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DIGLOSSIE IN DEUTSCHSCHWEIZER SPITÄLERN

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INSTITUTIONEN FÖR

SPRÅK OCH LITTERATURER

DIGLOSSIE IN DEUTSCHSCHWEIZER

SPITÄLERN

Studie zu Sprachgebrauch und

Spracheinstellung von MitarbeiterInnen

Lea Späti

Uppsats/Examensarbete: 15 hp Program och/eller kurs: TY1310

Nivå: Grundnivå

Termin/år: VT 2020

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Abstract

Uppsats/Examensarbete: 15 hp Program och/eller kurs: TY1310

Nivå: Grundnivå

Termin/år: VT 2020

Handledare: Michelle Waldispühl Examinator: Magnus P. Ängsal Rapport nr:

Nyckelord: Sprachgebrauch, Spracheinstellung, Soziolinguistik, Varietät, Di-alekt versus Standard, Kommunikation im Spital, Diglossie in der Deutschschweiz

Diglossie in Deutschschweizer Spitälern;

Studie zu Sprachgebrauch und Spracheinstellung von MitarbeiterInnen

Die Sprachsituation in der Deutschschweiz ist durch die Präsenz und den Gebrauch zweier Vari-etäten des Deutschen, nämlich sowohl des Schweizerdeutschen als auch des Standarddeutschen, geprägt. Diese Sprachsituation spiegelt sich auch in deutschschweizerischen Spitälern, genauer gesagt in der Kommunikation der MitarbeiterInnen wider. Diese Studie verfolgt das Ziel, zu un-tersuchen, wie das Bewusstsein über den Sprachgebrauch der genannten Varietäten in deutsch-schweizerischen Spitälern aussieht, und zwar am Beispiel von autochthonen und allochthonen MitarbeiterInnen. Die dazu formulierten Fragestellungen lauten: Welche Sprachform wird von autochthonen und allochthonen MitarbeiterInnen wann und nach welchen Kriterien benutzt, und wie wird die Wahl der einen oder anderen Varietät subjektiv begründet. Um diese Fragen beant-worten zu können, wurden Daten durch eine Onlinefragebogenerhebung und 6 leitfadengesteuerte Tiefeninterviews erhoben. Die Resultate zeigen vier verschiedene Auswahlkriterien (Adressat, Situation, Ziel der Kommunikation und Region) für die Wahl der einen oder anderen Varietät auf. Darüber hinaus zeigte sich in der Begründung der Varietätenwahl, dass sowohl dem Schweizer-deutschen als auch dem StandardSchweizer-deutschen individuelle Eigenschaften zugesprochen werden.

Study on language attitudes and the awareness of the usage of Swiss German and Standard German in hospitals in German-speaking Switzerland

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Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung ... 1

2 Theoretische Grundlagen ... 3

2.1 Begriffserklärung des Schweizerdeutschen und des Standarddeutschen ... 3

2.2 Gebrauch von Dialekt und Standarddeutsch in der Deutschschweiz ... 4

2.3 Codeswitching / Mischformen ... 7

2.4 Spracheinstellung ... 10

3 Bestehende Forschung ... 12

3.1 Sprachgebrauch und Spracheinstellungen in der Deutschschweiz ... 12

3.2 Kommunikation in Spitälern, ein allgemeiner Überblick... 16

3.3 Zusammenfassung und Diskussion des Forschungsstandes ... 17

3.4 Forschungsfrage ... 19

4 Methode und Material ... 20

4.1 Methodik, Vorgehen der Datengewinnung ... 20

4.2 Material... 21

4.2.1 Fragebogenerhebung ... 21

4.2.2 Tiefeninterviews ... 22

4.3 Angaben zu den Gewährspersonen ... 23

4.3.1 Allgemeine Angaben ... 23

4.3.2 Detailliertere Angaben zu den Gewährspersonen der Tiefeninterviews ... 25

5 Präsentation der Resultate ... 26

5.1 Verwendung der beiden Varietäten ... 26

5.1.1 Abhängigkeit vom Kommunikationspartner ... 30

5.1.2 Abhängigkeit von der Situation ... 35

5.1.3 Andere Auswahlkriterien ... 38

5.2 Begründung der Varietätenwahl ... 39

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6 Diskussion der Resultate ... 48

6.1 Mit welchen Personen verwenden autochthone sowie allochthone SprecherInnen im Spitalalltag CHD oder SD? ... 48

6.2 In welchen Gesprächssituationen verwenden autochthone sowie allochthone SprecherInnen im Spitalalltag CHD oder SD? ... 50

6.3 Wie wird die Wahl der Varietät von den MitarbeiterInnen subjektiv begründet? 52 7 Zusammenfassung und Perspektive ... 56

Literaturverzeichnis ... 59

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis ... 63

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1 Einleitung

Die Deutschschweiz weist eine Sprachsituation auf, die sich darin auszeichnet, dass zwei Varietäten des Deutschen, sowohl das Schweizerdeutsch als auch das Standarddeutsch nebeneinander präsent sind und gebraucht werden (Sieber, 2010: 373). Diese Sprachsitu-ation spiegelt sich auch in Deutschschweizer institutionellen Kontexten wie Spitälern wi-der. In dieser Arbeit geht es um das Bewusstsein über den Sprachgebrauch zweier Vari-etäten, Schweizerdeutsch und Standarddeutsch, in deutschschweizerischen Spitälern, am Beispiel von MitarbeiterInnen ausgewählter Spitäler in der Deutschschweiz. Die Berufs-gruppe der ÄrztInnen sowie der diplomierten ExpertInnen der Anästhesie ist interessant zu untersuchen, da sie sich durch ihre Heterogenität auszeichnet. Es handelt sich um eine Mischung von MitarbeiterInnen mit unterschiedlicher Sprachbiographie, die täglich beide Varietäten in ihrer Kommunikation benutzen. Die Untersuchung dieser Berufsgruppe ist auch deswegen relevant, da im Spitalbetrieb täglich beide Varietäten gesprochen werden. Kommunikationsschwierigkeiten zwischen MitarbeiterInnen, die Schweizerdeutsch als Muttersprache haben (autochthone) und MitarbeiterInnen, die Schweizerdeutsch nicht als Muttersprache haben (allochthone), sind sowohl in formellen als auch informellen Sprachsituationen zu beobachten. Jedoch gibt es bisher noch keine Untersuchung zur diglossischen Sprachsituation von autochthonen und allochthonen MitarbeiterInnen in ei-nem Spitalbetrieb. Die vorliegende Studie liefert dazu erste Ergebnisse. Eine ähnliche Studie zur Sprachsituation (Spracheinstellung und Sprachverhalten) in deutschschweize-rischen Gottesdiensten mit Fokus auf die Berufsgruppe deutschschweizerischer Pfarrper-sonen wurde von Oberholzer (2018) durchgeführt. Das Ziel dieser Studie ist das Bewusst-sein dieser heterogenen Personengruppe über den Sprachgebrauch im Spitalalltag zu un-tersuchen. Es wird der Frage nachgegangen, welche Sprachform wann und nach welchen Kriterien benutzt wird und wie die Wahl der einen oder anderen Varietät subjektiv be-gründet wird.

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2 Theoretische Grundlagen

In diesem Kapitel wird ein theoretischer Überblick zu Schweizerdeutsch und Standard-deutsch im Allgemeinen gegeben. Ausserdem wird der Gebrauch der beiden Sprachfor-men in der Deutschschweiz näher erläutert und die Grundlagen des Varietätenwechsels dargestellt. Theoretische Grundlagen zu Spracheinstellungen bilden den Schluss des Ka-pitels.

2.1 Begriffserklärung des Schweizerdeutschen und des Standarddeutschen

Das Schweizerdeutsch (= CHD) ist als Sammelbegriff für alle schweizerdeutschen Dia-lekte zu verstehen (Sieber 2010: 373; Christen et al. 2013: 24) und wird in der vorliegen-den Arbeit auch als solcher Sammelbegriff verwendet, da die einzelnen Dialekte eine untergeordnete Rolle spielen. Das Schweizerdeutsch wird dem Standarddeutschen gegen-übergestellt.

Das Standarddeutsch (= SD) ist eine plurizentrische Sprache, die in der Schweiz ein „ak-tives Zentrum“ aufweist (Ammon 2018: 71f.)1 und sich nur minimal vom bundesdeut-schen Standard oder vom österreichibundesdeut-schen Standard unterscheidet. Sieber (2010: 378f.) gibt einen Überblick über Unterschiede dieser Standardvarietäten. Erwähnenswert findet Sieber die Tatsache, dass das Graphem <ß> in der deutschen Standardsprache der Schweiz durch das Doppel <ss> ersetzt wird. Kleinere Unterschiede sieht er unter ande-rem in der Betonung, „[h]äufig sind die Wörter im Schweizerhochdeutsch erstbetont, wo in Deutschland Zweit- oder Drittsilbenbetonung vorliegt“ (Sieber 2010: 377f.), z.B. 'Ab-teilung, 'unvergesslich, 'vorzüglich (ebd.). Weitere Unterschiede zum bundesdeutschen oder österreichischen Standard können auch auf lexikalischer Ebene gefunden werden. Beispiele hierfür sind, „parkieren (parken), Traktandenliste (Tagesordnung), Estrich (Dachboden) […]“ (Sieber 2010: 376), diese werden auch „Helvetismen“ genannt. Darüber hinaus erscheinen Sieber (2010: 379) die Unterschiede im Sprachgebrauch noch wichtiger. Er betont, dass die Standardvarietät des Deutschen in der Schweiz manchmal als „unzugänglich“ für Sprecher von bundesdeutschem Deutsch empfunden wird, da Un-terschiede in Sprachtempo (langsam vs. schnell), Sprecherwechsel (monologisieren vs. dialogisieren), Intonation (singend vs. abfallend), Diskussionsverhalten und

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Kommunikationsverhalten (indirekte Kommunikation vs. direkte Kommunikation) aus-gemacht werden können (Sieber 2010: 379).2

