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In Deutschland erhielt man vom Persimfans zunächst

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Solcher ,,Kommunismus im Btihnengetriebe" wurde damals kurzerhand als,,Musikbolschewismus" bezerchnet. Dessen Gegner schimpften, ,,dofi unbedeutende Mimen und dilettan- tiscbe Mwsikmacber ibre Brotherren zu Brotknecbten md,- cben wollen" und hoben hervor: ,,Die schlimmste Verwir- rung haben die k,ommunistiscben lrrlehren wohl bei den ,ge- w erk,scb aftlich organisierten' Ch orsängern angericbtet"

denn die forderten gar einen gewissen Köndigungss chutz.

,,Musikbolschewismus" war seit 1919 das neue Zauber- wort des konservativen Bildungsbtirgertums, das sich rasch als Kampfbegriff insbesondere gegen die Neue Musik eta- blierte und eine zuyor unbekannre Politisierung des deut- schen Musiklebens einleitete. In der Phase seiner Enrsre- hung um 1920 wurde dieser Begriff - gelegenrlich zumAus- druck ,,Orchesterbolschewismus" mod rftztert - auch auf die beginnende gewerkschaftliche Organisation der Musiker an- gewendet. Gegentiber solchem deutschen Verständnis von ,,Orchesterbolschewismus" entstand wenige Jahre später in Moskau ein symphonisches Ensemble, das man tatsächlich als ,,revolutioniertes Orchester" bezeichnen konnte: das di- rigentenlose Persimfans.

In Deutschland erhielt man vom Persimfans zunächst

vor allem durch jene Krinstler Kenntnis, die von Konzert- reisen aus Sowjetru{3land zurickkehrten. E,in besonderer Stellenwert kam hierbei den direkten Erfahrungsberichten von Musikern zu, etwa den begeisterten ÄufJerungen von

E gon Petri, der wiederholt als Solist mit Persimfans konzer- tiert hatte. (Zur fnihen Rezeption des Moskauer Persimfans

in Deutschland vgl. Das Orchester 11/97.) 1927 bewirkren

die zahlreichen Artikel tiber das ftinfjährige Bestehen des Persimfans, da{3 das Orchester nunmehr auch im Ausland einen kräftigen Publizitätsschub erlangte und die Diskus- sion riber die Möglichkeiten dirigentenloser Orchesrerarbeit

zunehmend auch aul3erhalb Ruf3lands gefrihrt wurde. Die deutsche Diskussion tiber ein dirigentenloses Orchesrer er- hielt ungeheuren Aufschwung, als 1928 das Lerpzi*er Sym- phonieorchester erstmals ohne Dirigent auft rat.

Das erste Ko nzert in Deutsch land ohne Dirigent

Der Letpziger Versuch war direkt vom Moskauer Vorbild inspiriert. Programmatisch kam dies bereits bei der Pro- grammgestaltung des ersten Konzerts zlJm Ausdruck. Als das Letpzrser Sinfonieorchesrer am 30. April 1928 in der Al-

berthalle erstmals ohne Dirigenr an die musikalische öffenr- lichkeit trat, wählte man dafir die gleichen Stticke aus) mit denen schon das Moskauer Persimfans im Feb ruar 1922 be- gonnen hatte. Dargeboten wurden ausschliefilich \Merke Beethovens: die Egmonl-Ouverrtire, das Violinkonzert (mit Gustav Havemann als Solist) und die Eroica. Die Kritiker

zetgten sich begeistert, vor allem von der 3. Sinfonie: ,,Wie ein Mann setzt das gd,nze Orchester mit den beiden An- fangs-Tuttiakkorden der ,Eroica' ein. Im weiteren Verlawf

uollzieben sicb alle Tempooeränderungen mit einer Rei- bungslosigk,eit, erfolgt jeder Wechsel der Dynamik mit einer Selbstuerständlichkeit, doll md,n bei diesem fiihrerlosen wnd

docb so disziplinierten Musizieren wirklicb den Eindruck ei-

ner in höhere Potenz gehobenen Kammermusik, hat. Am ilberzewgendsten nach dieser Ricbtung wirkte der dritte Satz

in der Gegeniiberstellunguon Scberzo und Trio und das Fi- nale mit seinen drei cerschiedenen Zeitmaflen und den durcb die zahlreichen Fermaten bedingten (Jnterbrecbungen des mwsikalisch en Flufl es. " (M rlos)3

