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Motiviertheit in der Wortbildung entlehnter Einheiten: Eine deskriptive Studie von Personenbezeichnungen mit Fremdsuffixen im Deutschen vom 16. bis zum 20. Jahrhundert

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Academic year: 2022

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ACTA UNIVERSITATIS UPSALIENSIS Studia Germanistica Upsaliensia

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Motiviertheit in der Wortbildung entlehnter Einheiten

Eine deskriptive Studie von

Personenbezeichnungen mit Fremdsuffixen im Deutschen vom 16. bis zum 20. Jahrhundert

von

Sibylle Dillström

UPPSALA 1999

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Akademische Abhandlung im Fach Deutsch zur Erlangung des Grades eines Doctor philosophiæ an der Universität Uppsala 1999

ABSTRACT

Dillström, S. 1999: Motiviertheit in der Wortbildung entlehnter Einheiten. Eine deskriptive Studie von Personenbezeichnungen mit Fremdsuffixen im Deutschen vom 16. bis zum 20.

Jahrhundert. (Motivation in the Word Formation of Loan Items. A Descriptive Study of Words Denoting Persons with Foreign Suffixes in German from the 16th Century to the 20th Century). Acta Universitatis Upsaliensis. Studia Germanistica Upsaliensia 39. 248 pp. Upp- sala. ISBN 91-554-4584-5.

This thesis looks from a historical perspective at the morphological-semantic motivation of words denoting persons with foreign suffixes that have been borrowed into and also formed in German, whereby, among other things, the role of motivation in relation to the borrowing and retention of lexical items is elucidated.

In a theoretical section peculiarities and problems in the word formation of loan items are discussed, and motivation is defined as a synchronous-semantic category. In the analysis words denoting persons that have seven different foreign suffixes, deriving principally from Latin, are examined with material primarily from dictionaries.

The study shows that especially for the frequent suffixes in German there is a consistently large proportion of motivated words. It is generally the case that the words are motivated on their first appearance in the material, and changes in their motivation are on the whole infrequent. The analysis further proves that motivated formations often disappear from the material, and words are mostly retained after the loss of their motivation.

The reason that the words for the most part are motivated in German when borrowed, is that suffixed words denoting persons are generally closely related in their semantic structure to another word in the original or donor language. In German, a relatively large proportion of motivated formations for one suffix does not always correlate with high frequency or with high productivity of the suffix. Furthermore, many of the words examined do not belong to the common vocabulary, which restricts their motivation from a socio-linguistic point of view and can to some extent contribute to their disappearance.

Keywords: word formation, motivation (transparency), foreign suffixes, words denoting per- sons, borrowing, lexicology.

Sibylle Dillström, Department of German, Uppsala University, Box 527, 751 20 Uppsala, Sweden

© Sibylle Dillström 1999 ISSN 0585-5160

ISBN 91-554-4584-5

Typesetting: Editorial Office, Uppsala University

Printed in Sweden by Elanders Gotab AB, Stockholm 1999

Distributor: Uppsala University Library, Box 510, SE-751 20 Uppsala, Sweden

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Vorwort . . . 7

1. Einleitung . . . 9

1.1. Thema und Ziel der Arbeit . . . 9

1.2. Aufbau der Arbeit . . . 13

2. Theoretische Vorüberlegungen . . . 14

2.1. Zur Entlehnungsproblematik . . . 14

2.1.1. Fragestellungen der Sprachkontaktforschung . . . 14

2.1.1.1. Zur Problematik der Klassifizierung von entlehnten Einheiten . . . 14

2.1.1.2. Ursachen für Wortentlehnung und Wortbildung mit entlehnten Einheiten . . . 18

2.1.2. Einflüsse auf die deutsche Sprache . . . 21

2.1.2.1. Klassische Sprachen. . . 21

2.1.2.2. Neuere Sprachen . . . 24

2.2. Zur Motiviertheitsproblematik . . . 25

2.2.1. Fragestellungen der Wortbildungslehre . . . 25

2.2.1.1. Analytische vs. synthetische Wortbildungslehre . . . 25

2.2.1.2. Motiviertheit vs. Ableitung . . . 28

2.2.1.3. Die Relevanz von Motiviertheit in der Sprache . . . 38

2.2.1.4. Fremdsuffixe . . . 45

2.2.2. Die Motiviertheit von Personenbezeichnungen . . . 49

2.2.2.1. Zur Wortbildung von Personenbezeichnungen . . . 49

2.2.2.2. Personenbezeichnungen mit Fremdsuffixen . . . 51

2.2.2.2.1. Diskussion von Motivationsbeziehungen bei Bildungen mit Fremdsuffixen . . . 51

2.2.2.2.2. Darstellung und Klassifizierung von Motivations- beziehungen im Untersuchungsmaterial . . . 57

2.3. Zusammenfassung . . . 75

3. Analyse der Personenbezeichnungen . . . 80

3.1. Vorbemerkungen zur Analyse . . . 80

3.1.1. Auswahl und Begründung des Quellenmaterials . . . 80

3.1.2. Auswahl der Wörter und Einteilung der Bildungen . . . 83

3.1.3. Inhalt der Analyse . . . 89

3.2. Analyse der Bildungen . . . 90

3.2.1. Personenbezeichnungen mit -an/-ian/(-än). . . 90

3.2.1.1. Funktion des Suffixes in Geschichte und Gegenwart . . . 90

3.2.1.2. Korpusbefund . . . 91

Inhaltsverzeichnis

(6)

3.2.1.3. Wortbildungsstruktur/Motiviertheit . . . . 92

3.2.1.4. Stellung der Lexeme im Wortschatz . . . 101

3.2.1.5. Zusammenfassender diachronischer Vergleich. . . 102

3.2.2. Personenbezeichnungen mit -and/(-end) . . . 104

3.2.2.1. Funktion des Suffixes in Geschichte und Gegenwart . . . . 104

3.2.2.2. Korpusbefund . . . 104

3.2.2.3. Wortbildungsstruktur/Motiviertheit . . . 106

3.2.2.4. Stellung der Lexeme im Wortschatz . . . 107

3.2.2.5. Zusammenfassender diachronischer Vergleich. . . 108

3.2.3. Personenbezeichnungen mit -ant/-ent . . . 108

3.2.3.1. Funktion des Suffixes in Geschichte und Gegenwart . . . . 108

3.2.3.2. Korpusbefund . . . 111

3.2.3.3. Wortbildungsstruktur/Motiviertheit . . . 113

3.2.3.4. Stellung der Lexeme im Wortschatz . . . 122

3.2.3.5. Zusammenfassender diachronischer Vergleich. . . 125

3.2.4. Personenbezeichnungen mit -ar/-är . . . 126

3.2.4.1. Funktion des Suffixes in Geschichte und Gegenwart . . . . 126

3.2.4.2. Korpusbefund . . . 127

3.2.4.3. Wortbildungsstruktur/Motiviertheit . . . 128

3.2.4.4. Stellung der Lexeme im Wortschatz . . . 134

3.2.4.5. Zusammenfassender diachronischer Vergleich. . . 136

3.2.5. Personenbezeichnungen mit -at . . . 137

3.2.5.1. Funktion des Suffixes in Geschichte und Gegenwart . . . . 137

3.2.5.2. Korpusbefund . . . 138

3.2.5.3. Wortbildungsstruktur/Motiviertheit . . . 139

3.2.5.4. Stellung der Lexeme im Wortschatz . . . 143

3.2.5.5. Zusammenfassender diachronischer Vergleich. . . 145

3.2.6. Personenbezeichnungen mit -(at)or . . . 146

3.2.6.1. Funktion des Suffixes in Geschichte und Gegenwart . . . . 146

3.2.6.2. Korpusbefund . . . 147

3.2.6.3. Wortbildungsstruktur/Motiviertheit . . . 148

3.2.6.4. Stellung der Lexeme im Wortschatz . . . 154

3.2.6.5. Zusammenfassender diachronischer Vergleich. . . 156

3.2.7. Personenbezeichnungen mit -ist. . . 157

3.2.7.1. Funktion des Suffixes in Geschichte und Gegenwart . . . . 157

3.2.7.2. Korpusbefund . . . 160

3.2.7.3. Wortbildungsstruktur/Motiviertheit . . . 162

3.2.7.4. Stellung der Lexeme im Wortschatz . . . 169

3.2.7.5. Zusammenfassender diachronischer Vergleich. . . 172

4. Auswertung . . . 174

Zeichenerklärungen und Erläuterungen zum Korpus. . . 186

Verzeichnis der Wörter . . . 188

Literaturverzeichnis . . . 239

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Vorwort

Ich danke allen, die mir während der Arbeit an der Dissertation hilfreich zur Seite gestanden haben.

