INSTITUTIONEN FÖR
SPRÅK OCH LITTERATURER
PATHOS
Eine textlinguistische Analyse zweier Reden von Angela Merkel
Isabelle Belas
Uppsats/Examensarbete: 15 hp Program och/eller kurs: TY1310
Nivå: Grundnivå
Termin/år: Ht 2016
Handledare: Christiane Andersen
Examinator: Michelle Waldispühl
Rapport nr: xx (ifylles ej av studenten/studenterna)
Nyckelord: Angela Merkel, Pathos, Rede, Videos, Transkripte, Flüchtlingspolitik
Zusammenfassung
Heutzutage wird die Flüchtlingspolitik in den öffentlichen Medien lebhaft diskutiert. In diesem Aufsatz wird Folgendes untersucht: Wie kommt Pathos in den Reden von Merkel sprachlich zum Ausdruck? Im Vordergrund steht der rhetorische Ansatz von Aristoteles nach Pathos in der Sprache von Merkel. Im Theoriekapitel wird vorgestellt, wie Pathos in der Rede auftreten kann. Der politolinguistische Ansatz ist gewählt, weil er aus der linguistischen Perspektive zeigt, wie Sprachgebrauch in den Medien vorkommt. Da das Untersuchungskorpus zwei Videos umfasst, ist der kommunikationsorientierte textlinguistische Ansatz hervorgehoben. Er besagt, dass mündliche monologische Äußerungen als Text bezeichnet werden können. In den Videos, welche in dieser Arbeit transkribiert und analysiert werden, behandelt Merkel das Thema Flüchtlingspolitik. Die Ergebnisse zeigen: In der ersten Rede verwendet Merkel Wörter und Sätze, die eine Nähe zum Publikum erzeugen und gleichzeitig eine Handlung bewirken. In der zweiten Rede wird das pathetische Sprechen hingegen nicht bestätigt, weil ihre Wörter und Sätze hier sehr individuell interpretiert werden können.
Summary
Nowadays the refugee policy is lively discussed in the public media. This essay examines
the following: How does pathos appear in the speeches of Merkel? In the foreground is
the rhetorical approach of Aristotle to pathos in the language of Merkel. In the theory
chapter it is presented how pathos can occur in the speech. The politolinguistic approach
is chosen because, from the linguistic perspective, it shows how language usage occurs
in the media. Since the investigation data are two videos, is further the
communicationoriented textlinguistic approach emphasized. It says that monologue
utterances can be defined as text. In the videos, which are transcribed and analysed in this
work, Merkel deals with the subject refugee policy. The results show: Merkel uses words
and sentences that create closeness to the audience and create at the same time an effect
of action. In the second speech, on the other hand, the pathetic language is not confirmed
because she uses words and sentences here that can be interpreted very individually.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung ... 1
1.1 Problem und Fragestellung ... 1
1.2 Der rhetorische Ansatz ... 2
1.2.1 Pathos in der Rede ... 4
1.3 Verschiedene Ansätze der linguistischen Textanalyse ... 5
1.3.1 Die kommunikationsorientierte Textlinguistik ... 6
1.3.2 Die Politolinguistik ... 7
2 Methode und Material ... 9
3 Textlinguistisch-rhetorische Analyse anhand der transkribierten Texte ... 11
3.1 Transkript 1: Rede vor dem Bundestag ... 12
3.1.1 Zusammenfassung ... 14
3.2 Transkript 2: Antwort in einer Fragerunde ... 15
3.2.1 Bestätigung ... 15
3.2.2 Erklärung ... 16
3.2.3 Richtungsentscheidung ... 17
3.2.4 Zusammenfassung ... 19
4 Zusammenfassung der Ergebnisse und Ausblick ... 21
5 Literaturverzeichnis ... 23
6 Anhang…...………..…….25
Transkript1: Rede vor dem Bundestag………...25
Transkript 2: Antwort in einer Fragerunde………....28
1 Einleitung
Angela Merkel ist eine deutsche Politikerin, die die meisten Menschen durch öffentliche Medien kennen. Ihre politische Karriere begann im Jahre 1990 und seit 2005 ist sie die Bundeskanzlerin von Deutschland. Derzeit ist Merkel als Bundeskanzlerin wegen ihrer Flüchtlingspolitik in den deutschen Medien umstritten. Brinkbäumer (2016: 6) schreibt im Leitartikel in der Zeitschrift Der Spiegel:
Seltsame Zeiten sind dies, in denen Wahrheiten weniger Einfluss auf die politische Wirklichkeit haben als Stimmungen und Gefühle. Zahlen zählen kaum mehr, jedenfalls nicht so viel wie Ängste und Hass, wie Gerüchte und Verschwörungsgemurmel. (Brinkbäumer 2016: 6)
Brinkbäumer (2016: 6) erklärt, dass Merkel früher kaum Interesse an Migrationsfragen hatte, bis sie im Sommer 2015 auf einmal entschieden hat, ihren Gefühlen zu folgen. Laut Brinkbäumer (2016: 6) hat sie das Land in Unsicherheit versetzt, indem sie eine entgegengesetzte Richtung in der Flüchtlingspolitik zeigte. Früher seien das Aufenthaltsrecht verschärft und die Grenzen im Land unter Kontrolle gewesen.