§flährend der Melos-Kritiker iedoch gewisse Interpreta- tionsmängel im 2. Satz monie rte, war Åf..d Heufi i" der Zeitscbrift fa, Musik gerade mit dieser Interpreration hoch zufneden, erläuterte die Vo rzige en detail und restimmierte:

,,Dds Lerpziger Sinfonieorcbester hat den Beweis geliefert,

doll es möglich ist, Werke der Wiener Klassiker ohne Diri-

genten duf hochstebende Weise sowie in getrewerer Uber- einstimmung mit den Vorscbriften des Awtors zum Vortrag zu bring€n, als es im Ganzen der Fall ist." Das hohe musika- lische Niveau des Letpzrser Ko nzerts fand allgemeine Aner- kennung und Heuf3 bemerkte: ,,Gerudezu verbltiffend war die Klarheit in der Stimmenfhhrwng, die nichts zu wiinscben

ilbrig lie/3 und manches iibertraf, wd,s md,n unter bedewten- den Dirigenten ltören kann."

Auch dte Kölnische Zeitung schwärmre: ,,Als das Wwn- derbarste und cielleicbt Charakteristische des dirigentenlo- sen Spiels lerwies sich) ein klanglicl,tes, mwsik,antiscbes Leben, wie es sicb nur wnter besonders gearteten Dirigenten (wie z. B.

I{ikisch einer war) entwickeln k,ann. Es ist das ideale Mwsi- zieren eines riesigen Kammermusik-Ensembles, in dem jeder einzelne mitverantwortlicb fA, das Ganze ist." Hier wurde auch auf den besonderen, durch die veränderte Orchesrer- aufstellung erzielten Klang aufmerksam gemacht: , So ergibt sicb nicbt nur eine engste Fiiblwngnabme des einzelnen mit dem Ganzen, sondern auch ein uoller, rwnder Klang, der mitwnter wie d,us einem groflen, registerreichen Instrument zu kommen scheint."

Die Lerpzrser Premiere gestaltete sich ftir das Orchesrer rundum alrErfolg, dem die kritiker eine grunds *zliche) ztr- kunftsweisende Berechtigung einräumren:,, Der Erfolg war iiberraschend, so iiberrascbend, doll md,n nicbt im Zuteifel wd,r, hier handle es sicb um eine neue wnd k,iinstlerisch be- rechtigte Art des Orchesterspiels," (Kölniscbe Zeitung) ,, Das Experiment ist sogar ilberrascbend gut gelwngen, wnd jeder, ob er will oder nicht, bat sicb iiber diese neue Art des Orcbester- vortrags seine Gedank,en zu md,clten." (Zeitschrift fA, Musik)

Kammermusik als Vorbild

fu r Orchestermu sizieren

Erstaunlich positiv fiel die Reson anz auf dieses ersre dirigen- tenlose Konzert des Leipziger Sinfonieorchesters aus . Daran anknripfend meldete sich von den Orchesrermitgliedern selbst insbesondere der Geiger Alfred Malige zu Wort und bemrihte sich vielfältig, Motivarion und Arbeitsweise der Letpziser Musiker dem deutschen Publikum nahezubringen.