Trotz dieser Differenzen sind die Unterschiede zwischen den genannten Standardvarietä-ten gering. Deutliche Unterschiede liegen aber zwischen dem Standarddeutschen und dem Schweizerdeutschen vor. Das Schweizerdeutsche ist deswegen klar vom Standard-deutschen zu unterscheiden (Christen et al. 2010: 17; Sieber 2010: 375-380). Obwohl die einzelnen Dialekte des Schweizerdeutschen regional unterschiedlich sind, stimmen sie in einigen Charakteristika überein und lassen sich so zum SD kontrastieren (Friedli & Wal-dispühl 2014: 26f.). Einerseits lassen sich diese Unterschiede auf den Lautwandel im Frühneuhochdeutschen zurückführen. In dieser Zeit wurde die Diphthongierung nicht überall im deutschen Sprachraum durchgeführt, so auch nicht in der Schweiz, was zu nennenswerten Unterschieden in der Lautung der Varietäten im deutschen Sprachraum führte (Stedje & Prell 2007: 162-165). Beispielsweise wurden die Langvokale, die aus dem Mittelhochdeutschen stammen, erhalten, hȗs wurde im Schweizerdeutschen nicht zu

Haus, weil der Langvokal (ȗ) erhalten blieb. Ebenfalls erhalten blieben „die […] alten

Diphtonge ie (lieb), uo/ue (gruess ‘Gruss’) und üe (grüesse ‘grüssen’)“ (Friedli & Wal-dispühl 2014: 26f.). Weiter sind bei der Wortbildung im CHD Verkleinerungsformen (Di-minutive) auffällig, so wird beispielsweise bei Substantiven die Endung -li angehängt und Stammvokale werden umgelautet, beispielsweise wird Hus zu Hüsli oder Chäfer zu

Chä-ferli. Darüber hinaus wird eine einzige Vergangenheitsform im CHD benutzt, nämlich

ausschliesslich die „analytische Perfektform“ und kein Präteritum (Friedli & Waldispühl 2014: 26f.). Das sind nur einige Merkmale des CHD, die es deutlich vom SD unterschei-den lassen.

2.2 Gebrauch von Dialekt und Standarddeutsch in der Deutschschweiz

Die Sprachsituation in der Deutschschweiz zeichnet sich darin aus, dass zwei Varietäten des Deutschen, sowohl das Schweizerdeutsch (=CHD) als auch das Standarddeutsch (=SD) nebeneinander präsent sind und gebraucht werden (Sieber 2010: 373). Oberholzer (2018: 38) weist auf das Zitat des Schriftstellers Hugo Loetscher hin, das besagt, dass DeutschschweizerInnen „innerhalb der eignen Sprache“ zweisprachig sind (Loetscher 1986: 28). Darüber hinaus ist der Sprachgebrauch der zwei Varietäten (Sprachformen)

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von Bedeutung. Schweizerdeutsch und Standarddeutsch bilden eher ein Verhältnis des „Nebeneinander[s]“ als des „Miteinander[s]“, so Oberholzer (2018: 38). Diese Erschei-nung des „Nebeneinander[s]“ zweier verwandter Varietäten wird in der Soziolinguistik zumeist als „Diglossie“(Sieber 2010: 373f.) bezeichnet.3

In jüngeren Studien wird die Situation als „mediale Diglossie“ bezeichnet, womit nicht nur das Vorhandensein von zwei Varietäten nebeneinander, sondern auch der unter-schiedliche Gebrauch der zwei Sprachformen in mündlicher und schriftlicher Form ge-meint ist (Petkova 2012: 130f.). So ist das CHD vorwiegend die Sprache der Mündlich-keit und wird hauptsächlich im Alltag benutzt, wohingegen das SD grundsätzlich die Schriftlichkeit dominiert (Petkova 2012: 130f.; Sieber 2010: 374). Wird trotzdem auf CHD geschrieben, so geschieht dies hauptsächlich im privaten Bereich wie zum Beispiel in persönlichen Mittteilungen, Chats, Blogs, oder der Mundartliteratur (Sieber 2010: 374). Somit kann von keinem sprachlichen Kontinuum der beiden Varietäten in der Deutschschweiz gesprochen werden (Sieber 2010: 374). Anders sieht es etwa in ober-deutschen Sprachregionen in Deutschland oder Österreich aus. In Österreich kann von einem sprachlichen Kontinuum (Dialekt, Regiolekt, Standard) gesprochen werden, da die Umgangssprache oft ein Regiolekt ist, was einen fliessenden Übergang von Dialekt zur Hochsprache gewährleistet (Sieber 2010: 374)4.

Es gibt allerdings auch wenige Stimmen, die die Sprachsituation in der heutigen Deutsch-schweiz eher als eine bilinguale ansehen. Oberholzer (2018: 58) verweist dabei auf Ris (1990: 42), der argumentiert, dass das Standarddeutsche von DeutschschweizerInnen heutzutage

nicht mehr als die eine der beiden Formen der Muttersprache (Otto von Greyerz) betrachtet [wird], sondern als problemlos zu verstehende und leicht an-zuwendende Zweitsprache im Sinne des Bilingualismusmodells oder gar als Fremdsprache, die mit den eigentlichen Schulfremdsprachen auf derselben Ebene steht. (Ris 1990: 43)5

Ris‘ (1990) Sicht auf die Sprachsituation in der Deutschschweiz wird kontrovers disku-tiert, obwohl auch Berthele (2004: 112) ihm zustimmt. Er hält fest, dass die Aussage von

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Deutschschweizer Laien, die das SD als „Fremdsprache“ bezeichnen, in die Diskussion über die Sprachsituation in der Deutschschweiz miteinbezogen werden muss (Berthele 2004: 127). Es kann also angenommen werden, dass die Sprachsituation in der Deutsch-schweiz nicht mehr eindeutig als Diglossie beziehungsweise mediale Diglossie bezeich-net und akzeptiert wird, sondern dass sich die Sprachsituation in der Deutschschweiz wandelt und so zwangsläufig auch die klassische Definition des Diglossie-Begriffs in Be-zug auf die Deutschschweiz.

Oberholzer (2018: 58) zeigt die Diskrepanz zwischen der Verwendung von SD und CHD in mündlicher und schriftlicher Form in der Deutschschweiz auf. Sie verweist dabei auf Sieber (2010: 374), der deutlich macht, dass die Standardsprache „prinzipiell“ geschrie-ben und der Dialekt genauso „prinzipiell“ gesprochen wird (Sieber 2010: 374). Die Fä-higkeit zum Gebrauch beider Sprachformen zeichnet also Deutschschweizerinnen und Deutschschweizer aus, wobei, wie bereits erwähnt, beide Formen meist strikt voneinan-der getrennt verwendet werden (Christen et al. 2013: 24).

Nicht unerwähnt sollte bleiben, dass das CHD von allen DeutschschweizerInnen alltäg-lich mündalltäg-lich verwendet wird, ungeachtet des Bildungshintergrunds, sozialer Schichtzu-gehörigkeit oder ähnlicher Kategorien (Christen et al. 2013: 24).

Obwohl der mündliche Gebrauch des Standarddeutschen in der Deutschschweiz eine un-tergeordnete Rolle im Alltag spielt, kommt die Varietät im Mündlichen immer mehr zum Einsatz. „Zunehmende Mobilität und Migration bringen es mit sich, dass es vermehrt zu Kommunikationssituationen kommen muss, an denen sich – in Bezug auf die Deutsch-schweizer Dialekte – Autochthone und Allochthone begegnen“ erläutern Christen et al. (2010: 14).6 Diese mündliche Verwendung des Standarddeutschen teilt Oberholzer (2018: 42-44) gestützt auf die in Christen et al. (2010: 11-14) definierten drei „Konstel-lationen“ der mündlichen Verwendung des Standarddeutschen in drei Bereiche ein. Als erstes wird die „situationsinduziert[e]“ Konstellation genannt. In dieser Konstellation sind die „hohe Formalität und Distanz“ des „Gebrauchskontext[s]“ zentral. Dies ist zum Beispiel in Situationen an Schulen, Universitäten oder im Radio der Fall, wo die Stan-dardsprache institutionalisiert ist (Christen et al. 2010: 13). Zweitens wird der „adressa-teninduziert[e] Standardgebrauch“ genannt (Christen et al. 2010: 14), bei dem die

6 „Allochthon“ bedeutet, dass die Kommunikationspartnerin / der Kommunikationspartner „keinen

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sprachlichen Eigenschaften des Kommunikationspartners ausschlaggebend sind. Ist der Kommunikationspartner als nicht autochthon, aber als allochthon erkennbar, so ist der Wechsel ins Standarddeutsche eine Möglichkeit, um sich zu verständigen (Christen et al. 2010: 14). Oberholzer (2018: 43) stellt dem die Studie von Schläpfer et al. (1991: 211) gegenüber, wo sich bei einer Rekrutenbefragung (1985) zeigte, „dass junge Deutsch-schweizer Männer beim Dialekt bleiben, solange die Kommunikation“ mehrheitlich noch funktioniert (Oberholzer, 2018: 43).7

Als letzte Konstellation ist der „diskursinduzierte Standardgebrauch“ zu nennen. Hierbei kommt der gesprochene Gebrauch des Standarddeutschen (einzelne Zitate oder Ein-schübe) zum Einsatz, wenn es funktional nötig ist, um in einem primär dialektal gehalte-nen Gespräch „authentische Redewiedergabe[n] deutschländischer Äusserungen“ zu in-tegrieren (Christen et al. 2010: 63), beispielsweise um Zitate aus Vorlesungen, die in bundesdeutschem Standard gehalten wurden, originalgetreu wiederzugeben.

