. Deswegen seien sie allein imstande, diesem „Volkswesen’’ zu entsprechen. Alles, was von der trockenen Geschichtsbeschreibung

unbeachtet geblieben sei, sei dementsprechend vom Volk um so lebhafter aufgefasst und verbreitet worden. 25

Mithilfe der Nibelungensage und eben im Sinne der „Volksanschauung’’ könne man „heller’’ und „mit vollerem Herzen’’ in eine der einflussreichste Perioden weltgeschichtlicher Entwicklung und die Haupttriebfedern derselben blicken, „als unsere trockene Chronikengeschichte es uns je zu gewähren vermag’’, denn in der Nibelungensage lasse sich der Urkeim einer Pflanze auffinden, der die

naturgesetzlichen. Bedingungen, nach denen sich ihr Wachstum, ihre Blüte und ihr Tod gestalte, in sich erkennen lasse. 26

Ausgehend von dieser Überzeugung legt er seine Theorie zur geschichtlichen Bedeutsamkeit der Nibelungensage in Bezug auf das fränkische Königtum dar. Nachdem er im nächsten Abschnitt, auf den hier zum Zwecke dieser Erörterung nicht näher eingegangen werden muss , seine These zum 27

Ursprung und Bedeutung der um die kaiserliche Macht im mittelalterlichen Deutschland

konkurrierenden Gegenpartei der Wibelungen/Nibelungen (die Hohenstaufen), die Welfen, präsentiert hat, kommt das zweite Schlüsselmoment des Aufsatzes, das sich auf den Nibelungenhort bezieht.

Der Nibelungenhort

Ein ständig wiederkehrender Begriff in diesem Aufsatz ist „der Hort’’ oder der Nibelungenhort. Der Nibelungenhort erscheint in diesen Zusammenhängen als der „Inbegriff der Herrschergewalt’’ und wer ihn besitzt, ist oder wird „Nibelung’’. Alles kreist um den Hort, der als Symbol der irdischen Macht tief im Bewusstsein der vom indischen Kaukasus nach Europa eingewanderten Völker eingeprägt sein solle. 28

Chlojo oder Chlodio, der erste König der Franken sei, so meint Wagner, als der älteste Inhaber der Königlichen Gewalt, das heisst des Hortes der Nibelungen, zu betrachten. Weil er in seinen

Eroberungen mit römischen Legionen gekämpft habe, so vermutet Wagner, müsse er auch unter den Schätzen, der Kriegsbeute, die Machtzeichen römischer Imperatorengewalt gefunden haben. Diese Machtzeichen hätten der Stammsage vom Nibelungenhort neuen, frischen Stoff geliefert und somit hätte die königliche Gewalt wieder einen sicheren, realen und idealen Vereinigungspunkt erworben.

Wagner, „die Wibelungen, Weltgeschichte aus der Sage“, S. 6.

25

Wagner, „die Wibelungen, Weltgeschichte aus der Sage“, S. S. 7.

26

Wagner, „die Wibelungen, Weltgeschichte aus der Sage“, S. 7-8.

27

Wagner, „die Wibelungen, Weltgeschichte aus der Sage“, S. 8-9-10.

(14)

Man erinnere sich hier an den Satz, den ich im vorigen Stücke betont habe, dass es eine Vorstellung von der Urheimat und den dort geltenden Verhältnissen unter dem Volk gegeben haben solle, die niemals verschwunden sei. Dass diese Urvorstellung immer wieder an neuen Motiven klebt, ist enorm wichtig, wenn man den Ansatz dieses Aufsatzes verstehen möchte.

Zunächst trete Karl der Grosse in der Geschichte auf. In ihm sei das deutsche Urkönigtum einzig und allein erhalten worden. Dessen sei er sich natürlich auch bewusst gewesen und er habe daraus die Berechtigung seines Herrscheranspruches hergeleitet. Dieser Bestand habe sowohl ihn als die ihm verwandten Stämme zu dem Schluss geführt, dass sie, sowohl der König wie das Volk, weil der König und das Volk immer per se blutsverwandt seien, das älteste und unvergänglichste Stammgeschlecht des ganzen deutschen Volkes ausmache, weswegen nun eine Berechtigung zu dieser Annahme in ihrer Stammsage zu finden sei. Diese Behauptung untermauert die Vorstellung, dass jedes Volk, jedes 29

Geschlecht eine eigene Stammsage hätten, die von ihrem Ursprung erzählt.

In dieser Stammsage, die folglich die Nibelungensage sei, sei zudem ein innewohnender religiöser Kern zu erkennen.

Der religiöse Kern der Nibelungensage

In dem „erste(n) Natureindruck’’, das heisst, in den den (Ursprungs)Menschen unmittelbar umgebenden Naturerscheinungen („das Licht, der Tag, die Sonne’’), sei die „gemeinschaftliche Grundlage der Religion aller Völker’’ zu finden. Genau so wie alle Völker einst in der Urheimat residiert haben sollen, so seien laut dieser These alle Religionen einst eine und dieselbe gewesen. 30

Aus der Individualisierung dieser aus „allgemein sinnlichen Wahrnehmungen enstandenen Begriffe’’ (der wahrgenommenen Naturerscheinungen), die auch in Bezug auf den „besonderen Charakter’’ der Völker sehr aufklärend sein müsse, lasse sich die allmähliche Scheidung der Religionen erklären.

In der fränkischen Stammsage trete als der individualisierte Licht- oder Sonnengott Siegfried auf - dies sei die „ursprüngliche Bedeutung’’ von Siegfrieds Drachenkampf. Er zieht den Vergleich zum Python, dem, Wurm, der in der griechischen Mythologie von Apollon erschlagen wird. Apollon sei genau wie Siegfried als ein Licht- oder Sonnengott zu betrachten. Aber der Mythos wolle uns nicht nur zeigen, wie es einmal gewesen sei, sondern vollzieht auch die Funktion des Katharsis. So spiegele die Tat, der Kampf mit dem Drachen wie der Tod des Helden, den Wandel der menschlichen Gesinnung. 31

Wagner, „die Wibelungen, Weltgeschichte aus der Sage“, S. 10.

29

Wagner, „die Wibelungen, Weltgeschichte aus der Sage“, S. 10.

30

Wagner, „die Wibelungen, Weltgeschichte aus der Sage“, S. 11.