Dank für wertvolle Ratschläge und Hinweise gebührt vor allem meinen Be- treuern Herrn Dozent Dr. Göran Inghult (jetzt Universität Stockholm), der die Arbeit in der Anfangs- und Hauptphase betreut und das Manuskript am Ende freundlicherweise noch einmal gelesen hat, und Frau Dozentin Dr. Christine Palm Meister, die die Betreuung in der Schlußphase übernahm und durch ihre Aufmunterung die Beendigung des Manuskriptes sehr erleichtert hat. Außer- dem danke ich herzlich Herrn Professor em. Dr. John Evert Härd für aufmerk- sames Lesen von großen Teilen des Manuskriptes und vielerlei Hinweise. Ein Dank auch an Herrn Professor Dr. Dieter Krohn für sein praktisches Engage- ment bei der Fertigstellung der Arbeit.

Nicht zuletzt danke ich meinem Mann Stefan, ohne dessen Unterstützung und Geduld diese Arbeit nicht hätte geschrieben werden können.

Uppsala, im September 1999 Sibylle Dillström

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1. Einleitung

1.1. Thema und Ziel der Arbeit

Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Wortbildung von entlehnten Einheiten im Deutschen, spezifisch mit der Wortbildungsstruktur und Motiviertheit bei Per- sonenbezeichnungen mit Fremdsuffixen in einer historischen Perspektive.

Diese Bildungen sind teilweise fertig ins Deutsche entlehnt, teilweise auch im Deutschen selbst gebildet. Zwei Teilbereiche der Linguistik werden hier rele- vant, die in den letzten Jahrzehnten verstärktes Interesse gefunden haben:

Sprachkontaktforschung und Wortbildung. Eine Verbindung dieser Teilgebiete unter der Fragestellung „Wie sind entlehnte Einheiten im Hinblick auf die Wortbildung strukturiert?“ ist bisher jedoch – besonders in einer diachroni- schen Perspektive – nicht häufig erfolgt.

Die Wortbildung entlehnter Einheiten wird im Projekt Deutsche Lehnwort- bildung erforscht, das im Institut für deutsche Sprache betrieben wird (vgl.

Hoppe et al. 1987). Die Zielsetzung des Projekts ist eine Dokumentation der im Deutschen entstandenen Bildungen mit entlehnten Einheiten, ein bisher vernachlässigter Bereich bei der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Ent- lehnungen.1Viele sogenannte Fremdwörter sind nicht als Ganzes ins Deutsche übernommen worden, sondern wurden im Deutschen mit Hilfe entlehnter Ein- heiten gebildet (z.B. Asylant, Informant, Sympathisant). Daß jedoch auch die als Ganzes entlehnten Lexeme eine Wortbildungsstruktur aufweisen, wird bei dieser Fragestellung nicht gebührend beachtet. In den neueren Arbeiten zur Wortbildung entlehnter Einheiten über „Lehnpräfixe“ der Negation und Aug- mentation in der Gegenwartssprache (Klosa 1996, Ruf 1996) werden sowohl Entlehnungen als auch im Deutschen entstandene Bildungen behandelt (ohne daß allerdings explizit im Material zwischen diesen differenziert wird). Jedoch sind diese Arbeiten ausschließlich auf gegenwartssprachliche Bildungen be- schränkt.

Die Wortbildungsstruktur entlehnter Lexeme verdient Interesse, da ein oft genanntes Merkmal von Entlehnungen die morphologisch-semantische Nicht- Motiviertheit im Wortschatz ist. So weisen suffigierte Entlehnungen manch- mal keine offensichtliche semantische und zum Teil auch keine formale Ab- hängigkeit von anderen Wörtern auf, auch wenn sie vor allem durch die Ana- logie zu anderen Suffixbildungen als Wortbildungen zu erkennen sein können (z.B. Adjutant, Leutnant durch das Suffix -ant): Bei Adjutant („dem Komman-

1Vgl. Hoppe (1999) als Dokumentation von einigen Ergebnissen des Projekts (weitere Veröffent- lichungen sind erschienen bzw. geplant).

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deur einer militärischen Einheit zur Unterstützung beigegebener Offizier“) gibt es noch eine formale und abgeschwächt semantische Beziehung zu dem verwandten Wort Adjutum (veraltet für „(Bei)Hilfe“, Duden-Wörterbuch der deutschen Sprache [DW] 1993–1995). Leutnant ist dagegen formal (und se- mantisch) isoliert, da die Basis nicht in anderen verwandten Wörtern er- scheint.2 Dies kann darauf beruhen, daß verwandte Wörter nicht entlehnt wur- den oder Wörter schon am Anfang keine enge semantische Beziehung zu ihrer formalen Basis aufweisen. Als Suffixbildungen sollen dabei nur solche Bil- dungen angesehen werden, die auch historisch Bildungen mit einem bestimm- ten Suffix sind (wie im Fall von Leutnant < frz. lieu-tenant). Die Potenz des Suffixes -ant zeigt sich jedoch darin, daß sprachspielerisch auch Lexeme, die diachronisch nicht als Wortbildungen gelten können, zu Wortbildungen wer- den: Aus dem Elefanten macht z.B. Morgenstern in seiner Anto-logie einen Elef-anten und nach diesem Vorbild dann als Neubildungen einen Zehen-an- ten, einen Zwölef-anten und einen Nulel-anten (Morgenstern, Galgenlieder;

vgl. Palm 1983:77ff.).

Die Nicht-Motiviertheit im Wortschatz ist in der Geschichte im Deutschen ein Argument gegen die Fremdwörter und für ihre Ersetzung mit „durchsichti- gen“ heimischen Bildungen gewesen (z.B. bei dem Sprachreiniger J.H. Campe zu Anfang des 19. Jahrhunderts). Dabei geht es aber vor allem um ihre formale Fremdartigkeit und um ihre partielle Nicht-Motiviertheit in der Nicht-Ver- ständlichkeit für breite Schichten.3Es gibt auch unter den Entlehnungen bzw.

Bildungen mit entlehnten Einheiten viele im Deutschen motivierte Bildungen, so Demonstrant zu demonstrieren, Sympathisant zu sympathisieren (letztere im Deutschen gebildet), was in dieser Arbeit gezeigt werden soll. Wie wichtig ist nun aber Motiviertheit im Sinne von morphologisch-semantischer Moti- viertheit in der Sprache?

Für die Kommunikation spielt normalerweise Motiviertheit keine Rolle, wie auch P. von Polenz (1967) hervorhebt. Erst bei der Reflexion über Wortbil- dungszusammenhänge wird sie dem normalen Sprachteilhaber bewußt. Moti- viertheit ist jedoch im Sprachsystem gerade bei Entlehnungen und Bildungen

2H. Paul (1880/1920 [1975:106ff.]) verwendet den Begriff der Analogie im Zusammenhang mit der „Gruppenbildung“ auf verschiedenen sprachlichen Gebieten, u.a. in der Wortbildung. Wörter schließen sich durch Analogien zu Gruppen zusammen, wobei je nach Art der Analogie eine Beziehung in Lautform und/oder Bedeutung zwischen den Mitgliedern gegeben ist. Einzelne Gruppenmitglieder werden dann durch Laut- und/oder Bedeutungswandel „isoliert“ (ebd. 189ff.).

Der Begriff der Isolierung wird in dieser Arbeit dagegen auf formal und semantisch isolierte Bildungen angewandt, deren Suffix sie jedoch noch als ursprüngliche Wortbildungen ausweist.

3Campe sah als fremdartig oder unrein alle der Struktur des Hochdeutschen nicht angepaßten bzw. bei komplexen Wörtern nicht im Hochdeutschen motivierten Wörter aus fremden Sprachen an, die damit einhergehend nicht allgemein verständlich seien. Die von Campe bekämpften Ent- lehnungen konnten damit durchaus sowohl in der Herkunftssprache als auch teilweise durch an- dere Entlehnungen morphologisch-semantisch motiviert sein, sie gehörten jedoch größtenteils zum Bildungswortschatz und sollten dem Volk nach Campes Vorstellungen durch Neubildungen aus bekannten Bestandteilen verständlich gemacht werden (dazu Kirkness 1984b:294, 1985:93 ff.). Vgl. die Einleitung zu Campes Verdeutschungswörterbuch (Grundsätze, Regeln und Grenzen der Verdeutschung) 1801, 21813.

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mit entlehnten Einheiten oft nur in Subsystemen wie Bildungswortschatz oder Fachwortschätzen vorhanden, da viele dieser Lexeme solchen Subsystemen angehören. Durch ihre Zugehörigkeit zu diesen Teilwortschätzen können Ent- lehnungen und Wortbildungen mit entlehnten Einheiten manchmal schwer verständlich sein, nicht aber durch fehlende Motiviertheit für die Sprecher an sich. Aber auch metasprachliche Reflexion über Wortbildungszusammenhänge ist für Sprecher, die nur am Gemeinwortschatz teilhaben, dann nicht möglich.