2.3 Codeswitching / Mischformen

Schweizerdeutsch und Standarddeutsch existieren in der Deutschschweiz nebeneinander und der Gebrauch zeichnet sich dadurch aus, dass SprecherInnen je nach Situation von der einen in die andere Varietät wechseln. Dieses „Wechseln“ wird in der linguistischen Forschung als „Codeswitching (CS)“ bezeichnet, das grundsätzlich als „das Benutzen von lexikalischen Einheiten aus zwei oder mehreren verschiedenen Sprachen in einem Kom-munikationszusammenhang, d.h. einem Text oder einem Gespräch“ definiert werden kann (Havermeier 2015: 7). Havermeier (2015: 7f.) betont, dass es sich bei der Definition des CS nicht ausschliesslich um den Wechsel von „klar abgegrenzten Einzelsprachen, die Nationalsprachen verschiedener Länder bilden“ handeln muss, sondern auch um den Wechsel zwischen „Varietäten einer Einzelsprache“. Havermeier (ebd.) verweist dabei auf die Studie von Blom und Gumperz (1972), die über verschiedene Varietäten des Nor-wegischen (Umgangssprache / Dialekt -> Ranamål vs. standardnahes Norwegisch -> Bo-kmål) im Zusammenhang mit CS geforscht haben. Auch aktuellere Forschung (vgl. Nil-sson 2011) zur Verwendung von „Dialekt und Hochsprache“ zeigte, dass CS auch in

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diesem Zusammenhang gleich wie CS in einer Kommunikation mehrerer verschiedener Sprachen funktioniert (vgl. Havermeier 2015: 8).8

Faktoren, die einen Kommunikationspartner in seiner Sprachwahl triggern, in eine andere Varietät des Norwegischen zu wechseln, konnten Blom und Gumperz (1972) in ihrer Stu-die aufzeigen. Drei Faktoren kristallisierten sich heraus, Stu-die massgeblich für einen Wech-sel in die eine oder die andere Varietät verantwortlich waren. Zum einen waren dies der Ort (Arbeit, Schule, Privatbereich), an dem sich das Gespräch abgespielt hat, sowie die kommunikative Situation (Sprecherkonstellation, formell vs. informell) und zum anderen die soziale Aktivität (z. B. Begrüssung, Verabschiedung, Besprechung bestimmter Ange-legenheiten unterschiedlicher Thematik), in der sich die Kommunikationspartner befan-den. Eine Veränderung einer dieser Konstanten führte dazu, dass ein Kommunikations-partner in die jeweils andere Varietät wechselte (Blom & Gumperz 1972: 422f.).9

Die drei Faktoren (Ort der Kommunikation, kommunikative Situation und soziale Akti-vität), die in der Studie von Blom und Gumperz (1972) beschrieben wurden, weisen eine Ähnlichkeit mit den Konstellationstypen, die Christen et al. (2010: 14) in ihrer Untersu-chung nennen, auf. Nach Christen et al. (2010: 14) kann ein Varietätenwechsel von CHD ins SD angezeigt sein, wenn bestimmte Konstellationen den Wechsel implizieren, bei-spielsweise die Situation (Formalitätsgrad), der Adressat (die sprachlichen Eigenschaften des Kommunikationspartners), oder aber der Diskurs, d.h., wenn es funktional impliziert ist, einzelne Aussagen in der Originalsprache wiederzugeben (Christen et al. 2010:14; Petkova 2016: 55f.).

Demgegenüber merkt Berthele (2004: 121) an, dass der Wechsel von der einen in die andere Varietät nicht nur nach dem Modell des CS definiert werden kann, sondern dass auch sogenannte „Mischsprachen“ existieren. Er weist darauf hin, dass „in der Deutsch-schweiz aus struktureller Sicht durchaus und möglicherweise in zunehmendem Masse Zwischenformen zwischen Mundarten und Standard existieren“ (2004: 121), die eine klare Trennlinie zwischen den beiden Varietäten nicht mehr zulassen (ebd.). Genauer ge-sagt handelt es sich hierbei um eine „Varietätenmischung“ (Petkova 2012: 134f.), sodass die eine oder die andere Varietät nicht mehr eindeutig als solche identifiziert werden kann, da bestimmte „standardsprachliche Lexeme in den Dialekt übernommen, aber nicht

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vollständig integriert werden in dem Sinne, dass sie beispielsweise lautlich nicht basisdi-alektal sind“ (Oberholzer 2018: 45).10 Christen (2000: 252) nennt diese Phänomene „sub-optimale Varietäten". Für Petkova (2012: 136) ist dies ein Indiz dafür, dass die Diglossie-Situation in der Deutschschweiz im Wandel ist, sodass nicht mehr von einer starren Tren-nung der zwei Varietäten ausgegangen werden kann, sondern eher von einem Kontinuum, das aus „Dialekt, Standard und etlichen Zwischenformen“ bestehen würde (ebd.). Weiter beschreibt sie die Schwierigkeit, die die Annahme eines solchen „Kontinuums“ auslösen würde, nämlich das Problem „der Messbarkeit des strukturellen Abstandes zwischen [den] zwei Varietäten“ (ebd.). „Denn auch hier ist es nicht möglich, einen Maßstab fest-zulegen und damit sozusagen auszurechnen, wo genau der Dialekt aufhört und die Stan-dardsprache beginnt und umgekehrt“ (ebd.). Die Tatsache, dass es sich in der schweiz trotzdem um eine Diglossie-Situation handelt, begründet sie, indem sie Deutsch-schweizer SprecherInnen folgende Kompetenzen zuweist: Zum einen seien „[d]ie Spre-cherinnen und Sprecher […] im Transfer von sprachlichem Material geübt. Ebenso sind sie aber auch darin geübt, dieses Material mithilfe der entsprechenden Varianten eindeu-tig als zur einen oder zur anderen Varietät zugehörig zu markieren“. Zum anderen „steht [es] ausser Zweifel, dass Deutschschweizer/innen beide Varietäten als zwei voneinander abgesonderte Einheiten konzeptualisieren und ihren Sprachgebrauch nach einem >entwe-der-oder< von Dialekt und Standardsprache ausrichten“ (ebd.). Abschliessend weist Pet-kova (2012: 137) aber darauf hin, dass diese beiden Begründungsansätze nicht alle Fragen zum Vorkommen der Mischphänomene der beiden Varietäten und ihren „Übergangsli-nien“ beantworten, betrachtet aber diese „Mischbereiche“ in der Deutschschweiz auch eher als marginal in ihrer Bedeutung.

Grundsätzlich stellen CS zwischen den zwei Varietäten (CHD und SD) und die Verwen-dung von Mischformen eine erweiterte kommunikative Ressource der Deutschschweizer-Innen dar (Oberholzer 2018: 45f.). In der vorliegenden Studie sind aber beide Kategorien (CS und Mischformen) auch für die allochthonen TeilnehmerInnen von Bedeutung. Des-wegen werden die erhobenen Daten der beiden Gruppen (autochthone und allochthone) unter Berücksichtigung der erwähnten Varietätenwechsel analysiert und eingeordnet (vgl. Kapitel 5).

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2.4 Spracheinstellung

Eine Einstellung wird grundsätzlich als eine Gesamtbewertung gegenüber einem Objekt gesehen (Oberholzer 2018: 152). Oberholzer erwähnt dabei Casper (2002: 19), die in ihrer Studie hinweist, dass in der Soziolinguistik der Fokus aber primär auf Spracheinstellun-gen geSpracheinstellun-genüber „Status, Funktion und Gebrauch von Sprachvarietäten“ und deren Einfluss auf das Sprachverhalten liegt (ebd.). Spracheinstellungsäusserungen sind laut Oberholzer (2018: 151-159)11 immer abhängig von drei Kontexten. Sie unterscheidet einerseits den Makro- (kulturellen), Meso- (soziale Situation) und Mikrokontext: (Interaktion). Einstel-lungsäusserungen werden demnach von diesen drei Kontexten (Kultur, soziale Situation und Interaktion), in der sich ein Individuum befindet, determiniert. Dies bedeutet auch, dass sich die Spracheinstellung ändern kann, wenn sich einer dieser Kontexte verändert (ebd.).

Sieber (2010: 380) erläutert, welche Spracheinstellungen sich in der Deutschschweiz auf-grund bestimmter Kontexte abzeichnen und warum. Wie bereits im vorhergehenden Ka-pitel geschildert, beinhaltet die Deutschschweizer Sprachensituation nebst der bekannten Diglossie auch unterschiedliche Spracheinstellungen. Laut Sieber (2010) sind

gegenüber Dialekt und Standardsprache oft sehr unterschiedliche Einstellungen vorhanden […], tendenziell sehr positive gegenüber den Dialekten als Medium der Mündlichkeit, tendenziell negative, zumindest distanzierte gegenüber der mündlichen Standardsprache, sofern sie aktiv gebraucht werden soll. (Sieber 2010: 380)

Sieber (2010: 380) erläutert weiter, dass die „Mühen“ mit dem SD mehrheitlich die Mündlichkeit betreffen. Standarddeutsch ist als Schreib- und Lesesprache hingegen all-gemein akzeptiert. Das CHD wird gegenüber dem SD als die Sprache der Mündlichkeit in der Deutschschweiz gesehen, mit ihm werden „Heimat“ und „Nähe“ verbunden. Die Beziehung zum SD beschreibt Sieber eher als „kühler“ und „distanzierter“.12 Er greift

aber auch die Problematik der Stereotypisierung zweier unterschiedlichen Sprachformen auf, die in der Diskussion zu Spracheinstellungen gegenüber CHD und SD öfters auftritt. Er weist darauf hin, dass eine allgemeine Diskrepanz zwischen der Sprache der Münd-lichkeit und der Sprache der SchriftMünd-lichkeit auch „andernorts“ ähnliche „Konnotationen“

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3 Bestehende Forschung

Im Folgenden wird ein Überblick über ausgewählte bisherige Forschung zu Sprachein-stellungen und Sprachgebrauch der zwei Varietäten SD und CHD sowie zur Kommuni-kation im Gesundheitswesen gegeben. Anschliessend erfolgen eine Zusammenfassung des bisherigen Forschungsstandes und die Vorstellung der Forschungsfrage dieser Studie.

3.1 Sprachgebrauch und Spracheinstellungen in der Deutschschweiz

Besonderes Interesse am Sprachgebrauch und an den Spracheinstellungen in der Deutsch-schweiz ist nicht erst kürzlich in den Vordergrund getreten. Bereits im 19. Jahrhundert beschäftigte sich die Öffentlichkeit mit „[der] Stellung von Schweizerdeutsch und Hoch-deutsch und dem Verhältnis der beiden Varietäten zueinander“ (Ruoss 2019: 3). Zu Be-ginn des 20. Jahrhunderts kam dann die Sprachensituation in der Deutschschweiz auf-grund der Angst vor einem Niedergang schweizerdeutscher Dialekte weiter in den Fokus (Oberholzer 2018: 24). Man spricht auch von der ersten „Mundartwelle“ in der Deutsch-schweiz, gefolgt von der zweiten um 1930 und der dritten im Jahr 1960. Diese regten jeweils auch zur sprachwissenschaftlichen Forschung an (Oberholzer 2018: 24).