(15)

Wie nun der Tag endlich doch der Nacht wieder erliegt, wie der Sommer endlich doch dem Winter weichen muss, ist aber Siegfried endlich auch wieder erlegt worden; der Gott ward also Mensch, und als ein dahingeschiedener Mensch erfüllt er unser Gemüth mit neuer, gesteigerter Teilnahme, indem er, als ein Opfer seiner uns beseligenden That, namentlich auch das sittliche Motiv der Rache, d.h. das Verlangen nach Vergeltung seines Todes an seinem Mörder, somit nach Erneuerung seiner That, erregt. 32

Der religiöse Mythos diene als Beschreibung, Erklärung, als Darstellung letzen Endes der „ewigen Bewegung also des Lebens’’ . Von Nacht zu Tag, von Winter zu Sommer - entsprechend dem 33

rastlosen Trieben und Drängen des Menschen.Diese Bewegung des Lebens finde ihren Ausdruck im „Wuotan’’ oder Zeus, als dem „obersten Gotte, dem Vater und Durchdringen des All’s’’. Er sei doch keineswegs tatsächlich als ein geschichtlich älterer Gott zu betrachten, sondern „einem höheren erhöhteren Bewusstsein’’ der Menschen entsprungen. 34

Als Nächstes kommt Wagner auf den Hort zurück, den sich Siegfried, genau wie im Oper-Drama, mit dem Erschlagen des Drachen gewinnt. Der Besitz des Hortes ist aber zugleich der Grund seines Todes, denn das Erbe des Drachen wird immer danach streben, ihn wieder zu gewinnen. So strebt jedes neue Geschlecht den Hort zu gewinnen, sein innerstes Wesen treibt es wie mit Naturnotwendigkeit dazu an, wie der Tag stets von neuem die Nacht zu besiegen hat. Denn im Hort beruhe der Inbegriff aller irdischen Macht:

„er ist die Erde mit all’ ihrer Herrlichkeit selbst, die wir beim Anbruche des Tages, beim frohen Leuchten der Sonne als unser Eigenthum erkennen und geniessen, nachdem die Nacht verjagt, die ihre düsteren Drachenflügel über die reichen Schätze der Welt gespenstisch grauenhaft aus gebreitet hielt.’’ Der Hort ist nichts weniger als ein Symbol des Besitzes. Das Motiv des verfluchten Ringes lässt sich schon ahnen. Aus den Metallen lassen sich sowohl die Schätze des Goldes als die Waffen, die „Mittel, Herrschaft zu Gewinnen und sich ihrer zu versichern, so wie das Wahrzeichen der Herrschaft selbst’’ ableiten. Diesen Anspruch auf den Nibelungenhort mache der innerste Drang dieses Geschlechtes, also der Nibelungen-Franken, aus. Dieses Bewusstsein ihrer Herrschaftsberechtigung hätte Karl den Grossen, „zum wirklichen Besitze der Herrschaft über alle deutschen Völker gelangt’’, dazu gebracht, „sorgfältig alle Lieder der Stammsage’’ zu sammeln und aufzuschreiben. Durch diese Lieder der Stammsage wusste er nämlich den Volksglauben an die uralte Berechtigung seines Königsstammes zu befestigen.

In Karl dem Grossen sei der Mythos also realisiert worden und zu seinem Gipfel gelangt. Von da ab habe sich aber wegen seiner immer unfähiger gewordenen Nachkommen der reale Wert des Mythos

Wagner, „die Wibelungen, Weltgeschichte aus der Sage“, S. 10-11

32

Wagner, „die Wibelungen, Weltgeschichte aus der Sage“, S. 11.

(16)

immer mehr verflüchtigt, um vom idealen Gehalt desselben ersetzt zu werden. Für diesen idealen Gehalt des Hortes habe die katholische Kirche ihren Anspruch geltend gemacht.

Wagner erklärt diesen Umstand damit, dass, wie schon erwähnt, in der Urheimat einst die priesterliche und königliche Gewalt in dem Urvater ungetrennt sei. Nun sei es aber mit der Zeit zu einer Spaltung gekommen, die dazu geführt hätte, dass dem Urvater, dem Stammhaupt, diese Funktion verloren gegangen sei. Mit der Bekehrung zum Christentum sei diese ideale Funktion der Stammsage in die Kirche aufgegangen. Allerdings sei es nur die ursprüngliche Vorstellung von Wotan, die auf den christlichen Gott übertragen worden sei. Das Volk hätte nur einen Gott mit einem anderen vertauscht.

35

Dieser kurze Umriss des so genannten religiösen Kernes der Nibelungen-Sage ist wichtig, um zu erklären, warum es Wagner so natürlich zufiel, den buddhistischen Gedankenstoff zu eigen zu machen. Im letzten Abschnitt seines Aufsatzes spricht er vom Aufgehen des Hortes in einen idealen und realen Gehalt.

Aufgehen des idealen Inhaltes des Hortes in den

„heiligen Gral“

Wagner meint, dass Friedrich Barbarossa der „Vertreter des letzten geschlechtlichen

Urvölkerköngithumes’’ gewesen sei. Während des dritten Kreuzzuges habe es Friedrich Barbarossa, der „wunderbare Sagen’’ von einem Land im Osten gehört hätte, „unwiderstehlich’’ nach Asien gezogen: 36

Je mehr der Hort der Nibelungen an realem Wert verloren habe, umso mehr ging er in den heiligen Gral, in ihren idealen Gehalt also, auf. Dieser sei der Inbegriff alles Heiligen.

In Wahrheit tritt die Sage vom heiligen Gral bedeutungsvoll genug von da an in die Welt, als das Kaiserthum seine idealere Richtung gewann, somit der Hort der Nibelungen an realem Werthe immer mehr verlor, um einem geistigeren Gehalte Raum zu geben. Das geistige Aufgehen des Hortes in den Gral ward im deutschen Bewußtsein vollbracht, und der Gral, wenigstens in der Deutung, die ihm von deutschen Dichtern zu Theil ward, muß als der ideelle Vertreter und Nachfolger des Nibelungenhortes gelten; auch er stammte aus Asien, aus der Urheimath der Menschen; Gott hatte ihn den Menschen als Inbegriff alles Heiligen zugeführt. 37

Wagner, „die Wibelungen, Weltgeschichte aus der Sage“, S. 12-13-14.

35

Wagner, „die Wibelungen, Weltgeschichte aus der Sage“, S. 21.

36

Wagner, „die Wibelungen, Weltgeschichte aus der Sage“, S. 21-22.

(17)

Zum zweiten Mal taucht die Pflanze-Allegorie auf und hier zwar, um seine Sicht auf die Geschichte nochmals zu betonen.

Sehen wir nun überblicklich die uralte Nibelungensage wie einen geistigen Keim aus der ersten Naturanschauung eines ältesten Geschlechtes entwachsen, sehen wir, namentlich in der geschichtlichen Entwickelung der Sage, diesen Keim als kräftige Pflanze in immer realerem Boden gedeihen, so daß sie in Karl dem Großen ihre stämmigen Fasern tief in die wirkliche Erde zu treiben scheint, so sehen wir endlich im wîbelîngischen Kaiserthume Friedrich’s I. diese Pflanze ihre schöne Blume dem Lichte erschließen: mit ihm welkte die Blume; in seinem Enkel Friedrich II., dem geistreichsten aller Kaiser, verbreitete sich der wundervolle Duft der sterbenden wie ein wonniger Märchenrausch durch alle Welt im Abend- und Morgenlande, bis mit dem Enkel auch dieses letzten Kaisers, dem jugendlichen Konrad, der entlaubte, abgewelkte Stamm der Pflanze mit allen ihren Wurzeln und Fasern dem Boden entrissen und vertilgt wurde. 38

Geblieben sei dem Volk nur das Lied und die Sagen und genau deshalb leitet Wagner die Geschichte der Franken aus der Sage her.