Für Teilhaber am Bildungswortschatz und an Fachwortschätzen kann hinge- gen nach Polenz Motiviertheit bei sprachreflexiver Tätigkeit erleichternd, da

„strukturbildend“ wirken. Polenz nennt hier Bildungen wie Auto(mobil), Auto- gramm und Automat, die für viele Sprachteilhaber unmotiviert sind. Gebildete und Fachleute können aber noch andere Bildungen mit auto danebenstellen, z.B. Autobiographie, autochthon, Autodidakt, Autonomie. Dadurch werde auto- „für solche Sprachteilhaber ein kleinstes Sinnelement“ ihres Wortschat- zes (Polenz 1967 [1975:26]).

Im Sprachsystem (als langue im Sinne Saussures) spielt Motiviertheit eine Rolle für die Strukturierung und den Ausbau des Wortschatzes. Die Voraus- setzung für Motiviertheit ist das Vorhandensein von Wortfamilien bzw. – in synchronischer Perspektive – „Wortbildungsnestern“ (vgl. Fleischer/Barz 1992:71ff.), die den Wortschatz strukturieren; der Effekt von Motiviertheit ist die Bildung neuer Wörter mit gleicher Struktur. Motivierte Bildungen verwei- sen also ihrererseits auf andere Wörter, mit denen sie in Wortbildungszusam- menhängen stehen. Auch die motivierenden Wörter tragen dazu bei, den Wortschatz semantisch und formal zu strukturieren. Direkte Vorbildfunktion für die Bildung neuer Wörter haben aber nur die motivierten Wörter selbst. So führt das Vorhandensein motivierter Bildungen auf -ant zur Bildung neuer Wörter nach gleichem Muster, z.B. Sympathisant zu sympathisieren nach De- monstrant zu demonstrieren. Es ist auch anzunehmen, daß motivierte Bildun- gen zur verstärkten Entlehnung neuer motivierter Lexeme mit gleicher Struk- tur führen. Die Motiviertheit von Lexemen mit Fremdmerkmalen ist bisher jedoch selten diachronisch beschrieben worden.

In dieser Arbeit soll die morphologisch-semantische Motiviertheit von Per- sonenbezeichnungen mit ausgewählten Fremdsuffixen dargestellt werden.

Gleichzeitig ist es der Versuch, die Einbeziehung solcher Bildungen in das Wortbildungssystem des Deutschen nicht nur wie bisher synchronisch, son- dern auch diachronisch sichtbar zu machen und die Entwicklung von Wörtern zu verfolgen. Wie motiviert sind diese Wörter im Deutschen? Gibt es diachro- nische Unterschiede in der Motiviertheit der Bildungen? Korreliert ein hoher Anteil motivierter Bildungen immer mit hoher Frequenz und auch mit hoher Produktivität von Suffixen im Deutschen? Wie verhält sich die Motiviertheit der betreffenden Lexeme zu ihrer Zugehörigkeit zu speziellen Subsystemen oder zu veraltetem Wortschatz? Auch die Motiviertheit von im Deutschen ent- standenen Bildungen soll anhand der Gegenwartssprache untersucht werden.

Diese müssen in der Gegenwartssprache nicht immer motiviert sein, obwohl

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sie im Deutschen gebildet wurden.4 Aber es ist zu erwarten, daß sie bei ihrer Entstehung meist im Deutschen motiviert sind, da bei Ableitungen mit Fremd- elementen die Basen oft bereits im Deutschen vorliegen (vgl. Kap. 2.1.1.1).

Als Fremdsuffixe gelten entlehnte Suffixe, die durch Form und Distribution noch als entlehnt erkennbar sind. Das für die Bildung von Personenbezeich- nungen dominierende und hochproduktive Suffix -er (aus dem lat. -arius) wird damit natürlich ausgenommen, da es voll und ganz in das deutsche Wortbil- dungssystem integriert ist. Diese Suffixe sollen synchronisch in der Gegen- wartssprache ermittelt und dann exemplarisch diachronisch zurückverfolgt werden. Suffigierte Personenbezeichnungen wurden ausgewählt, da sie in ih- rer semantischen Struktur meist eine Tätigkeitsbeschreibung enthalten (No- mina agentis) und damit oft schon in der Ursprungs- oder Spendersprache motiviert sind. Die heimischen Personenbezeichnungen auf -er sind in hohem Grade motivierte Bildungen. Es soll festgestellt werden, ob Personenbezeich- nungen mit Fremdsuffixen einen ähnlich hohen Grad an Motiviertheit aufwei- sen. Bei anderen Arten von Bildungen (z.B. Verben auf -ieren) wäre dagegen aufgrund ihrer semantischen Struktur ein niedrigerer Grad an Motiviertheit zu erwarten (vgl. Kap. 2.2.2.2.1). Auch sind die Ergebnisse nicht ohne weiteres auf Präfixbildungen und Komposita mit Fremdelementen zu übertragen, wie im Verlauf der Arbeit deutlich werden soll.

Die Beantwortung der gestellten Fragen kann auch dazu dienen, die Rolle der Motiviertheit bei Entlehnung und Beibehaltung von Lexemen zu beleuch- ten. Es ist anzunehmen, daß vor allem suffigierte Personenbezeichnungen auf- genommen werden, die schon bei ihrer Entlehnung im Deutschen motiviert sind, da suffigierte Personenbezeichnungen in ihrer semantischen Struktur in der Ursprungs- bzw. Spendersprache in der Regel deutlich auf ein anderes Wort bezogen sind. Dabei können sich jedoch Unterschiede zwischen den ein- zelnen Suffixen ergeben. Man kann aber nicht in gleicher Weise davon ausge- hen, daß unmotivierte Wörter eher wieder aufgegeben werden als motivierte Wörter mit einer deutlichen Wortbildungsstruktur. Es soll dargestellt werden, inwieweit die Bildungen vom Verlust der Motiviertheit betroffen sind und wie sich dies auf ihre Beibehaltung im deutschen Wortschatz auswirkt. Der Stel- lenwert der Motiviertheit bei der Beibehaltung von Lexemen wird daneben an einem diachronischen Vergleich zweier Perioden deutlich gemacht. Dabei gel- ten für Bildungen mit Fremdelementen besondere Bedingungen, indem sie oft nur bestimmten Teilbereichen des Wortschatzes angehören.

4Ein Beispiel mit dem Suffix -ent ist Defizient, ein heute veraltetes Wort für ‘Dienstunfähiger’

bzw. in Österreich und Süddeutschland ein „durch Alter und Krankheit geschwächter katholischer Geistlicher“ (vgl. DW). Die Bedeutung von Defizient kann zumindest nicht vollständig aus dem verwandten Wort Defizit erschlossen werden (vgl. noch im Fremdwörterbuch von Kehrein 1876

„Fehlender, Abtrünniger, Schuldner; Invalide, bes. bei einem geistlichen Amte“). Ein anderes Bei- spiel mit dem Suffix -ar ist Diätar, heute veraltet für „[bei Behörden] auf Zeit Angestellter, Hilfs- arbeiter“ (DW). Diäten sind dagegen heute die Bezüge von Abgeordneten oder Lehrkräften. In Campes Verdeutschungswörterbuch hat Dieten noch die Bedeutung ‘Tagegelder’.

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1.2. Aufbau der Arbeit

Die vorliegende Arbeit hat zwei Schwerpunkte: Zum einen besteht sie aus einer kritischen Auseinandersetzung mit Theorien und Standpunkten der frü- heren Forschung im Bereich der Entlehnungs- und Motiviertheitsproblematik (Kapitel 2), wobei besonders der letzteren als zentralem Thema der Arbeit breiter Raum gewidmet wird. Es werden Besonderheiten und Probleme der Wortbildung von entlehnten Einheiten vor allem in bezug auf Suffigierung diskutiert. Dieser Teil kann als selbständiger Teil der Arbeit aufgefaßt werden, versucht aber gleichzeitig, mit einer Diskussion der vorliegenden Forschung die Terminologie und Methoden für die nachfolgende empirische Studie be- reitzustellen. Ein Forschungsüberblick zum vorliegenden Thema wird somit nicht gesondert vorangestellt, da zum Thema noch kaum Spezialarbeiten er- schienen sind. Die Motiviertheit entlehnter Einheiten wird zumeist in größe- rem Rahmen in Übersichten zur gegenwartssprachlichen Wortbildung behan- delt. Kleinere Artikel beschränken sich in der Regel auf einzelne Affixe in synchronischer oder diachronischer Perspektive. Eine synchron-diachrone Studie von Bildungen mit entlehnten Einheiten wie die vorliegende ist dage- gen, soweit festgestellt werden konnte, bisher nicht vorgenommen worden.