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Dies bedeutet, dass Spracheinstellungen der weiblichen Bevölkerung nicht berücksichtigt worden sind.13 Die Umfrage beinhaltete neben Fragen zu Einstellungen zum mündlichen sowie schriftlichen Gebrauch von CHD und SD in der Deutschschweiz auch Einstellun-gen zu Sprechergruppen anderer Sprachen (Italienisch, Französisch, Rätoromanisch) in der Schweiz. Das Ergebnis zeigte, dass das CHD klar als die Sprache der Mündlichkeit, der Nähe und der Gefühle eingestuft wurde, wohingegen das SD als die Sprache der Schriftlichkeit und der Distanz bezeichnet wurde (Gutzwiller 1991: 142). Gutzwiller (1991: 145) hält fest, dass das Ergebnis ungeachtet des Bildungshintergrunds und der sozialen Schichtzugehörigkeit des Einzelnen „mehrheitlich übereinstimmt“. Es konnte auch gezeigt werden, dass die befragten Deutschschweizer Rekruten zu 98% CHD als ihre einzige Muttersprache angaben (Gutzwiller 1991: 93). Interessant war auch die Tat-sache, dass 58,4 % der Rekruten mit deutschsprachigen Ausländern primär versuchen ein Gespräch in CHD zu führen und erst ins SD wechseln, wenn eine Kommunikation im CHD zu keinem Erfolg führen würde (Gutzwiller 1991: 169f.). Weitere Ergebnisse zeig-ten wie die Rekruzeig-ten verschiedene Sprechergruppen aus der Westschweiz, der italieni-schen Schweiz und der rätoromaniitalieni-schen Schweiz, sowie Sprechergruppen angrenzender Länder, beispielsweise Deutschland und Österreich, Frankreich und Italien bezüglich ih-rer Sympathie einstuften. Dabei zeigte sich, dass die Sympathiewerte gegenüber Personen aus Deutschland unter 50% lagen (Gutzwiller 1991: 148-150).14 Gutzwiller deutet dies als zusätzlichen Distanzmarker nicht nur gegenüber des SD, sondern auch den Deutschen allgemein. Oberholzer (2018) äussert sich kritisch zu den Resultaten. Sie merkt an, dass eine schriftliche Befragung nur in begrenztem Masse eine tatsächliche Spracheinstellung widerspiegle. In dieser Studie wurden hauptsächlich geschlossene Fragen gestellt, ohne selbst Anmerkungen vornehmen zu können, weswegen solche Fragen stereotype Antwor-ten begünstigen können (Oberholzer 2018: 162).

Eine ähnliche Studie zu Einstellungen von Deutschschweizerinnen und Deutschschwei-zern zum SD in der Deutschschweiz führte Scharloth (2005) durch. Scharloth untersuchte anhand eines Fragebogens und eines Wahrnehmungsexperiments, wie hoch der Anteil an Deutschschweizerinnen und Deutschschweizern ist, „die sich beim Gebrauch der Stan-dardsprache unsicher fühlen“ (Scharloth 2005: 242). Des Weiteren untersuchte er die Gründe für ein mögliches „Defizienzempfinden“ gegenüber dem SD. Diese zwei

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Forschungsfragen versuchte er anhand eines Fragebogens zu beantworten und stellt sie den Ergebnissen gegenüber, die er anhand eines Wahrnehmungsexperiments zum Be-wusstsein der Plurizentrizität des SD erhielt. Dabei zeichnete sich eine deutliche Diskre-panz zwischen den Ergebnissen des Fragebogens und des Wahrnehmungsexperiments ab. Auf die Frage, „Wie gut meinen Sie, kann der durchschnittliche Schweizer Hoch-deutsch?“, antworteten 76% der Befragten mit „mässig“, 18% mit „schlecht“ und nur 6% mit „gut“ (Scharloth 2005: 241). Trotzdem gaben 80% der Befragten an, dass die eigenen Hochdeutschkenntnisse über denen eines durchschnittlichen Schweizers liegen (Schar-loth 2005: 244). Zudem gaben 79% der Befragten an, dass das Hochdeutsche für Schwei-zer die erste Fremdsprache sei. Nur 29,6% antworteten aber auf die Frage, ob das Hoch-deutsche für Sie selbst eine Fremdsprache darstelle, mit ja. Scharloth (2005: 241) deutet „diese überaus negative Einschätzung der Hochdeutschkompetenz in der Schweiz“ als „Komplex“ gegenüber dem „Umgang mit der eigenen Standardsprache“ (Scharloth 2005: 241). Für diesen Komplex ist laut Scharloth (2005: 242) „die eigene standardsprachliche Kompetenz“ verantwortlich. Ist diese eingeschränkt, sodass „sich der Sprecher beim schriftlichen und mündlichen Gebrauch der Standardsprache gehemmt oder unsicher“ (Scharloth 2005: 242) fühlt, so ist die Einschätzung gegenüber der Hochdeutschkompe-tenz negativ. Dies führt dann zu einem „Defizienzempfinde[n]“ (Scharloth 2005: 242). Die Tatsache, dass die Schweiz ein plurizentrisches Zentrum des Standarddeutschen dar-stellt, wurde in dieser Studie hinterfragt, da aufgrund der erhaltenen Ergebnisse von ei-nem fraglichen Bewusstsein um die Existenz unterschiedlicher Standardvarietäten des Deutschen ausgegangen werden kann (Scharloth 2005: 242).

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wohingegen die mündliche Verwendung des SD hauptsächlich in den Bereichen der „Schule“ und der „Arbeitswelt“ zur Anwendung kommt, „aber tendenziell immer nur ne-ben dem häufiger verwendeten Schweizerdeutschen“ (Werlen 2004: 21). Darüber hinaus konnte er in den genannten zwei Bereichen eine „soziolinguistische Verteilung“ erken-nen.

Sowohl Hochdeutsch als auch die Fremdsprachen Englisch und Französisch werden von den höher Gebildeten und den höheren Berufen klar mehr verwendet als von den weniger hoch Gebildeten und vor allem den manuellen Berufen. (Werlen 2004: 21).

Christen et al. (2010) führten eine Studie durch, in der sie Polizeinotrufgespräche unter-suchten. Der Fokus lag dabei auf dem Sprachgebrauch der zwei Varietäten und welche von wem und wann verwendet wird. Genau untersucht wurde, wann Deutschschweizer Polizistinnen und Polizisten, die die Notrufzentrale bedienten (also autochthone Perso-nen, Sprecherinnen und Sprecher, die sowohl einen schweizerdeutschen Dialekt als auch die Standardsprache beherrschen), ins Standarddeutsche wechseln, wenn sie einen Notruf einer autochthonen beziehungsweise einer allochthonen Person entgegennahmen. Was genau den Wechsel von CHD ins SD triggert (z.B. adressateninduzierter

Standardge-brauch, vgl. oben, Kapitel 2.2), war im Fokus des Projekts, wobei die Gespräche mit der

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Grussformel und das explizite Zugehörigkeitssignal (zur Deutschschweiz gehörend oder nicht) (Christen et al. 2010: 100-136).

Oberholzer (2018) führte eine ähnliche Studie zur Sprachsituation (Spracheinstellung und Sprachverhalten) in Deutschschweizer Gottesdiensten mit der Berufsgruppe der Pfarrper-sonen durch. Oberholzer untersuchte den „tatsächlichen Sprachgebrauch“ und die Spracheinstellung von Pfarrpersonen in ihrem beruflichen Alltag. „Der Fokus der Unter-suchung des Sprachgebrauchs liegt auf Wechseln zwischen den beiden Varietäten Dialekt und Standarddeutsch“ (Oberholzer 2018: 30) und welche Faktoren eine Varietätenwahl auslösen (Oberholzer 2018: 31). Die Daten wurden sowohl objektiv (Audioaufnahmen) als auch subjektiv (online Fragebogen, Tiefeninterviews) erhoben und getrennt analysiert. Die Ergebnisse zeigten, dass die Pfarrpersonen als Berufsgruppe durch die Diglossie die Möglichkeit haben, ihren Gottesdienst relativ frei zu gestalten, d.h. CHD beziehungs-weise SD funktional einzusetzen, um so den Gottesdienst individuell sprachlich zu ge-stalten. Das SD wird dabei am häufigsten gebraucht, „wo ein Zitat aus der Schriftlichkeit markiert werden soll“ (Oberholzer 2017: 148). Die Pfarrpersonen können so die zwei Varietäten funktional unterschiedlich einsetzen. Oberholzer (2017: 148) hält es darum für berechtigt, die Sprachsituation in der Deutschschweiz als Diglossie zu bezeichnen. Des Weiteren wurde deutlich, dass „[d]ie subjektive Einschätzung […] mit der objektiv fest-gestellten Varietätenverwendung weitgehend überein[stimmt]“ (Oberholzer 2017: 148). Abschliessend „konnte gezeigt werden, dass die in der Deutschschweiz gängigen Sprach-formenstereotype auch Pfarrpersonen bekannt sind, sie aber in der Tendenz Standard-deutsch positiver einschätzen, als dies erwartet wurde“ (Oberholzer 2017: 148).15

3.2 Kommunikation in Spitälern, ein allgemeiner Überblick

Kommunikation allgemein verstanden dient grundsätzlich zur „Übermittlung von Infor-mationen und beschreibt grundlegend die Verständigung zwischen Menschen mithilfe von Sprache oder Zeichen“ (Zepp 2016: 556). Meibauer et al. (2015: 219) betrachten Kommunikation „als eine Form von zielgerichtetem, kooperativen und rationalen Han-deln“. Eine Kommunikation ist dann erfolgreich, wenn Kommunikationspartner in einem Gespräch miteinander kooperieren und gemeinsam handeln, „um ein gemeinsames Ziel zu erreichen“, nämlich das einer erfolgreichen Verständigung (ebd.). Eine erfolgreiche

(21)

Kommunikation ist nicht nur im allgemeinen Alltag von Bedeutung, sondern auch in In-stitutionen, wie etwa im Spital.