Über den „realen Gehalt’’

„Der Hort der Nibelungen hatte sich in das Reich der Dichtung und der Idee verflüchtigt.’’ schreibt Wagner. Aber was wurde aus dem realen Gehalt des Hortes? 39

Die Reste dieses realen Gehaltes sei im realen Besitz zu finden, dem tatsächlichen Besitz, der, von dem Moment an, wo der Besitz erblich wurde, einen Process der Entwertung des Menschen eingeleitet habe, denn von jetzt an beziehe sich die Berechtigung an den Besitz nicht auf die Tugend einer Person, sondern nur auf den erblichen Besitz selbst.

Der Besitz sei zum Recht geworden. Diejenigen, die sich am Besitz beteiligten, seien die Stütze der öffentlichen Macht. Entartet der Hort, versunken das Volk, dem armen Volk bliebe nur das Lied. „Das „arme Volk“ sang, las und druckte mit der Zeit nun die Nibelungenlieder, sein einziges ihm verbliebenes Erbtheil vom Horte: nie hörte der Glaube an diesen auf; nur wußte man, daß er nicht mehr in der Welt sei ’’ 40

Das ist der Keim, dem der Ring des Nibelungen entsprungen ist. So konnte Wagner ziemlich verschiedene Ideen vereinbaren. Das Urteil, das man über diesen Aufsatz geben, so wie die

Wagner, „die Wibelungen, Weltgeschichte aus der Sage“, S. 22.

38

Wagner, „die Wibelungen, Weltgeschichte aus der Sage“, S. 22.

39

Wagner, „die Wibelungen, Weltgeschichte aus der Sage“, S. 24.

(18)

Bedeutung, die man ihm zumessen sollte, unterscheidet sich allerdings zwischen verschiedenen Forschern - je nachdem welchen Aspekt der Nibelungen-Dichtung man beleuchten möchte. 41

Kapitel 3 - Interpretation der

Götterdämmerung

Zur Interpretation der Götterdämmerung

Bei der Deutung der vielen Symbole und Elemente, die die Götterdämmerung durchziehen, lässt sich ohne weiteres die Frage stellen, wie eine Interpretation einer Oper überhaupt möglich sein kann, die auf angemessene Weise alle Einflüsse der Zeit sowie der Umgebung auf den Komponisten beachtet. Beachtet werden muss darüber hinaus auch die Tatsache der vielen Interpretationsmöglichkeiten, was die psychische Beschaffenheit der Genre angeht, hier bliebe das bei vielen Kritikern häufig

auftretenden Moment des freudigen Freudianischen Psychoanalysierens nicht unerwähnt.

Einer der vortrefflichsten Musikwissenschaftler, den die Welt je gekannt hat, ist Robert Donington. In seinem Buch Opera and it’s symbols schreibt er, dass es zwei Weisen gebe, auf die Symbole in einer 42

Oper auftauchen können.

Entweder erfolgen sie unüberlegt, als Ergebnis der dem Menschen angeborenen Disposition für allegorische Bilder - denn es liege nicht „in our nature’’, Bilder zu erfinden, die völlig bedeutungslos seien - oder sie sind aus einem Grund da. Ob fragmentarisch oder kohärent, trivial oder unablässig, irgendetwas wird sich immer finden dürfen, so gar in dem, was auf den ersten Blick nicht viel von sich sagen lässt. Noch besser lasse sich nach seiner Meinung interpretieren, wenn die Oper von einem „genius’’ kreiert wurde - denn der Künstler brauche nicht das Warum, sondern nur das Wie . 43

Genau dieses Wie kannte Wagner, als er angefangen hat, eine Oper zu komponieren - ob er sein Warum gekannt hat, ist, wie wir jetzt herausgefunden haben, viel fragwürdiger, zieht man seinen in den früheren Kapiteln dargelegten ideologischen und philosophischen Wandel in Betracht.

Die Frage erhebt sich alsbald, wie nun sich die Handlung der Götterdämmerung deuten lässt, ohne irgendwelche Tendenzen zu übersehen. Fangen wir also mit der ersten Szene des Werks an.

Zum Beispiel bin ich in dieser Arbeit auf Hans Mayers Interpretation eingegangen, die in seinem schon

41

erwähnten Buch über Richard Wagner dargelegt wird.

Donington, Robert (1990): Opera & its symbols The unity of words music & staging, Yale university press.

42

Dieser Satz vom renommierten R. Donington zeugt übrigens von dem in der Literaturwissenschaft

43

(19)

Die Nornenszene

An der Welt-Esche wob ich einst

da gross und stark dem Stamm entgrünte Weihlicher Äste Wald

im kühlen Schatten Rauscht' ein Quell Weisheit raunend rann sein Gewell’

Da sang ich heil’gen Sinn 44

Als der Vorhang aufgeht, gewahren wir die drei Nornen, deren Aufgabe es ist, durch ihr Spinnen über das Schicksal der Welt zu walten. Die Nornen werden auch früher im Ring des Nibelungen genannt. In der Walküre erwähnt Hunding die Nornen („die so leidig Los dir beschied, nicht liebte dich die

Norn’’ ) nachdem Siegmund Sieglinde und ihm seine Lebensgeschichte erzählt hat. 45

Es kommt einem so vor, als stünden die Nornen auf der Seite der Götter, der Obrigkeit also, gegen welche Siegmund aufbegehrt. Deswegen wird er, gerecht oder ungerecht, bestraft. In dieser Szene der Götterdämmerung spinnen und singen sie und festen das Seil an die Felsen und die Tannen, die sie umgeben. Man erfährt nun von der ersten Norn, dass die Nornen einst das Seil an die Welt-Esche gebunden haben, bis Wotan zu ihnen trat, um aus der Quelle zu trinken, die unter dieser Esche floss.

Ein kühner Gott trat zum Trunk an den Quell; seiner Augen eines zahlt’ er als ewigen Zoll. Von der Weltesche brach da Wotan einen Ast;

eines Speeres Schaft entschnitt der Starke dem Stamm 46

Lenninger, Sven (2005) (Hrsg.): Richard Wagner; Nibelungens Ring; Svensk och tysk text. Lund: Sven

44

Lenninger Förlag. S. 464.