Malige war der Initiator des Letpztser Projekts, und er er- läuterte, da{3 das Letpztser Sinfonieorchester nicht ,,ftihrer- los" agiere, sondern dafi die ktinstlerische Leitung wie auch beim Moskauer Vorbild Persimfans - in den Händen

12 Das Oncussrun 1/98

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eines speziell daför verantwortlichen Ausschusses liege, des- sen ästhetische Leitlinie darin bestehe, die aufgeftihrten

\Werke streng nach den Vorgaben und Auffassungen der Komponisten zu interpretieren. Der kunstlerische Yorzug der Arbeit ohne Dirigent bestehe in der exakten \Werktreue;

ermöglicht werde diese durch die direkte musikalische Ver- antwortung jedes Instrumentalisten und - damit einherge-

hend - durch die Reaktivierung des kreativen Potentials der einzelnen Musiker. In Anlehnung an die Ideen Lew Zeitlins war auch ftir die Leipzrger die Kammermusik Ausgangs-

punkt der dirigentenlosen Arbeit: ,, Das Spielen ohne Diri-

gent ist 1...1 gorz einfach ein erweitertes Kammermusikspiel,

[...] Wäbrend beim Streichquartett noch die Möglicbkeit ei- ner tecbniscben wnd geistigen Filhrung durch einen einzel- nen Instrumentalisten - den 1. Violinisten - besteht, verrin-

gert sich diese bei gröllerer zahlenmälliger Stärk,e der Spiel- gemeinschaft Zwar bleibt beim dirigentenlosen Spiel der Konzertmeister ebenfalls der Mittelpwnkt, er teih sich jedocb

in der Filbrung des Ganzen mit anderen Instrumentalisten.

Uber die Verteilung der Fiihrwng bestimmt das zu spielende Werk, selbst."

Malige beschrieb die Vorgehensweise der Letpztqer an- hand konkreter Beispiele aus der Eroica, erläuterte Grund-

getan: ,,Als Hauptwerk, war dieses Mal Mozarts Jupiter-Sin- fonie gewäbb; icb gestehe, gerade den langsamen Satz k,aum jemals so schön und rein gehört zw baben, desgleicben aucb das Menwett. Im zw schnell gegebenen letzten Satz t.. ] gdb

es einige Unklarbeiten, und nicht so recbt befriedigte, wenig- stens teilweise, das Meistersingervorspiel, vielleicht die Folge

der bis zur Uberspdnnung gehenden Aufmerk,samkeit bei

der Begleitung von Scbumanns Klavierk,onzert, die denn awch tadellos gelang, was natilrlich auch ein Verdienst des

iiberlegen spielenden Max Pauer wd,r. Vorziiglicb gelang die eingangs ge spiehe Ob eron-O wo erture. "

I

Kunst oder Bolschewismus?

Ebenfalls Ende September 1928, als die Nachricht vom er- folgreichen zweiten Auftritt ohne Dirigent auch durch die Berlin er Tagespresse ging, hatte die dortige Volksbuhne das sächsische Sinfonieorchester ohne Dirigent zur Eröffnung ihrer \Wintersaison nach Berlin engagi ert. Im Theater am Btilow plav wiederholten die Le rpziger Musik er zvsammen

mit Gustav Havemann das Beethovenprogramm, ernteten erneut verbltifften Beifall, machten in der Hauptstadt jedoch zuglerch eine grunds*zhch neue Erfahrung: ,,Dds dirigen- prinzipien des dirigenten-

losen Orchesterspiels - z.B.:

,, MAn kann es als Regel be- zeicbnen, dofi, soweit eine Filbrung notwendig ist, die- se stets bei dem fhbrenden Melodieinstrwment liegt" -

und ging weiterföhrend auf

Ausnahmen von solcher Regel und andere Beson- derheiten ein. Als wesent-

liches Merkmal der diri-

gentenlosen Arbeit charak-

terisierte er die immense

Rolle musikalischen Hö-

rens : ,, Die Grundlage des

dirigentenlosen Spiels ist

das Hören. Hier zeigt sicb lllustration zu einer Kritik des Berliner Konzerts im September 192g

der wesentliche Unter-

schied der beiden Spielarten, aws dern sich alles andere er- tenlose Spielstiefl bierfast dwrcbwegs awf politiscb eingestell-

gibt. Ohne genaues Hören aller mithlingenden Stintnren ist te Kritih,en" resrimmierte die Zeitschrift filr Mwsih, während