Der zweite Schwerpunkt ist damit eine Darstellung der Motiviertheit von Personenbezeichungen mit sieben ausgewählten Fremdsuffixen in einer syn- chronisch-diachronischen Perspektive (Kapitel 3). Eine synchronisch-diachro- nische Perspektive bedeutet, daß die Personenbezeichungen in fünf verschie- denen Zeitabschnitten untersucht werden, die für sich selbst gesehen synchro- nisch behandelt werden; d.h. es interessiert die Motiviertheit im jeweils gülti- gen Sprachsystem. Der gewählte Zeitraum ist das 16. bis 20. Jahrhundert. Erst für diesen Zeitraum stehen genügend Wörterbücher zur Verfügung, anhand derer das Sprachmaterial untersucht werden kann, und erst ab dieser Zeit wer- den Entlehnungen nicht in großem Ausmaß formal integriert. Für die früheste Periode (1550–1650) werden daneben auch andere Quellen herangezogen, da das Wörterbuchmaterial für die Fragestellung in dieser Zeit begrenzt ist. Über Quellenmaterial und genaue Vorgehensweise bei der Analyse wird in Kapitel 3.1 Bericht erstattet.

Die Ergebnisse werden in einem eigenen Kapitel zusammengefaßt (Kapitel 4), welches die aufgeworfenen Fragestellungen anhand der Analyse beantwor- ten soll. Das Material der Studie wird in einem Anhang zugänglich gemacht.

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2. Theoretische Vorüberlegungen

2.1. Zur Entlehnungsproblematik

2.1.1. Fragestellungen der Sprachkontaktforschung

2.1.1.1. Zur Problematik der Klassifizierung von entlehnten Einheiten Die Sprachkontaktforschung beschäftigt sich unter anderem mit den Wirkun- gen des sprachlichen Kontakts sowohl auf der Ebene des Sprachsystems (Sprachkontakt im engeren Sinne) als auch auf der Ebene der Individuen (Zwei- oder Mehrsprachigkeit, vgl. Bechert/Wildgen 1991:1f.). In unserem Zusammenhang interessiert, wie man lexikalische Entlehnungen von einem Sprachsystem in ein anderes kategorisiert. Die Unterscheidung zwischen Fremdsuffix und Lehnsuffix dient in dieser Arbeit als Instrument zur Ausson- derung von Wortbildungen, bei denen die fremde Herkunft der Bestandteile noch erkennbar ist und eignet sich somit, völlig integrierte Bildungen aus dem Untersuchungsmaterial auszuschließen. Es erscheint daher zweckmäßig, den Unterschied zwischen Fremdsuffixen und heimischen Suffixen klar herauszu- stellen und auf die Unterscheidung Fremdwort – heimisches Wort zu beziehen.

Heimische Elemente sind dabei als Elemente zu verstehen, welche die Merk- male der ererbten Elemente einer Sprache aufweisen.

Für den deutschen Sprachgebrauch ist nach dem Zweiten Weltkrieg u.a. die Terminologie von Betz wichtig geworden, der mit „Lehnprägungen“ als se- mantischen Entlehnungen (nur Inhalt) und „Lehnwörtern“ als lexikalischen Entlehnungen (Form und Inhalt) zwei grundlegende Typen von Entlehnungen auf der Wortebene unterscheidet (vgl. Betz 1949:26ff.). Der in der deutschen Sprachwissenschaft traditionell verwendete Terminus „Fremdwort“ bezeich- net dagegen nicht-assimilierte (nicht-integrierte) lexikalische Entlehnungen, also übernommene Wörter, die formativ-ausdrucksseitig (phonologisch, gra- phematisch und/oder morphologisch)1 nicht an die Empfängersprache ange- paßt worden sind. Lehnwörter sind nach dieser Sichtweise formal angepaßte Entlehnungen. Eine klare Unterscheidung zwischen (assimilierten) Lehnwör- tern im engeren Sinn und (nicht-assimilierten) Fremdwörtern ist aber oft schwer zu treffen, da die Unterschiede auf den verschiedenen Sprachebenen (Phonologie, Graphematik, Morphologie) verschieden ausgeprägt sein kön-

1 Die Morphologie kann auch zur Inhaltsseite eines Zeichens gerechnet werden (vgl. Hjelmslev 1943). Hier wird jedoch auf die Form der Flexion Bezug genommen, die fremden oder heimischen Mustern folgen kann. „Ausdrucksseitig“ wird als Begriff damit im gleichen Sinne wie „formativ“

(auf die Form bezogen) verwendet.

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nen.2 Der Terminus „Fremdwort“ ist somit trotz dieser begrifflichen Unter- scheidung lange als rein diachronisch orientierter Begriff aufgefaßt worden, der auch assimilierte Entlehnungen umfaßt und danach fragt, ob ein Wort er- erbt oder entlehnt und somit „fremd“ ist.3

Dieser diachronische Ansatz, der sich im Gebrauch des Fremdwortbegriffs lange bemerkbar machte, ist in der Germanistik nach dem Zweiten Weltkrieg verstärkt kritisiert worden. Polenz (1967) fordert in einer Auseinandersetzung mit dem Purismus eine Orientierung an synchronischen (gegenwartssprachli- chen) und inhaltsseitigen Gesichtspunkten bei der Klassifizierung von Entleh- nungen. Den Begriff des Fremdworts will er auf ein Wort mit Zitatcharakter einschränken, das Eigentümlichkeiten einer anderen Kultur mit einem Begriff aus einer Fremdsprache wiedergibt (sog. „Zitatwörter“ sind z.B. College, Sie- sta, Geisha, Kolchose, vgl. Polenz 1967 [1975:23]). Alle anderen übernomme- nen Wörter sollen als Lehnwörter angesehen werden, die am deutschen Wort- schatz teilhaben und eine bestimmte Gruppe des Wortschatzes neben anderen Gruppen bilden. Damit orientiert er sich am Gebrauch des Begriffs „Lehn- wort“ bei Betz, möchte jedoch die Funktion eines entlehnten Wortes im Ver- hältnis zu den anderen Wörtern und seine stilistische und sprachsoziologische Einordnung in den Vordergrund stellen. Lehnwörter in diesem Sinne gehören zu den Teilwortschätzen des Bildungswortschatzes, des Fachwortschatzes und des Gemeinwortschatzes. Polenz hat mit dieser Auffassung viele Nachfolger gefunden (z.B. Kirkness 1984a, 1991a) und sie ist bei funktionalen bzw. sozio- linguistischen Fragestellungen adäquat. Bei Fragestellungen, wo außer dem Inhalt auch die Form eine Rolle spielt, bietet es sich jedoch an, Entlehnungen primär nach ihrer formalen Anpassung zu unterscheiden. Auch kann gegen Polenz’ Ansatz eingewandt werden, daß der diachronische Aspekt der Her- kunft bei der Beschäftigung mit Entlehnungen per definitionem niemals ganz vernachlässigt werden kann; es kann dann sinnvoll sein, ihn mit dem synchro- nischen Aspekt der formalen Integration zu verbinden.4

Eine synchronisch und ausdrucksseitig orientierte Auffassung vertreten z.B.

Heller (1975, 1981), W. Müller (1976) und Munske (1983). Munske hat sich in

2Ein Beispiel ist das Wort Familie aus dem Lateinischen familia: Es enthält als phonologisches Fremdmerkmal die Nicht-Initialbetonung; graphematisch weicht es insofern von heimischen Le- xemen ab, als es <i> für [i:] in betonter Stellung aufweist (statt <ie>); morphologisch ist es in die Pluralbildung der Feminina auf -e einbezogen (dies etwa im Gegensatz zu Wörtern mit fremden Endungen, die teilweise ihre eigene Pluralform aus der Herkunftssprache aufweisen: Abstraktum – Abstrakta, Cello – Celli, Kasus – Kasus usw., vgl. Duden-Grammatik 1995:238).

3Vgl. dazu vor allem Polenz (1967) und Kirkness (1975). Der Terminus „Fremdwort“ ist von dem Puristen Karl Krause um 1815 geprägt und von Jean Paul verbreitet worden (vgl. Kirkness 1975 [1979:78]). Er existierte im deutschen Sprachraum aber als Begriff fremdes Wort bzw. ausländi- sches Wort seit dem 17. Jh.; Mitte des 19. Jh.s erfolgte dann eine Unterteilung in Fremdwort und Lehnwort. Das Entstehen eines an der fremden Herkunft orientierten Fremdwortbegriffs ist eng mit dem aufkommenden Sprachpurismus des 17. Jh.s verbunden (vgl. Heller 1981:9ff.). Diese Bewegung verstand sich als Bewegung zur Sprachpflege, wodurch Sprachpflege lange Zeit ein Synonym für Sprachreinhaltung wurde (Greule/Ahlvers-Liebel 1986:7).