Lenninger, Sven (2005): Richard Wagner; Nibelungens Ring, S. 160

45

Lenninger, Sven (2005): Richard Wagner; Nibelungens Ring, S. 464-466.

(20)

Er trank aus der Quelle der Weisheit und brach vom Baum einen Ast, mit dem er seinen Speer machte. Für den Trunk aus der Quelle gab er sein eines Auge als Pfand - im Zeichen der Tatsache, dass

Visionäre oft halblind sind, was Aussenbeziehungen betrifft. 47

Dieser Ast ist sein Speer, in das die Runen, die Gesetze eingeritzt sind. Die Konsequenz dieser gewagten Aktion ist das Verdorren des Baumes, wie wir zunächst erfahren.

In langer Zeiten Lauf zehrte die Wunde den Wald

falb fielen die Blätter, dürr darbte der Baum traurig versiegte des Quelles Trank

Trüben Sinnes ward mein Gesang 48

Es ist keine allzu gewagte Vermutung, dass das Motiv des Dialogs die Verletzung der Natur durch den Menschen ist. Am Anfang der Geschichte sang die Norn „heil’gen Sinn’’, am Ende der Geschichte weiss sie nicht „wie es wird’’. Diese Kränkung der Natur setzt folglich das Leid in die Welt. Aus dieser Vermutung heraus lässt sich die Schlussfolgerung ziehen, dass es um eine kausale Kette von Ereignissen geht, die mit dieser Verletzung der Weltesche ihren Anfang findet.

Die symbolische Handlung, die die Kränkung der Natur durch den Menschen zeigen soll, entspricht auch einem der Hauptargumente des Aufsatzes Die Wibelungen, Weltgeschichte aus der Sage, das davon handelt, dass der Nibelungenhort, die Schätze der Erde, in seiner Funktion als „Inbegriff aller irdischen Macht’’ die Erde selbst ist.

Denn bald daraufhin erzählt die zweite Norn, wie Wotan die Verträge in den Schaft des Speeres schnitt - Die Gründung einer gesellschaftlichen Ordnung, die Gesetze der Welt.

Diese Ordnung ist zugleich der Grund, warum Siegfried geboren wird und letztendlich den Speer zerschlägt. Wotan, der „unfreiste aller’’ , führt dadurch, dass er ein Geschlecht zeugt, das einen 49

eigenen freien Willen hat, seinen Untergang herbei, eines der Hauptmotive des Werkes. Als der Speer zerschlagen worden ist, heisst Wotan die gestorbenen Helden von Walhall die Weltesche aufzustocken und nach Walhall zu bringen. Diese Aktion hat, wie wir dem Text mit Leichtigkeit entnehmen können, die grauenhafte Folge, dass der Quell (der Weisheit), aus dem Wotan einst trank, um selber weise zu werden, versiegte.

Donington, Robert (1974): Wagner’s Ring and its symbols, Oxford, Alden & Mowbray Ltd. S. 219.

47

Lenninger, Sven (2005): Richard Wagner; Nibelungens Ring, S. 466.

48

Lenninger, Sven (2005): Richard Wagner; Nibelungens Ring, S. 200.

(21)

Treu berath'ner Verträge Runen schnitt Wotan in des Speeres Schaft: den hielt er als Haft der Welt.

Ein kühner Held zerhieb im Kampfe den Speer; in Trümmer sprang der Verträge heiliger Haft. Da hieß Wotan Walhalls Helden

der Weltesche welkes Geäst

mit dem Stamm in Stücke zu fällen: die Esche sank;

ewig versiegte der Quell.

Fess'le ich heut' an den scharfen Fels das Seil, singe, Schwester; dir werf' ich's zu:

weißt du, wie das wird? 50

Wir erfahren, dass Siegfried bereits Wotans Speer zerschlagen hat, Wotans Ordnung also komplett zugrunde gerichtet hat. Jetzt sitzen die Götter in Walhall und warten auf das Ende. Der Text ist bereits voller Paradoxien. Die „ewigen’’ Götter nahen ihrem Ende. Die „heilige’’ Sippe der Helden, die von Wotan und den Walküren gesammelt worden ist, um sie vor genau diesem Ende zu schützen, kann nichts tun als auf ihren unvermeidlichen Untergang zu warten.

Die Helden von Walhall werden nur versammelt, als sich Wotan schon seines unvermeidlichen Endes versichert hat. Sich krampfhaft an die Ordnung haltend,

Es ragt die Burg von Riesen gebaut: mit der Götter und Helden heiliger Sippe sitzt dort Wotan im Saal. 51

Das ist die Stimmung, in die die Zuschauer am Anfang der Oper hereingezogen werden.

Lenninger, Sven (2005): Richard Wagner; Nibelungens Ring, S. 466.

50

Lenninger, Sven (2005): Richard Wagner; Nibelungens Ring, S. 468.

(22)

Jetzt geschieht etwas Unvorhergesehenes. Das Seil der Nornen reisst. Bar ihrer Fähigkeit, in die Zukunft zu schauen, steigen sie hinab zu ihrer Mutter, Erda. Die Oper kann beginnen.

Siegfried und Gunther - In der Halle der Gibichungen

Um diese Szene zu deuten, bediene ich mich zweier Interpretationen, Doningtons und Hans Mayers. Donington hebt die Bedeutung des Dramas als Katharsis im Sinne Aristoteles vor; als die Funktion der Tragödie (the function of Tragic drama ). Die Identifikation mit Siegfried, dem Helden, der auf 52

einmal menschlich wird indem er einen Fehler macht, soll die Funktion der Tragödie verinnerlichen. 
 Mir schiene es jedoch noch sinnvoller, weiter in die Tiefe zu gehen, weil der Text viele Ebenen besitzen kann und das, was im Text behauptet wird, nicht immer das Hauptsächliche ist. So sind zum Beispiel die „ewigen’’ Götter ihrem Ende geweiht, die „heiligen’’ Helden können sie nicht schützen, und Wotan, der allwissende Allvater, ist nicht imstande, seinen eigenen Untergang zu verhindern. Deswegen darf man sich fragen, ob Siegfried wirklich ein Held ist, nur weil er als einer immer wieder gepriesen wird. Der wagnerische Held hat nämlich die seltsame Fähigkeit, dass er sein wahres Gesicht nur in seinem Handeln zeigt und nicht durch seine eigenen Worte oder durch den Lob, der ihm von der Umgebung her verkündet wird.

In meiner Analyse der Götterdämmerung ist dies einer der Hauptstreiche und ich habe, wie ich bereits gezeigt habe, zahlreiche Beweise in Form von Aussagen, Wagners eigenen Worten, und Notizen gefunden, die dies unterstützen. Auch bei einer buddhistischen Interpretation von der

Götterdämmerung ist dieser Aspekt äusserst relevant, denn, wie ich schon am Anfang dieser Arbeit erwähnt habe, schließt der für den Buddhismus entscheidend wichtige „edle achtfache Pfad’’, der in Richtung der „Erleuchtung’’ (Nirwana) führt, auch ethisches Handeln ein.