das Zwsammenspielen awcb nwr eines Abbordes obne Diri- in der gesamten Leipziger Kritik ,,dieses ganz wnhiinstleri- genten nicht denhbar. Dieses genaue Hören fiihrt zw einer scbe Moment gar h,eine Rolle" gespielt habe. Erneut betonte eingehenden Kenntnis des ganzen Werbeq die wieder das das Blatt, die Frage des dirigentenlosen Spiels hat ,,fiir wns völlige Erfassen seines Inhaltes ermöglicht.1...1Eine erhöhte gar k,einen politischen Beigeschnrach". Es ist schon bemer- Intensität der Interpretation mu{l die Folge sein." kenswert, dafi ausgerechnet Alfred Heufl, der stets zt den

Vom Erfolg ihres ersten Konzerts ohne Dirigent beflti- ersten gehörte, wenn irgendwo im Lande vermeintliche Fälle gelt, bereiteten die Leipziger Musiker weitere Auftritte ftir von ,,Musikbolschewismus" anarprangern waren, hier als die Konzerts aison 1928/29 vor und wurden zugleich ftir ein Protektor auftrat gegentiber Stimmen, die den sonst auch Gastspiel nach Berlin verpflichtet. Im September 1928bot ihm geläufigen Tonfall anschlugen: ,diese bolscbewistische das Orchester in seinem zweiten dirigentenlosen Konzert Errwngenscboft" - wetterte beispielsweise die Allgemeine

mit §Terken von Mozart, Schumann und \Tagner erneut Mwsihzeitwng - sei ,,nicht aws irgendwelchen kiinstleriscben Marksteine des sinfonischen Repertoires, und erneut waren Bedilrfnissen erwacbsen, sondern aws der Awsdehnung poli-

selbst Blätter wie die konservative Zeitscbrift fiir Mwsih, an- tisch wnd sozial repolwtionärer Begriffe awf ein völlig ande-

Dröeftcr o$ne 0irigem{esr.

Ole f,eipalgct §tnfonilcr im Sotf stheofcr.

Dns Oncur,srEn 1/98 13

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res Gebiet": ,,Persimfans [ist] nichts anderes, als eine grolle Reklame frir die Idee des Kommunismus. Mit Kunst 1...) bat die Sache nicht mehr zu tun als irgend eine Propagandarede eine s b olsch ew istis cb en Agitators. "

Solche Töne hatten die Re zeptton des Moskauer dirigen- tenlosen Orchesters in Deutschland bereits von Anfan g an begleitet, und sie blieben nun auch den Lerpzrser Musikern nicht erspart. Diese waren jedoch sehr darauf bedacht, ihr Projekt als dezidiert unpolitisch darzustellen: ,, (Jnsere Be- strebwngen sind unpolitisch. Wir macben k,eine politische Mwsik t...1 Wir sind nicht fA, musikalisch-politiscbe Partei- kampfe, Wir sind Mwsik,er. Interpreten der absolutesten Kunst. Wir wollen zeigen, led,s der Orchester-Musiker zum Gelingen des Werkes beitrcigt. Wir wollen die Wiedergeburt des Orchester-Mwsik,ers als eines nachscbaffenden Kiinstlers, nicbt als eines tecbniscben Handwerkers, wir kampfen also

fLr die Persönlicbkeit, gegen die Mecbanisierung, und wir wollen, do/J der Orcbester-Musiker als

kiinstlerische Persönlichkeit wieder ge-

wiirdigt werde,"

Die demonstrativ unpolitische Selbst- darstellung, eine Reaktion auf die massi-

ve Hetze gegen sogenannten ,,Musik- bolschewismus", ist zugleich ein an- schauliches Spiegelbild daftir, wie wirk- sam und verbreitet diese Politisierung von rechts längst vor 1933 in der deut-

schen Musiköffentlichkeit verankert

war. Demgegenriber zogen sich die Lerpztger Musiker hierin von ihrem Moskauer Vorbild Persimfans abwei-