4 Siehe folgende Seite.

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verschiedenen Arbeiten mit der Fremdwortproblematik auseinandergesetzt und vertritt die Auffassung, daß das Deutsche in bezug auf den Wortschatz als eine „Mischsprache“ beschrieben werden muß (1988). Er beschreibt den Wortschatz unter dem Aspekt von Zentrum und Peripherie und rechnet Erb- wortschatz und Lehnwortschatz zusammen als „Basis-“ bzw. „Ergänzungssy- stem“ zum zentralen System des Wortschatzes, den Fremdwortschatz auf- grund der ausdrucksseitigen Nicht-Integration zu „peripheren Systemen“, die am zentralen System teilweise partizipieren (1983:567). Damit werden intui- tive Urteile über „Fremdheit“ und „Vertrautheit“ eines übernommenen Le- xems bestätigt (ebd. 561f.). Fremdheit entsteht durch Beibehaltung von Merk- malen, die der Empfängersprache fremd sind, Vertrautheit durch Anpassung an das eigene Sprachsystem und durch gleiche Struktur. Heller (1975:56) ope- riert mit den Merkmalen „fremd – heimisch“. Fremdwörter sind diachronisch und synchronisch fremd, Lehnwörter diachronisch fremd und synchronisch heimisch. Beispiele für Fremdwörter im heutigen Deutsch sind Courage, Flirt, Palais, Sputnik; Beispiele für Lehnwörter sind Pfingsten (griech. pentecoste), Rettich (lat. radix), schreiben (lat. scribere), Wein (lat. vinum), Streik (engl.

strike) (Beispiele bei Bußmann 1990:215). Diese Sichtweise ist eine Verbin- dung von Synchronie und Diachronie, da man die übernommenen Lexeme als diachronisch fremd aussondert und sie synchronisch auf ihre formale Anpas- sung hin befragt. Eine solche Einordnung in den Lehn- und Fremdwortschatz ist in der Praxis nicht immer leicht vorzunehmen, indem das betreffende Le- xem sowohl Züge von Integration als auch von Fremdheit aufweisen kann (vgl. das obengenannte Beispiel Familie). Man fragt bei dieser Einteilung in Fremd- und Lehnwort auch nicht nach der Geläufigkeit von Wörtern bzw. ihrer Zugehörigkeit zu lexikalen Subsystemen, was als Nachteil empfunden werden kann. Die Unterteilung eignet sich jedoch dazu, assimilierte Entlehnungen aus synchronisch orientierten Untersuchungen auszuschließen, was bei Fragen der Wortbildung von Vorteil sein kann.

Entlehnte Wortbildungselemente können m.E. in diese Sichtweise einbezo- gen werden (so auch bei Fleischer/Barz 1992:61ff.). Aufgrund ihrer aus-

4 So ist auch z.B. Greules Unterteilung des Wortschatzes in „Erbwort – Lehnwort – Neuwort“

(Greule 1980) als synchronisch verfehlt anzusehen, da sie rein genetisch-diachronisch orientiert ist und als Lehnwort undifferenziert alle aus fremden Sprachen übernommenen Lexeme bezeich- net, unabhängig vom Grad der formalen Integration. Als wesentliches Merkmal von Entlehnungen gilt nur noch die fremde Herkunft, womit ein Aspekt einseitig verabsolutiert wird und synchron feststellbare Unterschiede in der Integration von Entlehnungen vernachlässigt werden. Den glei- chen Vorwurf kann man an Kirkness’ Hervorhebung der Inhaltsseite von Entlehnungen richten (Kirkness 1984a, 1991a): Kirkness wirft der traditionellen Germanistik vor, daß sie mit „Fremd- wort“ nur die Herkunft eines Wortes bezeichnet und „Etymologisches statt des Sprachsoziologi- schen hervorhebt“ (1991a:296). Dagegen fordert er als „Desiderate der Gegenwarts- und Zu- kunftsgermanistik“ die Untersuchung von „Begrifflichkeit und Terminologie, Erfassung und Be- schreibung des nhd. Lehndeutsch als etymologisch begründeter Kategorie“ (299), womit „Lehn- deutsch“ auch wieder primär auf seine Herkunft festgelegt ist. Sehr früh entlehnte und damit formal völlig angepaßte Wörter sollten allerdings (nach Kirkness 1984a:16) dem Erbwortschatz („natives“) zugerechnet werden.

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drucksseitigen Fremdheit gehören Fremdsuffixe zur Peripherie der Wortbil- dungsmittel. Lehnsuffixe hingegen müssen zum zentralen System der Wortbil- dungsmittel gerechnet werden, da sie sich nicht von den ererbten deutschen Suffixen unterscheiden. Mit der ausdrucksseitigen „Vertrautheit“ geht einher, daß sie mit denselben Basen wie die ererbten Suffixe verbunden werden kön- nen. Das hochfrequente und hochproduktive Suffix -er aus lat. -arius muß daher zusammen mit den anderen, nicht entlehnten und weniger frequenten Suffixen zur Bildung von Personenbezeichnungen zu den synchronisch heimi- schen oder indigenen Suffixen gerechnet werden, obwohl es diachronisch fremd, nicht ererbt ist. Lehnwörter und Lehnsuffixe werden synchronisch hei- misch/indigen in dem Sinne, daß sie durch Integration die dem diachronisch heimischen/indigenen (ererbten) Wortschatz eigenen Merkmale erwerben.5

Der Ausgangspunkt dieser Arbeit ist somit synchronisch und ausdruckssei- tig: Es geht um die Analyse der Wortbildung mit entlehnten, formal nicht inte- grierten Suffixen (Fremdsuffixen) bei Personenbezeichnungen. Diese Suffixe sollen zunächst synchronisch in der Gegenwartssprache ermittelt und dann exemplarisch diachronisch zurückverfolgt werden.

Lexeme können nun aber durchaus auch mit entlehnten Bestandteilen im Deutschen gebildet worden sein. Man spricht dann von „Lehn-Wortbildun- gen“ (vgl. Hoppe et al. 1987:16).6Fleischer/Barz (1992:61) schlagen den Be- griff „Fremdwortbildung“ für eine synchrone Betrachtung als adäquater vor, der auf nicht-integrierte entlehnte Elemente beschränkt ist. Er ist in der Regel zu analysieren als Wortbildung „mit Fremdelementen auf der Basis der Wort- bildungsstrukturen des Deutschen“ (Fleischer/Barz ebd.).7 Der Terminus

„Fremdwortbildung“ soll hier übernommen werden, da er mit der Terminolo- gie der Fremdsuffixe kongruent ist. Beispiele für Wortbildungen mit entlehn- ten Elementen sind Disko-thek, Lingua-thek nach dem Vorbild von Biblio-thek (vgl. Fleischer/Barz 1992:62). Solche mit entlehnten Bestandteilen gebildeten Lexeme werden manchmal auch als Scheinentlehnungen oder Pseudoentleh- nungen bezeichnet (vgl. Tesch 1978:126). Cypionka bezeichnet sie in einer Arbeit über französische „Pseudoanglizismen“ als Lehnformationen, die mit bereits fertig entlehnten oder auch mit zum Zeitpunkt der Bildung ad hoc ent- lehnten Elementen entstehen können. Bei Ableitungen liegen die Elemente meist schon fertig in der Empfängersprache vor (Cypionka 1994:231).

„Lehnwortbildungen“ im Sinne von Hoppe et al. und Fremdwortbildungen im Sinne von Fleischer/Barz können auch im Deutschen entstandene Bildun- gen bezeichnen, bei denen nur ein Element entlehnt bzw. fremd ist8 (Bsp.

5Von Munske wird „indigener Wortschatz“ (ähnlich wie bei Heller „heimisch“) in einer synchro- nischen Perspektive als Gegensatz zu „Fremdwortschatz“ verwendet (1988:50, vgl. Kap. 2.1.2.1).

6 Zuerst wurde der Begriff wohl von Polenz (1967) gebraucht (Ruf 1996:39).

7 Eine Ausnahme bildet nach Fleischer/Barz das Modell deverbaler Substantive auf -in, das aus dem Englischen stammt (Sit-in), dazu im Deutschen Roll-in etc.

8 Hoppe et al. (1987:16): „Entlehnt sind jeweils eine, mehrere oder sämtliche ihrer Teileinheiten und in einigen Fällen auch das Kombinationsmuster [...] selbst“.