Fahren wir also mit der dritten Szene der Götterdämmerung fort. Siegfried ist in der Halle der Gibichungen angekommen, er befindet sich auf einer Reise in die Welt, um Ruhm und Ehre zu gewinnen. „Zu neuen Taten’’ heisst es im Text. Er hat Brünnhilde auf einem Felsen gelassen, die ihn 53

natürlich nicht hindern wollte, so gar ihn zu neuen Heldentaten aufgefordert hat.

Als er in die Halle der Gibichungen hereintritt, fällt er sofort einem Komplott zum Opfer. Schon vor seiner Ankunft haben Gunther, Hagen und Gutrune gegen ihn konspiriert, dass sie den Helden mithilfe eines Zaubertrunkes dazu bringen können, Gunther die begehrenswerte Walküre, die auf dem Felsen schläft, als Braut zu holen. Hagen, der trügerische, listige Sohn Alberichs, erzählt den anderen nicht, dass Siegfried Brünnhilde bereits erweckt hat.

Donington, Wagners Ring and its Symbols, S.225.

52

Lenninger, Sven (2005): Richard Wagner; Nibelungens Ring, S. 472.

(23)

Diese Idee gefällt sowohl Gunther, der eine Gemahlin sucht, und Gutrune, die einen geeigneten Mann heiraten will. Gunther und Gutrune nehmen folglich ein äusserst moralisch zweifelhaftes Angebot an, um Siegfried für ihre eigenen Zwecke schamlos auszunutzen. An den Zuschauern kann es also absolut nicht vorbeigehen, dass wir uns jetzt unter normalen Menschen befinden, in der korrupten, kalten und trügerischen Menschenwelt, wo jeder nur an seinen eigenen Vorteil denkt, genau so wie wir diese Welt aus unserem eigenen Alltag erkennen und wahrnehmen können. Dass die Oper in einer Gesellschaft spielt, lässt sich auch an der Tatsache erkennen, dass zum ersten Mal im Ring des Nibelungen ein Chor auftritt, der sozusagen die Ereignisse kommentiert.

Von dem Moment, in dem Siegfried in die Halle tritt und von Gunther warm willkommen geheissen wird, dauert es nicht lange bis er ahnungslos den ihm vorbereiteten Zaubertrunk trinkt, alles über Brünnhilde vergisst und sich in Gutrune verliebt. Er akzeptiert ohne weiteres die Vereinbarung, Brünnhilde, die er jetzt völlig vergessen hat, für Gunther zu gewinnen und sie ihm zu holen. Der Moment, in dem Siegfried den Zaubertrunk akzeptiert, ist einer der wichtigsten Momente der ganzen Tetralogie, denn hier zeigt sich der von Wagner, der steinhart an die Revolution und an deren Möglichkeiten einer Neugestaltung der gegenwärtigen Verhätnisse geglaubt hat, schmerzhaft erfahrene Illusionsbruch. Vollendet durch den Trauermarsch, der, wie Hans Mayer erörtert hat, von nichts

wenigeren als dem ganzen Drama handelt, gestaltet er auch „die dritte und letzte Phase des

Destruktionsthemas der Ringtetralogie’’ , die Selbstzerstörung. Ich werde am Ende dieses Kapitels 54

auf die verschiedenen Konzeptionsphasen der Ring-Dichtung zurückkommen.

Der Zuschauer erlebt folglich mit Wagner diesen Illusionsbruch, dem gleichzeitig mehrere Funktionen innewohnen, auf der dramentechnischen wie auf der philosophischen Ebene. Dramentechnisch vollzieht er die Funktion des Katharsis, wie in der griechischen Tragödie üblich. Philosophisch

vermittelt er Erfahrungen, die Wagner mit der gescheiterten Revolution 1848-1849 gemacht hat so wie die existenzphilosophisch erworbenen Einsichten in das „wahre Wesen der Welt’’ im Geiste

Schopenhauers und des Buddhismus.

Der Zaubertrunk ist ein bei Wagner in Tristan und Isolde wiederkehrendes Motiv; in sowohl der Götterdämmerung als auch Tristan und Isolde wird der Zaubertrunk dafür verwendet, um die wesentliche Substanz eines Charakters, wir könnten vielleicht vom „Unterbewussten’’ reden,

hervorzubringen. Wenn Tristan und Isolde den Liebestrunk trinken, kommen ihre wahren Gefühle an den Tag. Isolde hat schon davor erwähnt, dass sie Tristan einst gepflegt habe, obwohl er der Mörder ihres Verlobten, Morold, gewesen sei, weil sie sich in ihn verliebt habe. Der Liebestrunk erscheint also als Katalysator für aufdämmernde Gefühle oder wahre Veranlagungen. Der Zaubertrunk ist ein

Symbol für die Unfähigkeit des Einzelnen, über seine eigentliche Veranlagung zu gebieten, in

derselben Weise, in der der Mensch seiner selbst nicht Herr ist, wenn er sich zum Beispiel in jemanden verliebt. So interpretiere ich den Zaubertrunk in der Götterdämmerung.

Mayer, Richard Wagner, S. 181.

(24)

Wenn man also denjenigen Gedanken zu Ende führen würde, dass die Einnahme des Zaubertrunkes und deren Konsequenzen die Funktion des Katharsis verinnerlichen soll, so fände ich es 55

logischerweise sinnvoll, dass der Augenblick des Zaubertrunkes dem Dialog zwischen Brünnhilde und Wotan in der Walküre gegenüberstünde, der das Menschenwerden von Brünnhilde antizipiert. In diesem Dialog beauftragt Wotan Brünnhilde, Siegmund im Kampfe mit Hunding zu erschlagen, um ihn nach Walhall zu bringen . Den wichtigsten Unterschied zwischen diesen zwei Szenen finden wir 56

in der endgültigen Konsequenz der Handlung. Während Brünnhildes Menschenwerden, ihre berühmte Metamorphose, durch das Erlernen des Mitleids erfolgt, indem sie den leidenden Siegmund sieht, der lieber bei seiner geliebten Sieglinde bleibt, als ihr nach Walhall zu folgen, wo ihn zahllose

„Wunschmädchen’’ erwarten , erfolgt die Vermenschlichung Siegfrieds durch seinen egoistischen 57

Wunsch, Ruhm und Besitz zu erlangen.