Zepp (2016: 556) beleuchtet in seinem Artikel Kommunikation in Klinik und Praxis die Aktualität erfolgreicher Kommunikation im Gesundheitswesen. Er beschreibt die Signi-fikanz der „Kommunikationskompetenz“ sowohl zwischen Ärzten und Pflegenden im Umgang miteinander als auch mit den Patienten. Dabei legt er Gründe dar, warum die Forschung im Bereich „Kommunikation im Gesundheitswesen“ eher noch am Anfang steht. Fehlende Ausbildung in sowohl Studium als auch Facharztweiterbildung nennt er hier vorrangig (Zepp 2016: 557). Zepp (ebd.) betont aber auch, dass bereits Forschung mit „professioneller ärztlicher Kommunikation in der Kinder- und Jugendmedizin“ ge-trieben worden ist, und meint, dass Lösungsansätze in dieser Forschung (richtiger Einsatz von Kommunikationsmodellen, Fragetechniken und Körpersprache) auch als Vorbild für die allgemeine Kommunikation im Gesundheitswesen dienen könnte (ebd.).

Die Meinung, dass die Forschung im Bereich der Kommunikation im Gesundheitswesen noch jung ist, teilen auch Schaller und Baller (2007: 1715). Sie betonen, dass ein Fokus auf Kommunikation im Gesundheitswesen, im Speziellen „die Teamkommunikation im Operationssaal“ immer mehr an Bedeutung gewinnt. Im Vordergrund ihrer Untersuchung stehen neben „Kommunikation im Operationsaal“ auch die „interne kollegiale Kommu-nikation“ (Schaller & Baller 2007: 1715) und ihre Mangelerscheinungen. An dieser Stelle beschreiben sie einen medizinischen Zwischenfall, bei dem ein Kind gestorben ist. Auf-gefallen ist dabei unkollegiales kommunikatives Verhalten. Das Unvermögen an kom-munikativer Kompetenz in medizinischen Teams und Institutionen wird auf die immer noch unzureichende Ausbildung in diesem Bereich zurückgeführt (ebd.).

3.3 Zusammenfassung und Diskussion des Forschungsstandes

(22)

Andererseits zeigten die widersprüchlichen Antworten zu Spracheinstellungen in Schar-loths Umfrage (2005: 242), dass in der Deutschschweiz kein hohes Bewusstsein bezüg-lich der Existenz unterschiedbezüg-licher Standardvarietäten des Deutschen vorherrscht. Werlen (2004: 21) konnte zeigen, dass SD und CHD mündlich in verschiedenen Bereichen (Fa-milie, Beruf, Ausbildung) unterschiedlich benutzt werden, und Christen et al. (2010: 100f.) zeigten, dass bei der Wahl der Sprachform vor allem fünf Variablen für den Wech-sel in die eine oder andere Varietät verantwortlich waren. Im Allgemeinen wurde ersicht-lich, dass Forschung zur diglossischen Situation in der Deutschschweiz in unterschiedli-chen Berufsgruppen noch relativ jung ist und viel Raum für weitere Studien in diesem Bereich lässt.

Parallel dazu kristallisierte sich heraus, dass Kommunikation im Spitalalltag zunehmend an Signifikanz gewinnt (z.B. aufgrund von Kommunikationsschwierigkeiten oder tödli-chen Zwistödli-chenfällen, die durch mangelnde oder eingeschränkte Kommunikation verur-sacht wurden) und dadurch zur Untersuchung anregt (Zepp 2016: 557; Schaller & Baller 2007: 1715).

(23)

3.4 Forschungsfrage

Das Ziel dieser Arbeit ist es, den Varietätengebrauch in Deutschschweizer Spitälern und die Einstellung von Spitalmitarbeitenden zu diesem Sprachgebrauch zu beschreiben. Da-mit leistet die Studie auf der einen Seite einen Beitrag zur Verwendung von SD und CHD in einer bisher unerforschten Berufsgruppe, den Angestellten im Gesundheitswesen, und auf der anderen Seite trägt sie mit empirischen Daten zur Erforschung von Kommunika-tion im Spitalalltag bei.

Konkret soll im Folgenden der Frage nachgegangen werden, welche Varietät von wem, wann verwendet wird: Wann benützen Deutschschweizer MitarbeiterInnen sowie Mitar-beiterInnen, deren Muttersprache nicht Schweizerdeutsch ist, im Spitalalltag (Anästhesie und Intensivmedizin) Dialekt oder Standarddeutsch gemäss eigener Aussage?

• In welchen Gesprächssituationen und mit welchen Personen?

(24)

4 Methode und Material

4.1 Methodik, Vorgehen der Datengewinnung

Die Daten für die vorliegende Studie wurden durch eine Onlinefragebogenerhebung und 6 leitfadengesteuerte Tiefeninterviews erhoben. Diese Untersuchungsmethoden wurden gewählt, da sich die vorliegende Studie an eine bereits durchgeführte Studie von Ober-holzer (2018, vgl. 171-193) anlehnt. Um eine direkte Vergleichbarkeit mit OberOber-holzers (2018) Resultaten zu gewährleisten, wurden teilweise Formulierungen von Fragen für den Fragebogen und den Interviewleitfaden aus Oberholzers (2018: 443-471) Fragekatalog übernommen. In vorliegender Studie kommen jedoch nur zwei Methoden aus Oberhol-zers Studie zum Einsatz; Audioaufnahmen von spontanem Sprachgebrauch und ein Ex-perteninterview wurden nicht durchgeführt, da die ausgewählten Berufsgruppen (Dipl. ExpertInnen Anästhesie und Intensivmedizin und ÄrztInnen / ZahnärztInnen), sowie de-ren Arbeitsumfeld (Spital), andere als in Oberholzers Studie (2018) wade-ren. Die Kombina-tion von Onlinefragebogenerhebung und Tiefeninterviews wurde gewählt, um die Ant-worten der Onlinefragebogenerhebung mithilfe der Ergebnisse der Tiefeninterviews zu ergänzen. Wichtig dabei war, dass durch die Tiefeninterviews zusätzliche Fragen zum subjektiven Sprachgebrauch des CHD und SD beantwortetet werden konnten, die nach einer ersten Teilanalyse der Onlineumfrage aufgefallen waren. Die Kombination der bei-den Methobei-den diente auch dazu, zwei Datensätze kreieren zu können, auf deren Grund-lage die Forschungsfrage angemessen beantwortet werden kann.

Das Vorgehen für den Aufbau eines Fragebogens und eines Leitfadeninterviews wird von Albert und Marx (2016: 61-80) näher beschrieben. Bei der Form des Leitfadeninterviews ist zu betonen, dass die Fragen nach der vorgegebenen Struktur des Interviewers gestellt werden. Gleichzeitig aber sollen auch offene Fragen vorkommen. Sie sollen dem Befrag-ten den Raum und die Möglichkeit bieBefrag-ten, sein Wissen weiterzugeben, und „sich auch offen zu Themen äusser[n] [zu können]“ (Albert & Marx 2016: 61-80). So soll verhindert werden, dass lediglich die vorgegebenen Punkte abgearbeitet werden. Beim Aufbau des Leitfadens für das Interview und des Fragebogens ist es sinnvoll, die Fragen einzelnen Kategorien zuzuordnen. Dabei muss ständig überprüft werden, ob die Fragen tatsächlich auf die Beantwortung des Forschungsziels ausgerichtet sind (Albert & Marx 2016: 74f.). Bezüglich des Umfangs des Fragekatalogs empfehlen Albert und Marx (2016: 75),16

(25)

diesen nicht zu umfassend zu gestalten. Es macht das Gespräch für die interviewende Person insofern schwierig, als sie kaum der Situation angemessen reagieren und Vertie-fungs- oder Kontrollfragen stellen kann. Zusätzlich wird die Auswertung anspruchsvoller (ebd.).

Das für die Entwicklung des Fragekatalogs nötige Wissen wurde im Literaturstudium erarbeitet. Anschließend wurde der Fragekatalog zu vier Schwerpunkten (Daten zur Per-son, Sprachbiografie, Sprachgebrauch im Spitalalltag und ein allgemeiner Teil) entwor-fen, wobei zu jedem Punkt neben geschlossenen auch offene Fragen formuliert wurden. Unter Berücksichtigung der leitenden Forschungsfrage wurden im nächsten Schritt die Fragen mit zeitlichem Abstand kritisch überdacht. Dabei lag der Fokus darauf, die For-mulierungen verständlich und präzise zu gestalten. Zusätzlich wurden diese von der be-treuenden Dozentin sowie von einer Fachperson aus dem Spital angeschaut, kommentiert und entsprechend deren Feedback angepasst. Zum besseren Verständnis für die Fragebo-genteilnehmerInnen wurde im Fragebogen der Begriff „Hochdeutsch“ anstatt Standard-deutsch verwendet.

4.2 Material

4.2.1 Fragebogenerhebung

(26)

TeilnehmerInnen eine Erinnerungsmail. Von total 230 angefragten Personen antworteten 103, wobei 2 der Antworten in Papierform erfolgten. Dies ergab eine durchschnittliche Rücklaufquote von 44.8%. Es gab zwei verschiedene Fragebögen: einen für Teilnehme-rInnen, die Schweizerdeutsch als Muttersprache haben (autochthone SprecherInnen) und einen für TeilnehmerInnen, die Schweizerdeutsch nicht als Muttersprache haben (al-lochthone SprecherInnen). Die Umfrage wurde von 68 autochthonen Personen beantwor-tet und von 35 allochthonen. Von diesen 35 waren 20 Personen dabei, die des CHD so-wohl rezeptiv als auch produktiv mächtig sind, wenn auch auf unterschiedlichem Niveau. Sowohl die Online-Antworten der jeweiligen Personen als auch die Fragebogenzitate sind anonym dargestellt und lassen keine Rückschlüsse über die Person zu.

4.2.2 Tiefeninterviews

(27)

wurden nicht transkribiert, jedoch wurden längere Pausen im Gespräch markiert (=Pause).17 Alle relevanten Aussagen werden in den Zitaten durch Unterstreichen hervor-gehoben. Die Interviews, die in CHD gehalten wurden, wurden so originalgetreu wie möglich ins Standarddeutsche übersetzt. Dies erleichtert das Lesen der Arbeit, speziell für diejenigen, die des CHD nicht mächtig sind. Die Interviews fanden zwischen dem 22.03.2020 und dem 17.4.2020 statt.