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Spielo-thek, Fleischer/Barz 1992:62). Solche Lexeme als spezielle Art von Fremdwortbildungen werden hier als „Hybridbildungen“ bezeichnet. Hybrid- bildungen können definiert werden als Verbindungen heimischer und fremder Elemente (so Fleischer/Barz 1992:62) oder als Verbindungen von Elementen, die aus verschiedenen Sprachen stammen (Bußmann 1990:315). Der Defini- tion von Fleischer/Barz folgend, werden als Hybridbildungen des Deutschen in dieser Arbeit im Deutschen entstandene Verbindungen von heimischen und fremden Elementen angesehen. Der Begriff „Lehnwortbildung“ als Oberbe- griff für Bildungen mit entlehnten Einheiten soll im folgenden nicht gebraucht werden, obwohl er in der Forschungsliteratur recht verbreitet ist. Er paßt aber nicht in die hier maßgebliche Dichotomie Lehnsuffix – Fremdsuffix.9Der Be- griff „Bildung mit entlehnten Einheiten“ ist hier der neutralere.

Im nächsten Abschnitt werden die Ursachen für Wortentlehnung und Wort- bildung mit entlehnten Einheiten behandelt, wie sie die Sprachkontaktfor- schung herausgearbeitet hat.

2.1.1.2. Ursachen für Wortentlehnung und Wortbildung mit entlehnten Einheiten

Wortentlehnung und Wortbildung mit entlehnten Einheiten sind im Zusam- menhang mit allgemeinen lexikalischen Neuerungsstrategien zu sehen. Ed- lund/Hene (1992:68) unterscheiden drei Typen von Möglichkeiten zur Wort- schatzerweiterung: 1. Verwendung eines in einer anderen als der Kommunika- tionssprache vorhandenen Worts, 2. Neubildung eines Worts mit Elementen aus einer anderen Sprache und/oder der Kommunikationssprache, 3. Bedeu- tungswandel bei einem Wort der Kommunikationssprache. Für Wortentleh- nungen trifft Möglichkeit 1, für Wortbildungen Möglichkeit 2 zu.

Es gibt verschiedene Ursachen für Entlehnung von Lexemen (und Neubil- dungen mit entlehnten Einheiten), die oft zusammenwirken und sich auch wi- dersprechen können. Man kann mit U. Weinreich (1953 [1976]) zwischen sprachstrukturellen und nicht-sprachstrukturellen Faktoren im Sprachkontakt differenzieren. Eine ähnliche Einteilung ist die in systeminterne (sprachin- terne, infralinguale) und -externe (sprachexterne, extralinguale) Faktoren.

Tesch (1978:201ff.) wertet als infralingual den sachbezogenen (onomasiologi-

9Er wird oft verwendet, wenn es eigentlich um die Bildungen mit Fremdelementen geht, so auch in Klosa (1996) und Ruf (1996). Völlig integrierte entlehnte Präfixe werden in diesen Arbeiten nicht behandelt, da es solche nicht gibt. Für die hier unternommene Untersuchung ist eine Diffe- renzierung aber wichtig, um die Bildungen auf -er auszuschließen. – Die Problematik der Abgren- zung von integrierten Morphemen ist wohl auch den Mitarbeitern am Band Deutsche Lehnwortbil- dung (Hoppe et al. 1987) bewußt. Vgl. den Beitrag von G.D. Schmidt (1987a:27), in dem auf „die Schwierigkeiten, die in einigen Fällen bei der Markierung als ‘entlehnt’ oder ‘indigen’ auftreten“

hingewiesen wird, „wo der Betrachter gezwungen ist, eine Grenze zu ziehen, bei der er sowohl die Entlehnungszeit als auch den Assimilationsgrad berücksichtigen kann“. Als entlehnt sollen also wohl doch nur Elemente betrachtet werden, die noch Merkmale entlehnter Elemente aufweisen.

Bildungen mit dem Suffix -er und nicht-entlehnter Basis (wie z.B. Fischer) werden somit nicht mehr als Lehnwortbildungen angesehen. Vgl. auch Kirkness (1984a:16), der solche Bildungen als

„natives“ bezeichnet (Kap. 2.1.1.1, Anm. 4).

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schen) Aspekt und den sprachökonomischen Aspekt, als extralingual den kom- munikativen Aspekt als Ursachen für Entlehnung.10

Der sachbezogene Aspekt wird wirksam bei Bezeichnungslücken in der Sprache für neue Inhalte, besonders Sachinnovationen. „Das Bedürfnis, neue Dinge, Personen, Lokalitäten und Begriffe zu bezeichnen, ist offenbar eine universelle Ursache lexikalischer Neuerung. Durch genauere Aussonderung derjenigen unter den lexikalischen Neuerungen dieser Art, die Lehnwörter sind, kann der Sprachwissenschaftler einen Beitrag zum Nachweis dessen lei- sten, was eine Sprachgemeinschaft von einer anderen gelernt hat.“ (U. Wein- reich 1953, 1976:79f.) Für Wortbildungen sind in diesem Zusammenhang be- sonders die sog. Internationalismen zu erwähnen (vgl. Braun 1990a), die vor allem in Fach- und Wissenschaftssprachen vorkommen. Diese „gelehrten Neo- logismen“ (H. Lüdtke, Tesch 1978:125) bewirken eine Annäherung dieser Teil- wortschätze verschiedener Sprachen. Sie werden aus lateinisch-griechischem Wortmaterial in einer Sprache gebildet und können dann in andere Sprachen entlehnt werden (vgl. Kap. 2.1.2.1). Dem sprachökonomischen Aspekt wird von Tesch nur zusammen mit anderen Faktoren Bedeutung beigemessen, da das Streben nach Sprachökonomie zwar kennzeichnend für sprachliches Ver- halten ist, sich jedoch bei Entlehnungen nicht immer bemerkbar macht.

Der kommunikative Aspekt wird besonders wirksam bei den Symptom- und Signalfunktionen der Sprache (nach dem Bühlerschen Sprachmodell), nämlich als Bedürfnis nach Stilvariation, sprachlicher Spieltrieb, Bedürfnis nach Euphemismen, „Reiz des exogenen Lexems“ sowie als sozialer Wert der

„Modellsprache“ (Tesch 1978:209ff.). Besonders der letztgenannte Faktor ist zu betonen (vgl. auch Cypionka 1994:78f.). Die Sprache steht hier für einen kulturellen und sozialen Wert an sich: „So geht der Bereich der Kulturwörter in den der Modewörter über“ (Bechert/Wildgen 1991:76). Man kann hier m.E. zwischen Spender- und Ursprungssprache differenzieren, da Spender- sprachen selbst Übernahmen vermitteln können, die einen kulturellen Wert repräsentieren (z.B. lateinische Entlehnungen, die über das Französische auf- genommen werden). Sprachprestige führt zu Übernahmen von Benennungen für neue Erscheinungen aus einem bestimmten Kulturkreis, wodurch ein Zu- sammenhang mit dem sachbezogenen Aspekt gegeben ist, von dem es oft schwer zu trennen sein kann: Im Prinzip könnten Bezeichnungslücken auch mit ererbtem Sprachmaterial gefüllt werden. Sprachprestige kann aber auch bei Entlehnung von Bezeichnungen für vorhandene Erscheinungen zur Ver- drängung von heimischen Synonymen führen. Gleiches gilt für Bildungen aus

10Weinreichs Kategorisierung ist etwas anders; er unterscheidet z.B. als Motive lexikalischer Ent- lehnung zwischen dem universalen Bedürfnis, Neuerungen zu benennen, und „sprachinternen“

Ursachen wie Bedürfnissen nach Synonymen usw.; davon grenzt er die „sozialen Werte“ der

„Quellensprache“ ab (1953 [1976:79ff.]). Die grundlegende Differenzierung ist jedoch die in sprachstrukturelle und nicht-sprachstrukturelle Faktoren, die Entlehnung fördern oder hemmen können (vgl. U. Weinreich 1953 [1976:90f.]). Sie sind im Grunde besser für eine Beschreibung geeignet als „sprachintern“ bzw. „-extern“, da auch bei nicht-strukturellen Faktoren die Sprache einen Wert vermittelt.

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entlehntem Sprachmaterial, die „im Gefolge starker Kulturströmungen“ auf- treten (Tesch 1978:126).