Dieses Scheitern, das nur an seinem Egoismus, seiner Habgier, seinem blinden Willen zur Macht und zum Leben liegt, soll also die Funktion des Katharsis ausmachen - so können wir den Helden als Menschen erkennen und eine gewisse Sympathie erfinden, meint Donington. Ich behaupte hingegen, dass Brünnhildes Metamorphose das wesentliche erlösende Hauptmotiv des ganzen Dramas ausmacht, diese in der Walküre stattfindenden Metamorphose, die ihr der Blick auf Siegmund ermöglicht, dem alle Schätze und Reichtümer der Erde gleichgültig sind, dürfte er nur bei seiner Geliebten und bei deren ungeborenem Kind bleiben.

Siegmund ist der einzige Charakter im ganzen Ring-Drama, der von Anfang an den Weg des Mitleids wählt. Am Anfang der Walküre erzählt Siegmund im Hause von Hunding, wie er versuchte, einem kleinen Mädchen zu helfen, das gezwungen wurde, einen Mann zu heiraten, den sie nicht liebte. Er erzählt, wie ihm Leid und Not sein ganzes Leben zuteil war. Einer der Hauptzüge seines Charakters ist seine Fähigkeit, Sympathie für den Schwachen zu erfinden. Deshalb verliebt sich Sieglinde in ihn, die er schützt. Als Brünnhilde dies alles erkennt und versteht, wird sie zum Menschen, mit der

unvermeidlichen Konsequenz, ihre privilegierte Stellung als Walküre und bevorzugtes Kind Wotans zu verlieren.

Vergleichen wir also die zwei Metamorphosen, Brünnhildes und Siegfrieds, so können wir in ihrem Handeln die wesentliche Substanz ihrer Charakter erkennen.

Die damit einhergehende Selbstzerstörung erfolgt im Drama auf allen Ebenen. Bei der Einnahme des Zaubertrunkes für Siegfried; in der darauf folgenden Szene für Brünnhilde, die sich weigert, den Ring den Rheintöchtern wiederzugeben; so wie für Wotan, der die Weltesche aufgestockt hat, damit Walhall untergehen kann.

Katharsis hier im aristotelischen Sinne.

55

Lenninger, Sven (2005): Richard Wagner; Nibelungens Ring, S. 200-216.

56

Lenninger, Sven (2005): Richard Wagner; Nibelungens Ring, S. 224-236.

(25)

Denn zunächst sehen wir wieder Brünnhilde auf dem Felsen.

Brünnhilde auf dem Felsen, Gespräch mit Waltraute, Siegfrieds Trug

Am Anfang der Szene sehen wir Brünnhilde, auf dem Felsen sitzend, wo sie von Siegfried Abschied nahm. Siegfried liess ihr den Ring als Pfand seiner Liebe. Nun naht ihr Waltraute, ihre Schwester. Sie erzählt ihr vom jetzigen Zustand der Götter.

Seit er von dir geschieden,

zur Schlacht nicht mehr schickte uns Wotan: 58

Wotan hat aufgegeben. Er kann nichts mehr tun, um sich selbst und Walhall zu retten. Er sitzt auf seinem Thron, sagt nichts, bis Waltraute ihm schließlich die folgenden Worte auspresst.

des tiefen Rheines Töchtern gäbe den Ring sie wieder zurück, von des Fluches Last

erlös't wär Gott und Welt! 59

Es ergibt sich plötzlich eine Lösung, eine letzte, desperate Möglichkeit, die Welt zu retten und die bestehende Ordnung zu bewahren. Wenn das Gold ihren Weg in den Schoss der Natur wiederfindet, kann alles wieder zu ihrer alten Ordnung kehren.

Es versteht sich von selbst, nicht nur aus dramaturgischen Gründen, dass dies nicht geschehen kann. Brünnhilde weigert sich, den Ring den Rheintöchtern wiederzugeben, denn der Ring ist ihr ein Symbol von Siegfrieds Liebe. Es ist ihr Pfand, ihr Beweis, dass er sie liebt. In diesem Moment scheitert auch Brünnhilde an Egoismus und Habgier, aber aus einem vollkommen anderen Grund.

Denn selig aus ihm (dem Ring) leuchtet mir Siegfrieds Liebe, 60

Durch den egoistischen Wunsch, Siegfried für sich selbst zu behalten, verdinglicht im Gold des Ringes, erscheint, mit Carl Dahlhaus Worten , die Liebe zwischen Siegfried und Brünnhilde auch als 61

„blinder und zerstörender Wille in einer Welt der Qual und Verwirrung’’. Die Liebe ist mit der Übergabe des Ringes als Liebespfand durch Siegfried wörtlich zum Besitz geworden, zum starren

Lenninger, Sven (2005): Richard Wagner; Nibelungens Ring, S. 510.

58

Lenninger, Sven (2005): Richard Wagner; Nibelungens Ring, S. 514.

59

Lenninger, Sven (2005): Richard Wagner; Nibelungens Ring, S. 516.

60

Dahlhaus, „Über den Schluss der Götterdämmerung“, S. 104.

(26)

Metall. Das Leid, die unvermeidliche Konsequenz des Festhaltens an dem Ring, bleibt damit durch Ich-Sucht, Begierde und Anhaften, die drei Hauptelemente des Buddhismus, in der Welt.

Nachdem Waltraute von Brünnhilde geschieden ist, kommt Siegfried, der mithilfe des Tarnhelmes Gunthers Gestalt angenommen hat und nun, nachdem er den Zaubertrunk eingenommen hat, alles über Brünnhilde vergessen hat. Er reisst ihr den Ring vom Finger und zwingt sie, an seiner Seite die Nacht zu überstehen. Damit er nicht mit ihr schläft, legt er zwischen die beiden sein Schwert, Nothung.

Wieder in der Halle der Gibichungen

Jetzt haben wir den dramatischen Gipfel der Oper erreicht. Diese Szene ist der Hauptpunkt, der Kern der Tragödie. Wieder in der Halle bereitet man die Hochzeit vor. Zwei Hochzeiten finden am selben Tag statt: Die zwischen Gunther und Brünnhilde und die zwischen Siegfried und Gutrune. Brünnhilde weiss nicht, dass Siegfried da ist. Gunther leitet Brünnhilde an seiner Hand, welche „bleich und gesenkten Blickes ihm folgt’’. Als sie Siegfried erkennt, der sie fragend ansieht, gerät sie in einen nahezu traumatischen Schockzustand. Sie versteht dass Siegfried sie nicht mehr kennt.

Ihr wird übel, sie versteht nicht, was los ist, schwankt und fällt um. Als Siegfried ihr auf die Füsse hilft, erkennt sie plötzlich den Ring an seinem Finger, den er ihr ja entrissen hatte. Aber, sagt sie, den Ring hat ihr Gunther genommen. Den Ring empfing ich nicht von ihm, sagt Siegfried. Sie fordert Gunther auf, den Ring zurückzufordern, aber Gunther versteht nichts. Er weiss nichts von irgendeinem Ring. Jetzt versteht Brünnhilde, dass es Siegfried war, der sie zum Heirat mit Gunther gezwungen hat. Aber Siegfried besteht darauf, den Ring keinem Weib abgezwungen zu haben, es gehört ihm, und hat keinem anderen gehört. Jetzt trifft Brünnhilde die blinde Wut. Vor allen den in der Gibichungenhalle versammelten Männern und Frauen verkündet sie, dass sie schon mit Siegfried verheiratet ist.