4.3 Angaben zu den Gewährspersonen 4.3.1 Allgemeine Angaben

Sämtliche TeilnehmerInnen der Fragebogenerhebung sowie der Tiefeninterviews sind je-weils in einem Deutschschweizer Spital, genauer gesagt in einem Institut für Anästhesie und Intensivmedizin tätig. Sie unterscheiden sich jedoch in ihrer Berufsgruppe. Die Teil-nehmer-Innen üben die Berufe der Dipl. ExpertInnen in Anästhesie und Intensivmedizin, Ärzt-Innen, oder ZahnärztInnen aus. Die ZahnärztInnen wurden miteinbezogen, da sie bei Zahnbehandlungen unter Narkose im gleichen Umfeld wie die anderen Berufsgrup-pen arbeiten. Die Verteilung der BerufsgrupBerufsgrup-pen zeigte sich wie folgt.

Berufsgruppe Dipl. ExpertInnen Anästhesie NDS HF Dipl. ExpertInnen Intensivmedizin NDS HF ÄrztInnen ZahnärztInnen Anzahl Autochthone 33 6 28 2 Anzahl Allochthone 13 5 10 6

Tab. 1: Anzahl der Gewährspersonen (autochthone und allochthone Berufsgruppe) (n=103)

Allen ist aber gemeinsam, dass sie über ein abgeschlossenes Studium verfügen, entweder auf universitärem, Fachhochschul- oder höherem Fachschulniveau.18 Ein Team in einem Institut für Anästhesie und Intensivmedizin in der Schweiz besteht immer aus den er-wähnten Berufsgruppen (ausgenommen ZahnärztInnen), da sie für die Ausführung der Anästhesie und Intensivmedizin gesetzlich vorgeschrieben und unabdingbar sind.

17 Vgl. dazu Oberholzer (2018: 180)

18 Letzteres ist in der Schweiz auf tertiärem Niveau eingeordnet. Es handelt sich um zweijährige

(28)

Zugleich sind unter den TeilnehmerInnen sämtliche Hierarchiestufen (Teamleader ➔

ChefärztInnen / Bereichsleitung bis Teammitglieder ➔ FachärztInnen / FachexpertInnen) vertreten. Die Gewährspersonen geben somit ein repräsentatives Bild für ein Institut für Anästhesie und Intensivmedizin in einem Deutschschweizer Spital ab.

Allen TeilnehmerInnen wurde Anonymität zugesichert. Deswegen werden Daten, die Auskunft über Geschlecht und Alter geben, nicht einzeln für jede Person aufgeführt. Von den 103 Personen, die an der Onlinefragebogenerhebung teilgenommen haben, sind 60 Personen weiblich (45 autochthon und 15 allochthon) und 43 Personen männlich (23 au-tochthon und 20 allochthon).Die TeilnehmerInnen sind zwischen 25 und 74 Jahre alt, mit einem Median von 50 (Mittelwert = 48 Jahre). Für ein Interview haben sich insgesamt 31 Personen freiwillig zur Verfügung gestellt, davon 19 aus der autochthonen Gruppe und 12 aus der allochthonen Gruppe. Jeweils drei Personen wurden aus beiden Gruppen für ein Interview ausgewählt (pro Gruppe zwei männliche Personen und eine weibliche Per-son). Dabei waren die InterviewteilnehmerInnen zu diesem Zeitpunkt zwischen 30 und 63 Jahre alt, mit einem Median von 39 Jahren (Mittelwert = 43 Jahre). Die 103 Teilneh-merInnen haben zwischen 1 und 50 Jahren Berufserfahrung, wobei die Berufserfahrung im Durchschnitt (Median) bei 20 Jahren liegt.

Betrachtet man die Nationalität der 103 Befragten, so besitzen 68 (autochthone) eine Schweizer Staatsbürgerschaft und 35 (allochthone) eine andere, darunter sind 20 deutsche StaatsbürgerInnen (von diesen besitzen sechs Personen die Doppelstaatsbürgerschaft Deutschland-Schweiz), 15 Personen haben eine andere Nationalität (Italien, Österreich, Niederlande (3), Mazedonien (3), Kroatien, Bosnien, Finnland, Griechenland, Kanada, Polen). Von den 68 SchweizerInnen besitzen insgesamt fünf Personen eine Doppelstaats-bürgerschaft in den folgenden Ländern: Italien (4) und Griechenland (1).

(29)

4.3.2 Detailliertere Angaben zu den Gewährspersonen der Tiefeninterviews

In diesem Kapitel werden nähere Angaben zu den Personen (Geschlecht, Berufsgruppe, Jahre Berufserfahrung, Dialekt nur für Autochthone, Jahre des Lebens in der Schweiz nur für Allochthone) gemacht. Einen weiteren Punkt bilden Angaben, ob Deutsch als Mutter-sprache oder FremdMutter-sprache erlernt wurde (nur für Allochthone). Die Daten werden sepa-rat für die beiden Gruppen (autochthon und allochthon) angegeben. Dabei wird darauf geachtet, dass die Anonymität der TeilnehmerInnen gewährleistet ist, beziehungsweise dass keine Rückschlüsse auf die jeweilige Person möglich sind.

Die einzelnen Interviewpartner sind wie folgt mit einem Code versehen. Die drei Inter-viewpartner mit CHD als Muttersprache (Muttersprache Schweizerdeutsch = MS) haben die Codierung (MS01 bis MS03). Die Interviewpartner, die CHD nicht als Muttersprache (Muttersprache Nicht Schweizerdeutsch = MNS) haben, erhielten die Codierung (MNS01-MNS03). Des Weiteren sind in den folgenden zwei Tabellen weitere Daten zu den Interviewpartnern aufgelistet.

Code Geschlecht Berufsgruppe Jahre

Berufser-fahrung Dialekt

MS01 M Arzt 33 Jahre AG

MS02 M Dipl. Experte Anästhesie

NDS HF 11 Jahre TG

MS03 W Dipl. Expertin. Anästhesie

NDS HF 7 Jahre BE

Tab. 2: Daten der autochthonen Gewährspersonen (n=3)

Code Geschlecht Berufsgruppe Jahre Berufs-erfahrung

Jahre in der CH

Deutsch als Mutter-sprache oder Fremd-sprache erlernt

MNS01 M Arzt 15 20 Muttersprache

MNS02 M Dipl. Experte

Anästhe-sie NDS HF 12 6 Fremdsprache

MNS03 W Ärztin 32 26 Muttersprache

(30)

5 Präsentation der Resultate

In diesem Kapitel werden die Resultate der Onlinefragebogenerhebung sowie der Tiefe-ninterviews in einzelnen Kategorien (5.1 Verwendung der beiden Varietäten, 5.1.1 In Abhängigkeit vom Gesprächspartner, 5.1.2 In Abhängigkeit von der Situation, 5.2 Be-gründung der Varietätenwahl und 5.3 Spracheinstellungen) dargestellt. Wie bereits in Ka-pitel 4.2.1 erwähnt, beantworteten die Onlineumfrage von total 230 angeschriebenen Per-sonen 103. Davon waren 68 PerPer-sonen autochthon und 35 PerPer-sonen allochthon. Diese zwei Kategorien der Befragten werden in den Ergebnissen separat präsentiert. In einem weite-ren Schritt werden die Daten der jeweiligen Gruppen einander gegenübergestellt und Be-ziehungen zwischen den Antworten hergestellt. In Kapitel (6) werden die Resultate dis-kutiert und in den Forschungskontext gebracht. Die Online-Antworten der jeweiligen Per-sonen sind anonym dargestellt. Die Kodierung der Antworten der Interviewpartner aus den Tiefeninterviews (MS01-MS03 und MNS01-MNS03) sind in (Kapitel 4.3.2) näher erläutert. Wie bereits in (Kapitel 4) erwähnt, wurde in den Fragebögen der Begriff Hoch-deutsch anstatt SD verwendet; dieser Begriff ist aber in dieser Arbeit dem SD gleichge-stellt und wird als Synonym betrachtet.Bei der Auswertung der erhobenen Daten in der Online-Umfrage wurde deutlich, dass nicht alle Fragen, die in der Umfrage gestellt wur-den, relevant für die Beantwortung der Forschungsfrage sind. Deswegen wurden nur re-levante Fragen beachtetet und im folgenden Kapitel präsentiert. Ausserdem zeigte sich nach einer Teilanalyse, dass sowohl das Alter der TeilnehmerInnen als auch die Berufs-gruppe von geringerer Bedeutung im Zusammenhang mit der hier gestellten Forschungs-frage waren. Mit Ausnahme eines Falls in den Tiefeninterviews, wird nicht näher auf diese Daten eingegangen. Sie können vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt in einem anderen Forschungsprojekt näher betrachtet und integriert werden.

5.1 Verwendung der beiden Varietäten

(31)

Die Häufigkeit der Antworten der autochthonen TeilnehmerInnen werden in den folgen-den zwei Diagrammen präsentiert, wobei diejenigen Kategorien, die nicht genannt wur-den, in der Darstellung weggelassen sind.

Abb. 1 Häufigkeit der Verwendung von CHD / SD der autochthonen TeilnehmerInnen (n=68)

(32)

(Interview-Zitat-1)

„wir haben viele Grenzgänger, die im Spital arbeiten, deswegen ist Hochdeutsch für mich ganz alltäglich geworden, ich setze es automatisch ein, wo es halt nötig ist.“ MS02

Es kann also festgehalten werden, dass sowohl das CHD als auch das SD von einem nicht geringen Teil von autochthonen SprecherInnen im Spitalalltag verwendet werden, wenn auch nur Seite an Seite und nicht als alleinige Varietät. Dies könnte darauf hinweisen, dass der Verwendung des SD durch autochthone Mitarbeiter im Spitalalltag eine grössere Stellung zukommt als bei einer medialen Diglossie in der Deutschschweiz angenommen wird.19 Diese Vermutung konnte durch die Antworten aus den Tiefeninterviews bestätigt werden. Es zeigte sich, dass alle autochthonen (n=3) InterviewpartnerInnen sowohl SD als auch CHD verwenden, hauptsächlich mit allochthonen MitarbeiterInnen. Ein treffen-des Beispiel ist folgentreffen-des Zitat.

(Interview-Zitat-2)

„Wie bereits gesagt, es kommt ganz auf die Teammitglieder an. Es gibt Tage, an denen spreche ich den ganzen Tag nur mit Deutschschweizern und dann gibt es Tage, da spre-che ich den ganzen Tag Hochdeutsch, weil ich sonst nicht verstanden werde, oder mit Patienten, die bilingue sind Französisch.“ MS03

Bei den Allochthonen wurde zuerst ermittelt, in welchem Verhältnis CHD rezeptiv und produktiv beherrscht wird.