chend auf einen rein sachbezogenen

Standpunkt zurick und betonten die musikalischen Aspekte un dYorz.ig. der

von ihnen angestrebten Emanzipation des Orchestermusikers: es gelte, die

,, selbstschopferiscben Kräfte des einzel- nen Mwsikers" wiederzugewinnen, die in der gängigen Orchesterpraxis unter Di-

rigenten verloren gegangen wären. Notwendig sei ein neues Selbstbewufltsein der Orchestermusiker gegen die ,, vollstoin- dige, bedingungslo se (Jnterruerfwng unter Taktstock, und die Persönlichkeit des Dirigenten" und den ,,Drill zu dieser völ- ligen [Jnterordnung" (Alfred Malige).

Diesem Emanzipationsbedurfnis der Musiker korre- spondierte in der musikalischen Öfferrtlichkeit ein verbreite- tes Ressentiment gegentiber dem ,,Gröflenwabn" des ,,nicbt genug zu bekämpfenden Typ des Dirigenten-Stars" (Melos).

Dabei waren nicht nur Vorbehalte gegen ein ,, höchst unge- swndes wnd teilweise recbt fragwiirdiges Pwlt-Akrobaten- tum" (Pwlt und Taktstock) oder gegen das ,,Primadonnen- tum der Dirigenten unserer Zeit" (Karl Schönewolf) wirk-

sam, sondern auch \X/iderstände gegen die Ub ert;ragung von Kasernenhofmentalität au{ orches trale Klangkörper: ein Di- rigent ,,darf sich heute einer diktatoriscben Macht erfrewen,

fa, deren militärisches Geproige der ,Generals'-Titel als pas- sendes Korrelat gefunden werden muflte" (Melos). Demge-

gentiber sei beim dirigentenlosen Orchester ,, das Fiibrerpro- blem" anders gelösq nämlich ,,nicht im Sinne eines mwsika- lischen Kadaoergehorsams" (4. Malige). Selbst die Zeit- scbrift fA, Mwsik, äu8erte Ablehnung gegenriber einer ,,Zeit der mafllosen Dirigenteniiberscbätzwng" . In dieser Konstel- lation ist wohl ein wesentlicher Grund dafrir zu sehen, da8 die Leipziger dirigentenlosen Konzerte auf so riberraschend wohlwollende Reson anz stie8en, selbst in konservativsten Kreisen, und zugleich eine erstaunlich breite Grund saude- batte riber die Möglichkeiten dirigentenloser Orchester aus- lösten.

Neue Chance werkgetreuer I nterpretation

Bei aller Heterogenität der Stimmen lassen sich hierbei die Argumentationsmuster auf folgende Grundlinien reduzre- ren. Die Gegner machten immer wieder geltend, da{3 ein Or- chester ohne Dirigent bestenfalls eine mechanisch-maschinelle Perfektion er- reichen könne, der die ktinstlerische In- spiration fehle. Denn eine befriedigende Interpretation bedrirfe dem ästhetischen Empfindungsvermögen von einzelnen Spezialisten, und die autoritative Ftih- rung eines Orchesters sei hierbei unum- gänglich. Dirigentenlose Orchester seien

entweder Etikettenschwindel (da der Konzertmeister angeblich die Dirigen- tenfunktion tibernehme) oder ein Rtick- fall in längst veraltete und tiberholte Zu- stände. Aufjerdem sei ein solches Or-

chester im Musikbetrieb aufgrund um- fangreicherer Probenarbeit ohnehin nicht lebensfähig. Die Befrirworter indes hielten dem Vorwurf einer mechanisch- maschinellen Interpretation die eigene Konze rterfahrung entgegen und unter- strichen, da{3 sich die Interpretation durch dezidterte \Merktreue aLtszerchne.

§fleder sei der Probenaufwand nach einer ersren Phase grunds åtzhch neuer Arbeitserfahrung - unverhältnismäBig hoch, noch fungiere der Konzertmeister als heimlicher Diri-

gent, vielmehr handle es sich bgim dirigentenlosen Spiel um eine Wiederherstellung des ,, ursprilnglich en kollektiven Prinzip s gemeinsch aftlicb en M usizierens" (Alfred Malige).