Brünnhilde

Wisset denn Alle: nicht ihm, dem Manne dort bin ich vermählt. 62

Ohne zu wissen, dass sich Brünnhildes zornige Aussage auf ihr früheres Verhältnis bezieht, greift Siegfried sie Wütend an.

Siegfried

Nothung, das werthe Schwert,

Lenninger, Sven (2005): Richard Wagner; Nibelungens Ring, S. 552.

(27)

wahrte der Treue Eid: mich trennte seine Schärfe von diesem traur'gen Weib. 63

Nun kommt der dramatische Gipfel der ganzen Oper - der traurige Moment, in dem Brünnhilde schliesslich und unumkehrbar den Tod Siegfrieds herbeiführt. Sie erzählt, dass Siegfried doch mit ihr geschlafen habe („als die Traute sein Herr sich gefreit’’ ). 64

Grosse Aufregung folgt unter den Gibichungen. Der Chor, aus Männern und Frauen bestehend, fragt sich empört, ob Siegfried die Treue zu Gunther gebrochen hat. Siegfried wird aufgefordert, seine Ehre zu verteidigen. Um seine Treue zu wahren und um sich selbst zu behaupten, muss er nun einen Eid schwören, dass die gegen ihn erhobene Klage unwahr ist. Der listige Hagen tritt nun aus der Menge und bietet seinen Speer an. An Hagens Speerspitze schwören sowohl Siegfried als Brünnhilde einen Eid, dass sie die Wahrheit sprechen. Wenn Siegfried nicht die Wahrheit spricht, soll ihn die Spitze dieses Speeres treffen, damit er stirbt.

Sowohl Siegfried als Brünnhilde, die nun ihre mehr oder weniger cholerische Seite aufzeigt, sind nicht in der Lage, angemessen auf die Geschehnisse zu reagieren, obwohl Brünnhilde all ihr Wissen ihm zugewiesen hat. Gnadenlos fallen sie beide einem perfiden Komplott zum Opfer.

Nächste Szene: Brünnhilde, Hagen und Gunther

Brünnhilde steht vor sich selbst, in starrem Nachsinnen. Wo ist nun mein Wissen gegen diess Wirrsal? …

All' mein Wissen wies ich ihm zu! 65

Wieder fällt zum dritten Mal in diesem Akt das Wort „Wissen’’. Wissen soll hier als eine Fähigkeit verstanden werden, die richtige Handlungsalternative zu erkennen. Sehen wir dies vor dem Hintergrund des Schlussgesanges, in dem Brünnhilde feierlich verkündigt:

„Alles weiss ich!’’ 66

Lenninger, Sven (2005): Richard Wagner; Nibelungens Ring, S. 554.

63

Lenninger, Sven (2005): Richard Wagner; Nibelungens Ring, S. 554.

64

Lenninger, Sven (2005): Richard Wagner; Nibelungens Ring, S. 560.

65

Lenninger, Sven (2005): Richard Wagner; Nibelungens Ring, S. 606.

(28)

Ihr Wissen reicht aber zu diesem Zeitpunkt nicht aus, um der ihr entgegenkommenden Situation Herr zu werden. Sie ahnt zwar, dass etwas nicht stimmt, ist aber nicht imstande, die Kausalitäten zu gewahren. Verblendung und Anhaften haben ihr die klare Sicht auf die Ereignisse weggenommen. Nun tritt wieder der listige, trügerische Hagen auf, der seine grosse Chance sieht. Er bietet ihr an, sich an Siegfried zu rächen. Sie verrät ihm nun, dass man ihn nur in den Rücken schaden kann.

Gunther, Hagen und Brünnhilde einigen sich in dem Beschluss, sich an Siegfried zu rächen. Am folgenden Tag auf der Jagd soll es geschehen.

Letztes Kapitel: Tod und Ende der Tetralogie

Auf der Jagd verirrt sich Siegfried und trifft auf die drei Rheintöchter. Sie flehen ihn an, ihnen den Ring wiederzugeben. Als Siegfried ihn ihnen verweigert, warnen sie ihn vor dem auf dem Ring lastenden Fluch. Das Gespräch fängt lustig und spielerisch an, doch als die drei Rheintöchter verstehen, dass Siegfried tatsächlich nicht von dem Fluch weiss, wird es auf einmal ernst. Die Rheintöchter erzählen ihm jetzt, wie Alberich einst ihnen das Gold aus der Tiefe des Rheines gestohlen hat, um daraus den Ring zu schmieden. Als ihm der Ring sozusagen konfisziert wurde, hat er den Ring verflucht - Die Handlung vom Rheingold. Wegen dieses Fluches trifft jeden, der den Ring trägt, der Tod. Wenn er den Ring aber wiedergäbe, so wäre der Fluch gelöst. Siegfried hält aber fest an seinen Ring, zeigt uns noch einmal wie unsympathisch, egoistisch und arrogant er, scheinbar vom fluchenden Ringe angesteckt, tatsächlich ist. Er demonstriert seine vollkommene Arroganz gegenüber der weltlichen Ordnung so wie der Natur.

Als die Rheintöchter dies hören, schwinden sie aufgeregt in die Tiefe. Sie sehen sofort ein, dass Siegfried alles dem Ring aufgeopfert hat, genau so wie Wotan alles dem Ring aufzuopfern bereit war, als er sich im Rheingold bis ins letzte geweigert hat, den Ring den Riesen zu übergeben. Auf derselben Weise weigerte sich Brünnhilde, von Waltraute aufgefordert, den Rheintöchtern den Ring

wiederzugeben. Jeder, der den Ring in seiner Hand hält, geht seinem Untergang entgegen, und kann, obwohl sie dessen bewusst ist, nicht vom Ring ablassen.

Bald danach trifft die Jagdgesellschaft ein. Auf die Frage hin, ob Siegfried noch Vögelgesang verstünde, bietet sich Siegfried an, „Mären aus seinen jungen Tagen’’ zu erzählen. Als er ihnen übers Vöglein erzählt, das ihn vor Mime warnte und ihm bald danach von Brünnhilde erzählt hat, reicht ihm Hagen erneut sein Trinkhorn, in das er den „Saft eines Krautes’’ hineingeträufelt hat, der die Wirkung des Zaubertrankes aufhebt.