Für die Verbreitung/Etablierung einer Entlehnung bzw. aus entlehnten Ein- heiten entstandenen Wortbildung nach ihrer Einführung bzw. Entstehung ist ebenfalls das Prestige der entlehnenden Sprache zu dem aktuellen Zeitpunkt von zentraler Bedeutung (vgl. Edlund/Hene 1992:99ff.). Daneben sind Wörter für neue Erscheinungen begünstigt. Wörter, die sich formal an bereits vorhan- dene Muster anlehnen, haben ebenfalls gute Chancen zur Etablierung. Edlund/

Hene nennen hier neben der Anlehnung an phonotaktische/graphotaktische und morphologische Strukturen ausdrücklich die Anlehnung an bereits vor- handene Wortbildungsmuster, die auch schon bei der erstmaligen Einführung eines Wortes wirksam werden kann (Bsp. show off im Schwedischen11, das – allerdings eher formal – an show business anschließt).12Hier kann auch die Frage der Motiviertheit eine Rolle spielen. Die Motiviertheit eines Wortes kann vermutlich seine Entlehnung fördern, wenn es in seiner semantischen Struktur eng auf ein anderes Wort bezogen ist, d.h. Verben führen oft Nomina agentis mit sich. Darüber hinaus fördern vorhandene motivierte Bildungen die Entlehnung neuer Bildungen mit gleicher Struktur.

Für die Beibehaltung der betreffenden Lexeme aber gelten nach Schippan dieselben Prinzipien des Sprachwandels wie für den gesamten Wortschatz überhaupt: „Veränderungen im Wortschatz [sind] durch das sprachlich-kom- munikative Handeln bestimmt, durch kommunikative und kognitive Bedürf- nisse. [...] Als Medium der Kommunikation, der Benennung und, damit ver- bunden, der Verallgemeinerung und Bewertung, muß der Wortschatz ständig neuen kommunikativen und kognitiven Aufgaben angepaßt werden.“ (Schip- pan 1992a:243) Entlehnungen können wie alle anderen Wörter auch infolge lexikalischer Neuerungsstrategien verdrängt werden; ebenso können Entleh- nungen wie alle anderen Lexeme veralten oder verschwinden, indem ihr De- notat sich verändert. Systemexterne sprachsoziologische Faktoren sind bei Entlehnungen besonders wirksam. So sind Wortschatzeinbußen durch Ver- deutschung von Wörtern oder durch Ersatz älterer Entlehnungen durch neuere aus einer anderen Sprache entstanden (Seibicke 1985:1513).13In bezug auf die Beibehaltung bzw. Aufgabe von Wortbildungen ist somit ein direkter Einfluß ihrer morphologisch-semantischen Struktur nicht zu erwarten. Man könnte sich jedoch vorstellen, daß in einigen Fällen ein Wort aufgegeben wird, weil es

11 ‘hervorstechen [versuchen]’, vgl. Chrystal (1988:75).

12Vgl. dazu Edlund/Hene: „Die Analogie zu bereits vorhandenen Entlehnungen kann auch sowohl für die Einführung als auch für die Verbreitung von Entlehnungen von Bedeutung sein [...]. Schon vorhandene Entlehnungen bahnen also den Weg für neue Entlehnungen aus der gleichen Sprache, was teilweise erklärt, warum der Einfluß einer Sprache langsam anfangen, aber einen schnellen Verlauf nehmen kann, wenn das Tor erst geöffnet ist“ (Edlund/Hene 1992:100f., Übers. d. Verf.).

13Gleichzeitig führt Seibicke für den Wortschatz allgemein an: „Im bildungssprachlichen Bereich sind die Verluste wahrscheinlich nicht erheblich, weil die ständige Beschäftigung mit der Vergan- genheit und historischen Zeugnissen, Texten vor allem, zur Tradierung und Konservierung sehr vieler Wörter vergangener Epochen geführt hat.“ (Seibicke 1985:1513)

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seine Motivationsbasis verloren hat, besonders wenn es sich um Personenbe- zeichnungen handelt, die durch ihre semantische Struktur eng mit der Basis verbunden sind.

2.1.2. Einflüsse auf die deutsche Sprache

2.1.2.1. Klassische Sprachen

„Die deutsche Sprache ist von den klassischen Sprachen so stark beeinflußt worden wie von keiner anderen. Das gilt für die ältere Zeit vor allem, und soweit es unmittelbare Beeinflussung angeht, fast ausschließlich vom Latein.“

(Rosenfeld 1980:653) Dieser Kontakt des Lateinischen mit dem Deutschen in alt- und mittelhochdeutscher Zeit hat besonders das lexikale System des Deut- schen beeinflußt; die Entlehnungen dieser Zeit sind in der Regel vollständig assimiliert. Jedoch „setzt mit dem Humanismus eine umfassende Latinisie- rung des Deutschen [...] ein, welche auf einer programmatischen, kulturellen und sprachlichen Loyalität gegenüber dem klassischen Latein beruht“ (Mun- ske 1982:239f.). Dies bedeutet, daß Entlehnungen aus dieser Zeit nicht in glei- chem Umfang wie die frühen Entlehnungen in das deutsche Sprachsystem integriert wurden. Es bildeten sich eigene Teilsysteme in Phonologie, Graphe- matik und Morphologie für diese neueren Entlehnungen heraus, die Munske als periphere Systeme lateinischer Transferenzen bezeichnet (ebd. 252).14So zeichnen sich spätere lateinische Entlehnungen ins Deutsche oft durch phono- logische Abweichungen vom heimischen System aus, indem sie eine andere Wortstruktur und somit keinen Stammsilbenakzent aufweisen. Es handelt sich nicht so sehr um Einflüsse aus dem Lateinischen, sondern um „Erscheinungen der ‘Attraktion’“ durch das Lateinische (Munske ebd. 242f.). Man kann auch von einem (kulturellen) „Superstrat“ im Deutschen sprechen, das zu einer

„zweifachen Struktur des Deutschen“ führt. Indigener Wortschatz und Fremd- wortschatz, der größtenteils aus lateinisch-romanisch-griechischen Morphe- men besteht, bilden „partiell eigene Ausdruckssysteme des deutschen Gesamt- systems“ (Munske 1988:50). Dadurch unterscheidet sich das Deutsche von Sprachen wie z.B. dem Englischen mit seiner starken Vermischung germani-

14Vgl. Kirkness (1984a:15), der die Übernahmen und Bildungen aus dem Lateinischen als ein eigenes „Subsystem“ im Deutschen neben dem System der ererbten Elemente germanischen Ur- sprungs ansieht, das sich in vollem Umfang erst im 17. und 18. Jahrhundert entwickelt hat. Er bringt dies mit dem Aufkommen des Purismus in Verbindung: „[...] in the 17th and 18th centuries, with the development of the notion, if not the name of a foreignism – the term Fremdwort dates from the beginning of the 19th century – and with the onset of organised purism in the sense of an anti-foreignism campaign, the two sets largely parted company. Crossfertilisation decreased, the stability of the independent sets increased. Here again, we can see evidence of a transition in speakers’ attitudes and of change in language structure.“ Munskes Erklärung der Beibehaltung lateinischer Elemente auch durch die Loyalität gegenüber dem Lateinischen ist überzeugender. Es ist durchaus eine Wertschätzung dieser lateinischen Züge in ihrem eigenen System vorhanden, welche die Integration in das deutsche Sprachsystem verhindert, gepaart mit Ablehnung der Lati- nismen (und Gräzismen, Gallizismen) aus Furcht vor Überfremdung. Vgl. auch Kap. 2.1.2.2 zum Französischen.

(22)

scher und lateinisch-romanischer Elemente und dem aus dem Latein hervorge- gangenen Französischen. In diesen Sprachen sind die lateinischen Elemente nicht so klar wie im Deutschen von den heimischen oder den ererbten zu trennen.

Durch das Lateinische werden auch griechische Elemente vermittelt;

ebenso vermitteln andere Sprachen lateinische Elemente, besonders Franzö- sisch und Englisch. Gallizismen und Anglizismen wurden (und werden) oft ins Deutsche integriert, indem sie an die entsprechenden lateinischen Teilsysteme im Deutschen angepaßt werden. Dies gilt für Grundmorpheme sowie für Wort- bildungsmorpheme (Munske 1982:254): So werden beispielsweise alle aus dem Französischen entlehnten Adjektive auf -ant mit Nasalvokal [ã] in der Aussprache wie Latinismen behandelt (elegant, pikant [ant] noch mit Endbe- tonung, vgl. Munske 1984). Das frz. Suffix -eur kann zu lat. -or werden (trans- formateur > Transformator). Aus diesem Grund sind die ausdrucksseitig latei- nischen Entlehnungen und Bildungen sehr zahlreich. Zugleich wurde mit den sog. „mots savants“ im Französischen selbst eine Möglichkeit geschaffen, la- teinische Wörter zu integrieren (Bsp. lat. actio, actionis > frz. action, Lüdtke 1984:870). Es können auch ursprünglich lateinische Wörter über neuere Spra- chen aufgenommen werden, auch hier oft in latinisierter Form. Deshalb ist es oft schwierig, zu entscheiden, ob ein Wort direkt aus dem Lateinischen oder auf dem Umweg über andere Sprachen entlehnt wurde. Prinzipiell sollte man jedoch bei Wortbildungen differenzieren zwischen der Ursprungssprache als Sprache, in der eine Bildung entstanden ist, und der Spendersprache als Spra- che, aus der eine Bildung übernommen wurde, auch wenn beides oft zusam- menfallen kann.15