Grund silzliche Einigkeit herrschte bei Befurworrern wie Gegnern hinsichtlich des groflen erzieherischen \Wertes diri-

gentenloser Arbeit und der positiven Auswirkungen auf das musikalische Niveau des Orchesters: \Was die einen als §[ie- dergewinnung der Kreativität des Orchesrermusikers ideali- sierten , galt den anderen als begniflenswerte freiwillige Un- terwerfung und Selbstdisziplinierung .Trotz solcher - wenn- gleich zwiespältiger Ube.einkrinfte und der ersraunlich positiven Resonanz auf das Lerpzrger Projekt hatten die dortigen dirigentenlosen Konze rte jedoch in der Praxis kei- nen langen Bestand: Nach dem vierten Auftri tt, am 29. Aprrl

1,929, folgte kein weiteres Konzert ohne Dirigent.

V O L K S I} t] H N E E.V

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Sonntag, den 50. Septenrher' 1928 vornrittags trz l2 [,hr

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Das

Leipzi ger Sin fonie- Orchester olrne Dirigenten

V i o I i n e : Professor (iustur. llavernanrr EA

14 Des OncHrsrEn 1/98

(5)

Das E nde der d i rigenten losen Ko nzerte in Lei pzig

Ein kurzlebiges Dasein fristeten auch vergleichbare Orche- ster-Initiativen in New York, tMtirzburg, Karlsbad, Genf,

\Warschau, Kiew und weiteren Städten der Sowjetunion.

Selbst das Moskauer Persimfans mu{3te 1933, nach riber zehnJahren, aufgeben. Dieses Scheitern wird normalerweise

- also in der riblichen Dirigentenhistoriographie - lediglich

als zus atzhches Argument ftir eine von der geschichtlichen

Entwicklung diktierte, musikalische Naturnotwendigkeit

des Dirigenten interpretiert. Genau besehen jedoch scheiter- ten diese Versuche nicht aus krinstlerischen, sondern aus au{Sermusikalischen Grrinden. Varen es in Moskau die kul- turpolitischen Konstellationen des zunehmenden Stalinis- mus, die dem Persimfans nach riber zehnJahren den Garaus machten, so hingen die Grtinde frir die Einstellung der diri-

gentenlosen Konzerte in Lerpzrg in erster Linie mit den in- stitutionellen Bedingungen des Leipztger Klangkörpers zu- sammen. Die Proben frir die Konzerte ohne Dirigent mu{3- ten die Leipztser Musiker au8erhalb ihrer normalen Dienst- zett leisten. Der Erlös aus dieser unbezahlten Arbeit sollte der E,inrichtung einer eigenen Pensionskasse zugute kom- men. Hierftir sank die Motivation beträchtlich, als sich die- ses Ziel nicht realisieren lie{3, zumalhrnzu kam, da{3 das Or-

chester einer starken Fluktuation unterworfen war, da es sei- nen Musikern lediglich Einjahresverträge bieten konnte und Ktindigungen an der Tagesordnung waren. Auflerdem haben auch konservative Musikermentahtäten, die ein solches Pro- jekt ablehnten, eine nicht unwesentliche Rolle gespielt. Sol- che Stimmen hatte es auch unter den Lerpzrger Musikern von Anfang an gegeben, und unter den sktzzterte Bedingun- gen haben sich die Gewichte zu thren Gunsten verschoben.