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Siegfried hat nun vor der vollzähligen Jagdgesellschaft seinen Treubruch verraten und wird von Hagen niedergestochen. Auf die erschrockenen Ausrufe der Männer, die fassungslos dem schändlichen Mord zusehen, antwortet Hagen stolz, dass er Meineid gerächt habe. Hagen hat zwar in den Augen des Zuschauers unmoralisch gehandelt, hat aber laut den Gesetzen und Normen der Gesellschaft nichts falsches gemacht. Siegfried hat ja einen Eid geschworen, den er gebrochen hat. Deshalb erscheint es eher der Logik des Werkes entsprechend, dass er infolgedessen sterben muss.

Der Trauermarsch und Brünnhildes Schlussgesang

Der Schlussgesang, als Brünnhildes Schlussgesang, oder Schlusstrophen bekannt, zeugt von der unfassbaren Vielfalt der Motive, die kreuz und queer durch das Drama laufen, von denen das buddhistische nur eines ist. Bis jetzt sollten in meiner Arbeit mit ausreichender Genauigkeit diese Motive und Tendenzen dargelegt worden sein.

In seinem Artikel „Über den Schluss der Götterdämmerung’’ schreibt Carl Dahlhaus. 67

Der Schluss von Siegfrieds Tod oder der Götterdämmerung, dem Wagner eine immer wieder andere Gestalt gab, zeigt die dramaturgische und gedankliche Zwiespältigkeit am deutlichsten. Und zwar waren es sowohl ästhetische und dramentechnische als auch politische und

philosophische Motive, die ineinandergriffen, um Veränderungen zu bewirken, die manchmal als Verkehrung ins Gegenteil erscheinen.

Nachdem er zugegeben hat, dass es eine ebenso verwirrende wie herausfordernde Aufgabe sei, allen diesen Veränderungen gerecht zu werden, geht er auf den nächstfolgenden 19 Seiten mit der

Pedanterie eines preussischen Chronikenschreibers an die Aufgabe, alle die sich gegenseitig überlagernden Tendenzen, die im Schlussgesang vorkommen zu beschreiben.

Ohne allzu gewaltig auf diese Zwiespältigkeit einzugehen, werden hier wie versprochen die drei Konzeptionsphasen kurz umgerissen. Verwenden wir also das minuziöse Produkt des ehrwürdigen Musikwissenschaftlers, um uns die Entstehungsgeschichte der Götterdämmerung zu

vergegenwärtigen.

Die Geschichte der Entstehung der Ring-Tetralogie setzt im unheilvollen Revolutionsjahr 1848 ein, zu einer Zeit, in der Wagner als Kapellmeister in Dresden arbeitete. Dort hatte er den Dichter und

Komponisten August Röckel kennen gelernt, der 1843 nach Dresden gekommen war und unter Richard Wagner am Hoftheater eine Stellung als Musikdirektor innehatte. Bald entstand zwischen den beiden Komponisten eine enge Freundschaft, die ihn zu politischem Theoretisieren inspirierte. Röckel war nämlich Anhänger der sozialistischen Bewegung , die sich von Paris aus verbreitete, und ein überzeugter Republikaner.

Dahlhaus, „Über den Schluss der Götterdämmerung“, S.97.

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Vor allem war es Michael Bakunin, ein einer alten russischen Adelsfamilie entstammender Anarchist, der ihn beeindruckte und in ihm das wilde anarchistische Feuer anzündete, das ihn in dichterischer Hinsicht dazu bewog, dem Ende vom Niebelungensage den Flair eines Weltuntergangs zu verleihen - ein nur in diesem Epos, unter den Opern Wagners, vorkommendes Motiv. Immer noch deutet Wagner diesen Untergang als etwas optimistisches, zukunftsfähiges. Das Motiv der untergehenden Welt stellt hier in einer früheren Entwicklungsphase des Wagnerischen Denkens einen wahlbaren, potentiellen Übergang dar - von einer „Welt der Verträge’’ in ein „Reich der Freiheit’’, der also tatsächlich möglich und somit als eine Art Optimismus zu verstehen sei. Das später auftretende Resignationsmotiv, das den Einfluss Schopenhauers unverkennbar aufzeigt, ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht sichtbar im Drama. Das „alte Recht’’ ist das Göttergesetz. Der „neue Inhalt’’ ist das „rein menschliche’’, verkörperlicht durch Siegfried und Brünnhilde.

Dies ist die erste Phase bei der Konzeption des Ring-Epos; Die Zerstörung der Welt um einer besseren Welt willen. Wie bereits beschrieben worden ist, zeigt sich hier der Einfluss Ludwig Feuerbachs, dessen religionspsychologischen Ideen bei der Verwendung der Götterwelt als Symbole von Autorität das ganze Drama untermauern. Diesen Gedankengang erkennen wir in zwei Varianten. Entweder in einer religionspsychologischen Variante, nach der Gott abgeschaffen wird, um den Menschen

psychologisch zu befreien, oder in einer politischen Variante, nach der die Götter nur ein Sinnbild der Bourgeoisie, der Obrigkeit, sind.

Hinzu kommt, dass der religionspsychologische und der politische Aspekt ineinander geflochten sind, so dass ein mythisches Paradox als Ausdruck eines politischen vorkommt: Der Monarch soll 68

herrschen, aber als Republikaner, weil er als erster die Ungerechtigkeit seines eigenen

Herrschersystems erkennen und deshalb seine eigene Selbstvernichtung herbeiführen wollen müsste. So kann er die deutschen Sagen und die deutschen Sozialisten gleichsam unter eine Hut bringen. Eines meiner früheren Kapitel widmete ich eine eingehende Beschreibung des Aufsatzes Die Wibelungen, Weltgeschichte aus der Sage, der den Stoff des Ring des Nibelungen ausmacht. Ein Abschnitt dieses Aufsatzes mit dem Titel „Ursprung und Entwicklung des Nibelungenmythos’’ ist um die These zentriert, dass Wotan (Zeus) den Völkern, deren Geschichte Wagner darzulegen glaubt, nicht ein tatsächlich älterer Gott ist, sondern dass er nur einem „erhöhteren Bewusstsein’’ der Menschen entsprungen ist. Gleichwohl wohnt also dem Mythos, mit dessen Hilfe man laut der These dieses Aufsatzes einzig und allein die Geschichte dieser Völker verstehen könne, ein echt religiöser Kern inne. Religiöse Vorstellungen so wie der Herrscheranspruch des „Stammvaters’’ seien also eng miteinander verbunden. Diese These dient mir als nützliche Erklärung des mythischen Paradoxes, das den Ring des Nibelungen zu untermauern scheint. Wotan kommt mir als sowohl ein mythisches als auch politisches Symbol der absoluten Autorität über die Menschen vor - diese Autorität muss, wie jede Autorität, die nicht gerechtfertigt werden kann, beseitigt werden.

Dahlhaus, „Über den Schluss der Götterdämmerung“, S. 100.

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