Für die vorliegende Fragestellung sind vor allem Entlehnungen und Wort- bildungen ab der Zeit des Humanismus relevant, da deren Fremdmerkmale noch bewahrt sind. Entlehnungen aus der Römerzeit und auch aus dem Mittel- alter sind heute meist als Lehnwörter zu betrachten, da sie formal mehr oder weniger ins deutsche Sprachsystem integriert sind. Waren die Entlehnungen der Römerzeit in den Bereichen Handel und Verkehr, Garten- und Weinbau sowie Hausbau und Wohnkultur zu finden und stellten die Bereiche von „Kir- che und Kanzlei“ die meisten Entlehnungen des Mittelalters, so ist „der Wort- schatz der Wissenschaft und akademischen Einrichtungen in seiner heute noch weitgehend gültigen Form [...] in der Zeit des Humanismus geschaffen wor- den“ (Drux 1984:858). Wörter lateinischer Herkunft prägten und prägen z.T.

noch die Terminologie der Universitäten und Schulen sowie der Behörden und Gerichte. Die Festschreibung des römischen Rechts 1495 führte zur Etablie- rung lateinischer juristischer Termini, während die Gelehrtensprache Latein nach der Reformation noch etwa 200 Jahre verwendet wurde (vgl. P.G.

Schmidt 1986:45). In der Rechts- und Verwaltungs- sowie in der Wissen-

15Die Bezeichnung „Herkunftssprache“ soll dagegen als Oberbegriff für Ursprungs- oder Spen- dersprache gebraucht werden.

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schafts- und Schulsprache sind dann auch die meisten Personenbezeichnungen mit lateinischen Suffixen zu finden, allerdings in unterschiedlicher Ausprä- gung durch die Epochen. Sprachpurismus wirkte auch hier; so wurden in der Rechtssprache die meisten der entlehnten Termini seit Ende des 18. Jh.s durch Verdeutschungen ersetzt (vgl. Brandt 1988:122ff.).

Die Sprache der jüngeren Entlehnungen war das sog. Neulatein, das aus der Wiederbelebung des klassischen Lateins in Italien im 14. und (in Deutschland) im 15. Jh. hervorgegangen war: „Neulatein stellt trotz individueller und regio- naler, nicht zuletzt durch Einwirkungen der jeweiligen Landessprachen be- dingter Unterschiede die lingua franca europäischer Gelehrter und Wissen- schaftler während und jahrhundertelang nach der Renaissance dar“ (Kirkness 1991b:337). Im 18. Jh. begann der lebendige Gebrauch des Lateins abzuneh- men, was im Zusammenhang mit der bürgerlichen Emanzipationsbewegung in der Aufklärung zu sehen ist. Jedoch war auch im 18. Jh. die Wissenschafts- und Gebrauchsprosa oft von lateinischen Wörtern durchsetzt (vgl. Rosenfeld 1980:657). Im 19. Jh. nehmen die neuen Wortbildungen mit klassischen Be- standteilen immer größeren Raum ein. Der Fachwortschatz insbesondere der Naturwissenschaften und der Medizin, aber vor allem auch der Wortschatz der Technik, der Industrie und des Handels wird unter Verwendung lateinischer Elemente ausgebaut. Personenbezeichnungen gehören daneben auch dem po- litischen Wortschatz an; Französisch und Englisch sind oft die Vermittler sol- cher Wörter in den bürgerlichen Revolutionen und politischen Bewegungen des 19. Jh.s (Drux 1984:860). Diese Tendenz setzt sich im 20. Jh. fort; hier kommt die Werbesprache als neues Gebiet lateinischer Beteiligung hinzu:

„Seit Minimax und Audi, Vim, Fido und Securitas gibt es viele Produkte oder Firmen, die mit lateinischen oder latinisierenden Elementen werben, wie der Produktname Semperit, der beim Käufer den Eindruck hervorruft, daß dieser Reifen läuft und läuft und läuft...“ (P.G. Schmidt 1986:47). Man muß hinzufü- gen: beim Käufer, der das entsprechende lateinische Wort kennt.

Neu entstandene Bildungen mit lateinischen (und griechischen) Elementen spiegeln somit moderne Vorstellungen:

It is clear [...] that the Latin, and still more the Greek lexical elements which have entered modern languages, give, if we consider them as a whole, a picture which is often far from faithful to ancient ideas, because very few of them have been dug up for love of anquinity, and most of them have simply been called upon to serve some modern end.

In the vocabulary of modern Western languages electro by now refers only to electricity, and if for some reason it should become necessary to express the idea of “amber” in a compound term, it would be impossible to have recourse to elec- tro-. (Migliorini 1956:20)

Der Humanismus war auch eine Quelle direkter Entlehnungen aus dem Grie- chischen ins Deutsche. Wichtiger ist das Griechische jedoch im Zusammen- hang mit neuen Wortbildungen geworden. Darüber hinaus gibt es eine große Menge durch das Lateinische vermittelte Gräzismen, was sich auch an der

(24)

Zahl der griechisch-lateinischen Mischbildungen zeigt. Lateinische Suffixe werden an griechische Stämme angehängt und umgekehrt (Katalys-ator, Ap- pendic-itis), daneben gibt es Komposita wie Automobil und Television (vgl.

Rosenfeld 1980:659).

Mit den Wörtern kommen die entsprechenden Fremdsuffixe ins Deutsche.

Diese werden auch mit nicht-entlehnten Wortstämmen verbunden, was jedoch viel seltener ist als die Verbindung mit den entlehnten Basen.16Aus dem Latei- nisch-Griechischen kommt der größte Anteil von Fremdsuffixen bei Personen- bezeichnungen und bei allen anderen Lexemen. Sechs der hier diachronisch näher untersuchten Suffixe (alle außer dem ursprünglich griechischen -ist) sind lateinischer Herkunft.

2.1.2.2. Neuere Sprachen

„Im Gegensatz zu den übrigen romanischen Sprachen, deren Einfluß sich auf bestimmte Epochen konzentrierte, hat der Transfer Französisch → Deutsch von Anfang an und ohne Unterbrechung gewirkt; er ist eine Konstante der deutschen Sprachgeschichte“ (B. Müller 1986:71). Besonders stark war der französische Spracheinfluß im Mittelalter sowie vom Ende des 16. bis zum Ende des 19.

Jahrhunderts. Der neuzeitliche „Einfluß“ war ebenfalls – wie beim Latein – eher die Folge einer Attraktion der maßgeblichen Schichten der deutschen Gesell- schaft durch das politisch und kulturell führende Frankreich. Besonders im 16.

und 17. Jahrhundert, als die meisten Wörter übernommen werden, ist die Ober- schicht prinzipiell zweisprachig; auch in den folgenden Jahrhunderten hat das Französische den Rang der herausragenden Kultursprache. Die Konkurrenz durch das Englische setzt ernsthaft erst nach dem Zweiten Weltkrieg ein.

Sachgebiete der Entlehnungen sind „fast alle Bereiche des städtischen Le- bens sowie der Wirtschaft und der Stadtverwaltung“ (Lüdtke 1984:876), dane- ben in hohem Grad auch das Militärwesen. Zahlreiche Entlehnungen sind al- lerdings im Zuge von Sprachreinigungsbestrebungen ersetzt worden; zum ei- nen gab es die Verdeutschungsversuche der Sprachgesellschaften des 17. Jh.s und des Aufklärers Campe im späten 18. und frühen 19. Jh., zum anderen die massive Eindeutschungskampagne des Deutschen Sprachvereins Ende des 19.

und Anfang des 20. Jh.s. Letztere führte u.a. zur Verdeutschung der Amtsspra- che im Post- und Fernmeldewesen.

Wie beim Lateinischen war der französische Spracheinfluß so stark, daß mit den Wörtern auch Suffixe übernommen wurden, „die nicht nur als Bestand- teile entlehnter Wörter erkennbar, sondern darüber hinaus produktiv, also zu Neubildungen verwendbar sind bzw. zeitweilig waren“ (Lüdtke 1980:674).

Außer den Suffixen aus der ritterlich-höfischen Zeit (u.a. -ier) gab es die Suf- fixe der sog. „mots savants“ (u.a. -aire > -är) und neuere, aber weniger pro- duktive französische Suffixe wie -ade, -age, -aille.17 Die Wortbildung mit ent-

16 Zur Wortbildung mit Fremdsuffixen s. Kap. 2.2.1.4.

17 Zu den Fremdsuffixen für Personenbezeichnungen s. Kap. 2.2.2.2.2.

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