Die Frage, ob CHD verstanden wird, geht aus dem folgenden Diagramm hervor.

Abb. 2: Antworten der Allochthonen zur Frage, ob sie CHD verstehen (n=35)

Die allochthonen FragebogenteilnehmerInnen verstehen CHD somit immer oder meis-tens. Hingegen bestätigen nur etwas mehr als die Hälfte der Befragten (n=20, 57,1%),

(33)

CHD auch produktiv zu beherrschen. Am Ende der Fragebogenumfrage konnten freie Kommentare angefügt werden. In diesen Kommentaren wurde deutlich, dass die rezep-tive und produkrezep-tive Sprachkompetenz des CHD nicht gleich verteilt ist. Dies zeigt sich beispielsweise in folgenden Fragebogenzitaten der Allochthonen:

(Fragebogen-Zitat-1)

„da ich zu den nicht sprachtalentierten Menschen gehöre, kann ich Schweizerdeutsch zu 98% verstehen, es aber selber nur zu 50% selber sprechen.“ FBZMNS03

(Fragebogen-Zitat-2)

„Ich spreche mit Kollegen und jungen Patienten nur Hochdeutsch (egal ob Deutsche oder Schweizer) mit alten Patienten häufig Schweizerdeutsch (weil ich den Eindruck habe, dass sie mein (schlechtes) Schweizerdeutsch häufig besser verstehen, als mein Hochdeutsch).“ FBZMNS34

Es zeigt sich also, dass CHD von primär Allochthonen besser verstanden als gesprochen wird.

Die Resultate zur Häufigkeit der Verwendung von CHD und SD zeigten bei der Gruppe der Allochthonen (n=35) eine ähnliche Verteilung wie bei den autochthonen Teilnehme-rInnen, allerdings erwartungsgemäss mit dem SD als meistverwendete Varietät.

Abb.3 Häufigkeit der Verwendung von CHD / SD der allochthonen TeilnehmerInnen (n=35)

(34)

dass wenn CHD benutzt wird, es eher als eine Mischung von SD mit einzelnen CHD-Wörtern angesehen werden kann.

(Interview-Zitat-3)

„Ich spreche eigentlich meistens Hochdeutsch mit einzelnen Schweizer Wörtern.“ MNS03

(Fragebogenzitat-3)

„Ich spreche immer Hochdeutsch... aber mal mit einzelnen Schweizer Wörtern z.B.: "lüpfet sie bitte das Bei." FBZMNS30

(Fragebogenzitat-4)

„Eher eine Mischung aus Schweizerdeutsch und Hochdeutsch.“ FBZMNS26

Von allen allochthonen InterviewpartnerInnen wurde bestätigt, dass sie das CHD unge-steuert erlernt haben. Dabei wurde der Umgang mit DeutschschweizerInnen als primäres Lernumfeld genannt.

(Interview-Zitat-4)

„Am Anfang wollte ich mal in der Migros Clubschule einen Kurs zu „Bärndütsch“ be-suchen, habe es dann aber doch nicht gemacht. (Pause) Ich, also ich habe es einfach durch meine Schweizer Kolleginnen und Kollegen gelernt und manche alten komischen Worte auch von alten Schweizer Patienten (lacht)“. MNS02

(Interview-Zitat-5)

„Ja, eigentlich, also im Endeffekt durchs tägliche Arbeiten und durch meine privaten Schweizer Freunde. Aber ich muss ganz ehrlich sagen, dass…, also (Pause), das habe ich auch in der Umfrage so geschrieben, ich zähle mich nicht zu den sprachtalentierten Menschen. Ich kann zwar Schweizerdeutsch fast immer verstehen, es aber selbst nur schlecht sprechen.“ MNS03

Dies könnte ein Grund für die Verwendung der „Mischform“ von SD und CHD sein. Im Folgenden sollen nun die Kriterien für die jeweilige Varietätenwahl eingehender dar-gestellt werden. Zuerst werden die Resultate präsentiert, die Aufschluss über den Einfluss der Kommunikationspartner geben, anschliessend werden die Abhängigkeiten der Situa-tionen näher erläutert. Als Letztes werden noch weitere Kriterien, die die Wahl für die eine oder andere Varietät beeinflussen, vorgestellt.

5.1.1 Abhängigkeit vom Kommunikationspartner

(35)

Abb. 4: Wahl der Varietät CHD der autochthonen TeilnehmerInnen (n=68)

Es zeigte sich, dass die autochthonen Onlinefragebogen-TeilnehmerInnen am häufigsten (n=59) dann CHD verwenden, wenn das Gegenüber CHD versteht, also unabhängig, ob der Kommunikationspartner Deutschschweizer ist oder nicht. Zusätzlich gab ein weiterer Teil (n=38) der Befragten an, CHD zu verwenden, wenn es verstanden und gewünscht wird.

Die Frage, wann autochthone SprecherInnen Hochdeutsch in ihrem Berufsalltag wählen, wurde folgendermassen beantwortet.

(36)

Am häufigsten wurde von den autochthonen SprecherInnen (n=60) die Kategorie ge-wählt, dass sie dann SD benutzen, wenn der Kommunikationspartner kein CHD versteht. Ein weiterer Teil (n=47) benutzt dann SD, wenn in einer Gruppe jemand kein CHD ver-steht. Interessant ist auch die Tatsache, dass die vierthäufigste Gruppe (n=20) der Befrag-ten angab, nur dann Hochdeutsch zu verwenden, wenn eine Kommunikation auf CHD gar nicht funktionieren würde. Dies scheint etwas widersprüchlich, sagte ein grosser Teil doch aus, Hochdeutsch zu benutzen, sobald der Kommunikationspartner kein CHD ver-steht. Eine mögliche Erklärung für die diskrepante Aussage ergibt sich in den Tiefenin-terviews; dies wird im Folgenden (vgl. Interview-Zitate 6, 7 und 8) ersichtlich. Insgesamt lässt sich festhalten, dass aus den Angaben der autochthonen SprecherInnen (155 von 206 abgegebenen Antworten) deutlich hervorgeht, dass sie die Wahl der Varietät vom Kom-munikationspartner abhängig machen. Die Option, „wenn es die Situation erfordert“ wird in Kapitel 5.1.2 näher betrachtet.

Den allochthonen TeilnehmerInnen wurde ebenfalls die Frage gestellt, wann sie SD im Berufsalltag benutzen.20 Auch sie hatten mehrere Optionen zur Auswahl und Mehrfach-antworten waren möglich.

Abb. 6: Wahl der Varietät SD der allochthonen TeilnehmerInnen (n=35)

Hier zeigt sich am deutlichsten (28-mal gewählt), dass SD verwendet wird, wenn der Kommunikationspartner auch Hochdeutsch als Muttersprache hat. Da die Verwendung

20Da bei der Konzeption des Fragebogens nicht davon ausgegangen werden konnte, dass alle CHD

(37)

des CHD im Fragebogen der Allochthonen nicht erfragt wurde, lässt sich nur vermuten, dass diejenigen, die CHD beherrschen, mit einem Deutschschweizer Kommunikations-partner vielleicht eher in CHD kommunizieren würden. Klar ersichtlich ist aber, dass knapp ein Drittel (n=10) immer im SD kommuniziert, da sie kein CHD beherrschen. Bei den Tiefeninterviews wurde die Frage, wann welche Varietät zum Einsatz kommt, offen an beide Sprechergruppen (autochthone n=3 und allochthone n=3) gestellt. Bei der Auswahl der InterviewpartnerInnen wurde darauf geachtet, dass sie beide Sprachformen sowohl rezeptiv als auch produktiv beherrschen, wenn auch auf unterschiedlichem Ni-veau. Die Frage nach der Verwendung der beiden Sprachformen im Spitalalltag in den Tiefeninterviews zeigte ein viel breiter gefächertes Ergebnis. Auch hier wurde deutlich, dass der Kommunikationspartner entscheidend für die Varietätenwahl ist. Die Antworten der Autochthonen werden zuerst präsentiert.

(Interview-Zitat-6)

„Ich benutze Hochdeutsch immer dann, wenn mein Gegenüber kein Schweizerdeutsch spricht, das passiert ganz automatisch, ich habe die dumme Angewohnheit mich immer anzupassen, egal in welcher Sprache. Gerade mit jungen Assistenzärzten, die frisch aus Deutschland kommen, spreche ich so lange (Pause), manchmal Jahre Hochdeutsch, bis sie mich darauf hinweisen, dass sie Schweizerdeutsch verstehen, dann passiert es mir trotzdem immer noch, dass ich wieder ins Hochdeutsch verfalle. Schweizerdeutsch spreche ich mit allen Deutschschweizern.“ MS01

(Interview-Zitat-7)

„Ich versuche zuerst immer auf Schweizerdeutsch ein Gespräch zu beginnen, ausser ich kenne die Person und weiss, dass sie kein Schweizerdeutsch versteht. Sobald ich aber merke, dass Schweizerdeutsch nicht verstanden wird, dann wechsle ich ins Hochdeut-sche.“ MS02

(Interview-Zitat-8)

„Ich fange eigentlich immer im „Bärndütsch“ an, aber wenn ich merke, dass mein Ge-genüber kein Schweizerdeutsch spricht und versteht, dann wechsle ich ins Hochdeut-sche. Ich wechsle aber auch oft, wenn ich merke, dass ich nicht verstanden werde, ob-wohl die Person vorher gesagt hat, dass sie „Schwiizerdütsch“ versteht, das passiert oft, gerade mit Deutschen.“ MS03

(38)

wird, oder aber wenn bereits bekannt ist, dass der Kommunikationspartner kein CHD versteht. Ansonsten wird auf CHD kommuniziert, und zwar unabhängig davon, ob der Kommunikationspartner Deutschschweizer ist oder nicht. Hier ist interessant, dass die Antworten der jüngeren InterviewpartnerInnen übereinstimmen und sich deutlich vom älteren Interviewpartner unterscheiden. Somit könnte dies auch auf einen Wandel im Sprachgebrauch der jüngeren Generation hindeuten. Um genauere Aussagen diesbezüg-lich machen zu können, müsste diese Variablen in einer weiteren Studie näher betrachtet werden. Die obenstehenden Antworten stimmen mit den am meisten genannten Möglich-keiten in der Onlineumfrage überein. Die autochthonen SprecherInnen machen keine Un-terscheidung zwischen Patienten und MitarbeiterInnen als KommunikationspartnerInnen. Demgegenüber stehen die Aussagen der allochthonen InterviewteilnehmerInnen. Sie un-terscheiden zwischen der Kommunikation mit älteren und kranken PatientInnen und Kol-legInnen. Ausserdem werden zwei weitere Kategorien angesprochen, einerseits die Situ-ation und andererseits, welches Ziel in einer KommunikSitu-ation verfolgt werden soll. Diese zwei Kategorien werden im folgenden Kapitel näher betrachtet.