Im tibrigen gab es auch in diesem Orchester bereits vor 1933 Musiker, die der NSDAP angehörten (durch ihre anti- semitischen Machenschaften wurde der ständige Dirigent des Leipziger Sinfonieorchesters, Alfred Szendrei, bereits 1931 zu FaIl gebracht). Und offensichtlich ist ebenfalls, dafj ein Orchester ohne Dirigent dem allgemeinen Trend zuneh- mender Faschisierung in Deutschland entgegenlief. Auf den Punkt brachte diese Richtung 1 935 der Dirigent und Musik- forscher Peter Raabe, der zugleich die ,,Reichsmusikkam- mer" dirigie rte) als er die deutschen Orchester als eine Insti- tution darstellte, die wie kaum eine zwette,,von jeher im Sinne nationalsoztalistischer Gemeinschaft gewirkt ha{':

,,Hier ist in vollster Reinheit das Fiihrerprinzip durchge-

filbrt, der Leiter bat die unbedingte Autorität,"4

:

Anmerkungen

1 Paul Bekker: Kunst wnd Revolution, Frankfurt/Matn L91.9, S. 14

2 Diese und folgende Quellen zur Thematik ,,Orchesterbolschewismus" sind im einzelnen nachgewiesen in: Eckhard John: Musikbolschewismus. Die Politisierwng der Mwsik in Deutscbland 1918-1938, Stuttgart/\il/eim ar 1,994

3 Die Rezeption der Letpziger Konzerte im zeitgenössischen (Musik-)Schrifttum ist im einzelnen dokumentiert bei Eckhard John: ,,Revo1te im Orchesrer. Die diri- gentenlosen Konzerte in Lerpzrg (1928/29)", in: Zwischen Proaokation wnd Re- signation. Dresden und die aoancierte Musik im 20. Jahrhundert, Kolloquium im Rahmen der 10. Dresdner Tage der zeitgenössischen Musik 1996, hrsg. v. Dresd- ner Zentrum för zeitgenössische Musik, Druck i. V.; dort finden sich auch die Nachweise aller weiteren zrtrerten Quellen

4 Peter Raabe: Die Musik im dritten Reich, Regensburg 1 935, S. 34

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Das Oncunsrtn 1/98 15

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Zeitschrift frir Orchesterkultur und Rundfunk-Chorwesen TER

46. Jahrgang - Heft 1 - 1998

Das Orchester Organ der Deutschen Orchestervereinigung

Zeits chrift fti r O rches terku ltu r und Rundfunk-Chorwesen

Gegrundet von Hermann Voss (f)

Verantwortlich:

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Printed in Germany - ISSN 0030-4468

@ 1997 Schott Musik International, Marnz

Die in den namentlich gezeichneten Beiträgen vertretenen Meinungen decken sich nicht notwendigerweise mit der Auffassung des Herausgebers und der Schriftleitung.

Andreas Helmut Valentin:

Von Zahnar zt zu Zahnar zt

Eine Odysse flir den Ktinstler? . .

Spiegel des Musiklebens

w Friedemann Otterbach: Brittens ,,Jtinglinge im Feuerofen" in Freiburg

* Ingrid Hermann: ZehnJahre Rheingau Musik Festival

w Carola Vahldieck: ,,Der Ring des Nibelungen" in Drisseldorf. . .

w Jörg Loskill: Beethovens ,,Fidelio" in Essen/

Bergs rrlulu" in Gelsenkirchen . . . .

w Marina Lobanova: ,,Hyperion" von Bruno Maderna in Hamburg .

* Christina Kurth:,,Tristan und Isolde" in Schwerin . . . .

Pressestimmen Bticher

CDs Notizen

Inhalt

Hans-Jtirgen Sch aal:

Thomas Manns Musikerroman ,,Doktor Faustus"

Der Einflu{3 von Arnold Schönberg und Theodor \X/. Adorno . . Gewidmet den Opfern der Kriege

Uraufftihrung des Requiems von Valter Haupt im Mrinchner Nationaltheater

Eckhard John:

Orchester ohne Dirigent, 2.Teil

Die dirigentenlosen Konzerte in Leipzig (1928/29) . . . . . 11,

Gerald Mertens:

,,Ein Komponist will ich werden"

Das rasdose Kiinstlerleben des Eugen d'Albert: eine biographische Notiz. . . 16

2

B

20

24 25 26

28 30 31

32 55 59 67

Titelbild: Das Philharmonische Orchester der Hansestadt Liibeck {eierte jiingst sein 100jähriges Jubiläum.

Foto: Hellmann

Das Oncnrsrpn 1/98 1

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