(Interview-Zitat-9)

So ist das Schweizerdeutsche dann wichtig, wenn ich mit Patienten in Kontakt bin, die schwer krank oder alt sind und dem Hochdeutschen nicht so geläufig, gerade auch bei Narkoseaufklärungsgesprächen. Ja, und zu Hause, da wird auch meistens Schweizer-deutsch gesprochen. [LS: Und HochSchweizer-deutsch?] HochSchweizer-deutsch verwende ich, wenn ich eine Verhandlung gewinnen möchte, ich weiss, das hört sich jetzt nicht so nett an, aber als Chef muss man manchmal einfach gewinnen, dann bietet sich das Hochdeutsche an, ich kann dann oft das Gespräch so lenken, wie ich es möchte. [LS: Also im Gespräch mit Deutschschweizern?] Ja, meistens genau. Für viele Deutschschweizer hat der bun-desdeutsche Standard immer noch ein höheres Ansehen als der Dialekt oder das „Schweizer Hochdeutsch“ in sehr formellen Kontexten, das empfinde ich zumindest so. Ein eloquenter Sprecher kann im Standarddeutschen ein Gespräch dominieren, viel ein-facher als es auf Schweizerdeutsch möglich wäre. Das Kommunikationsverhalten ist im Hochdeutschen ganz ein anders, ich kenne das, darum kann ich die Sprachform zu mei-nen Gunsten einsetzen.“ MNS01

(Interview-Zitat-10)

„Ich spreche ein Mix zwischen Hochdeutsch und Schweizerdeutsch mit einem fremd-ländischen Akzent, da meine Muttersprache Niederländisch ist. Gerade ältere Patienten verstehen mich besser, wenn ich „Schwiizerdütsch“ spreche, auch wenn es ein schlech-tes Schweizerdeutsch ist.“ MNS02

(Interview-Zitat-11)

(39)

Wichtige Faktoren für die Wahl von CHD als Sprachform scheinen das Alter und die Schwere der Krankheit des Patienten zu sein. Ein interessanter Punkt ist die Tatsache, dass das CHD von zwei Personen in der Anwendung als nicht „rein“ beschrieben wird, sondern als „Mischmasch“ oder „schlechtes Schweizerdeutsch,“ mit der Begründung, dass es besser verstanden wird, als wenn die Befragten nur in SD mit den Patienten kom-munizieren würden. Diese Art der Verwendung von CHD lässt, wie bereits in Kapitel 5.1 beschrieben, auf einen ungesteuerten Spracherwerb des CHD der InterviewpartnerInnen schliessen, woraus eine Mischvarietät resultiert. Mit Kolleginnen und Kollegen wird laut MNS03 in SD kommuniziert.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass in der Onlineumfrage der Kommuni-kationspartner generell (d.h. nicht nur, wenn er deutschschweizerischer Herkunft ist, son-dern auch dann, wenn er CHD versteht) das hauptsächliche Auswahlkriterium für die Wahl der jeweiligen Sprachform ist. Die Tiefeninterviews konnten darlegen, dass nicht nur die Sprachbiographie des jeweiligen Kommunikationspartners für die Wahl der einen oder anderen Varietät ausschlaggebend ist, sondern auch, ob es sich um einen Kollegen oder um einen Patienten handelt; auch dessen Alter und Schweregrad der Krankheit spie-len eine Rolle. Dabei zeigte sich aber auch, dass von primär allochthonen SprecherInnen nicht komplett ins CHD gewechselt wird, sondern eher eine Mischform von SD und CHD zur Anwendung kommt.

5.1.2 Abhängigkeit von der Situation

(40)

Abb. 7: Wahl der Varietät SD der autochthonen TeilnehmerInnen (n=68)

Die Formalität der Situation, in diesem Fall Schulungen und Weiterbildungen, sind aus-schlaggebend für die Wahl des SD. SD scheint also in dieser Situation als angebrachte mündliche Varietät zu gelten. Dies ist nicht überraschend, da auch während Vorlesungen an Schulen, Universitäten und Fachhochschulen in der Deutschschweiz, SD die Sprache der Mündlichkeit ist. Ein ähnliches Bild zeigt sich auch bei den autochthonen Inter-viewpartnern durch die Wahl des Hochdeutschen an Fortbildungen. So äusserten sich zwei der Interviewten wie folgt:

(Interview-Zitat-12)

„Wenn ich manchmal als Gastdozent für eine Fallvorstellung an der Fachhochschule eingeladen bin, dann spreche ich selbstverständlich immer Hochdeutsch.“ MS02 (Interview-Zitat-13)

„Hochdeutsch wird zwar auch immer mehr mündlich verwendet, zum Beispiel an Wei-terbildungen, da wir immer mehr Mitarbeiter haben, die einfach kein Schweizerdeutsch verstehen, gerade junge Deutsche. […] Dokumentieren tue ich aber alles im Schrift-deutschen.“ MS03

Somit ist die mündliche Verwendung des SD in den genannten Situationen von den Au-tochthonen allgemein akzeptiert. Zitat-13 scheint zudem auch noch die Orientierung an den KommunikationspartnerInnen zu unterstreichen. Offenbar wurden auch Weiterbil-dungen bisher oft auf CHD geführt, während sich nun, aufgrund der Zunahme von al-lochthonen MitarbeiterInnen im Spital, in diesem Bereich ein Wandel abzeichnet und so-mit das SD mündlich mehr Verwendung findet.

(41)

autochthonen InterviewpartnerInnen erwähnt. Ein treffendes Beispiel hierfür sind fol-gende Zitate.

(Interview-Zitat-14)

„Mit Deutschschweizern, also ausser ich halte einen Vortrag an einer Fortbildung oder so, rede ich immer Schweizerdeutsch egal in welcher Situation, alles andere wäre für mich sehr komisch.“ MS01

(Interview-Zitat-15)

„In meinen Augen sprechen wir Deutschschweizer untereinander immer Schweizer-deutsch, (Pause) ja auch ein Fachgespräch wird immer in Schweizerdeutsch geführt, nein also es ist ja auch unsere Muttersprache, warum sollten wir da plötzlich Hoch-deutsch sprechen, das ergibt doch keinen Sinn.“ MS03

Das Entscheidende hier scheint somit nicht, primär die Schulungssituation zu sein, son-dern weit mehr, ob es sich dabei um den Vortragenden handelt, der zu einem Publikum spricht (Monolog auf SD), oder ob es sich um die PublikumsteilnehmerInnen handelt, die im Dialog untereinander trotz Schulungssituation CHD verwenden.

Alle autochthonen Interviewpartner waren sich aber einig über die alleinige Verwendung des SD in der Schriftlichkeit im Spitalalltag.

Auch die Allochthonen benutzen SD in Schulungen. Die Auswahl wurde aber nur von knapp einem Drittel gewählt.

Abb. 8: Wahl der Varietät SD der allochthonen TeilnehmerInnen (n=35)

(42)

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass beide Gruppen vor allem die Formalität der Situation (z.B. Fortbildungen oder Schulungen) als ausschlaggebendes Kriterium für die Varietätenwahl angeben. Dies wurde von allen TeilnehmerInnen der Interviews bestätigt. Gleichzeitig wird aber von den autochthonen Interviewpartnern betont, dass in allgemein formellen Situationen im Spitalalltag (ausserhalb der Bildungsinstitutionen) Deutsch-schweizerInnen untereinander nie die Sprachformenwahl zu SD ändern würden. Man kann also davon ausgehen, dass ein unbegründeter Sprachformenwechsel vom CHD ins SD unter DeutschschweizerInnen als „Verstoss gegen die Regel“21 angesehen würde. Alle autochthonen Interviewpartner waren sich aber einig über die alleinige Verwendung des SD in der Schriftlichkeit im Spitalalltag. Spannenderweise wird durch einen al-lochthonen Interviewpartner ein weiterer Faktor angesprochen, der in Gesprächssituatio-nen mit Deutschschweizern für die Wahl der Varietät von Bedeutung ist. Dies wird im Folgenden näher betrachtet.

5.1.3 Andere Auswahlkriterien

Die Wahl der einen oder anderen Varietät scheint auch abhängig davon zu sein, welches Ziel in einer Kommunikation verfolgt wird. Der allochthone Interviewpartner (es handelt sich hierbei um einen Deutschen mit SD als Muttersprache) schilderte in Zitat- 9 (vgl. Kapitel 5.1.1, S.34), in welcher formellen Situation er bewusst SD einsetzt. So verwendet MNS01 dann SD, wenn er

(Interview-Zitat-16)

„eine Verhandlung gewinnen möchte.“ MNS01

Er argumentiert, SD dann zu verwenden, wenn er in einer Kommunikation dominieren möchte, da er von Autochthonen als eloquenter Sprecher des SD wahrgenommen wird und sich deswegen automatisch ein Hierarchiegefälle gegenüber DeutschschweizerInnen ergibt. Somit wird hier SD bewusst eingesetzt, um ein Gespräch in einer Verhandlungs-situation mit mehrheitlich DeutschschweizerInnen zu Gunsten der bundesdeutschen SD sprechenden Person zu steuern. Dieser Faktor erscheint äusserst interessant, zumal Ähn-liches von den autochthonen Interviewpartnern nicht erwähnt wurde. Dieser allochthone Sprecher, der sowohl SD als auch CHD beherrscht, setzt SD strategisch in einer Situation ein, in der auch CHD hätte gesprochen werden können. Dies stellt somit ein neues Aus-wahlkriterium für die Varietätenwahl dar.

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