Heutzutage sei dies nicht mehr der Fall. Merkel habe die Kontrolle verloren. Die Angst vor Fremden lasse sich aufs Neue schüren.
Maria Becker hat in ihrer linguistischen Forschungsarbeit die Konzeptualisierung von Angst in der medialen Debatte über Flüchtlinge in Deutschland in den Jahren 2013 und 2014 untersucht. Sie zeigt Belege, dass in erster Linie die Politik und die Medien eine Erzeugung und Steigerung von Angst verursachen. Becker kommt zu dem Ergebnis, dass die Verwendung verschiedener sprachlicher Mittel die Wirklichkeit abbildet. Die Flüchtlingsdebatte habe die Sprache deutlich geprägt und wirke in der Gesellschaft handlungsleitend (vgl. Becker 2016: 1-11).
Es lässt sich feststellen, dass die Sprache ein Faktor der Machtausübung ist, welcher Einwirkungen auf den Alltag des Menschen hat. Hinsichtlich der Person Merkels wäre es daher interessant zu erforschen, wie sie ihre Argumente hervorbringt?
1.1 Problem und Fragestellung
Eine wissenschaftliche Herangehensweise ist die Rhetorik. Rhetorik erklärt die Kunst,
andere Menschen zu beeinflussen (vgl. Ueding 2005: 698). Noch heute unterscheidet man
in der Redekunst von Aristoteles die drei Mittel der Überzeugung: Vernunft (Logos), Gefühl (Pathos) und Vertrauen (Ethos). Der rhetorische Ansatz von Aristoteles wird übernommen. Im Vordergrund steht die Frage nach Pathos in der Sprache von Merkel. In diesem Aufsatz wird Folgendes untersucht: Wie kommt Pathos in den Reden von Merkel sprachlich zum Ausdruck?
In dieser Arbeit werden zwei Videos analysiert, in denen Angela Merkel das Thema der Flüchtlingspolitik behandelt. Die Videos sind mir besonders aufgefallen, weil sie in den Medien gezeigt wurden und die Äußerungen von Merkel Aufmerksamkeit verursachten.
In beiden Videos verwendet Merkel eine Sprache, die die Menschen berührt. Sie ist eine Politikerin und muss mit ihrer Sprache einen Einfluss auf die Menschen haben. Eines der Videos zeigt eine offene Fragerunde in Bern in der Schweiz aus dem Jahre 2015 und das andere Video zeigt eine Rede vor dem Bundestag in Berlin im Jahre 2002.
Als erwartetes Ergebnis könnte sich eine sprachliche Veränderung bezüglich Pathos in Merkels öffentlicher Rede heute (Videoaufnahme von 2015) im Vergleich zu früherer Rede (Videoaufnahme von 2002) ergeben.
Der Aufsatz beginnt mit der Darstellung, wie die Rhetorik die Geschichte der jeweiligen Zeit beeinflusst hat und noch heute für Reden bedeutsam ist. Es wird gezeigt, welche Merkmale das pathetische Sprechen haben kann. Die Politolinguistik zeigt, aus der linguistischen Perspektive, wie der Sprachgebrauch in den Medien vorkommt. Dazu wird gezeigt, dass mündliche Äußerungen als Text definiert werden können. Nach dem theoretischen Teil werden die Methode und das Material präsentiert. Danach folgen die Analyse und die Ergebnisse dieser Arbeit.
1.2 Der rhetorische Ansatz
Laut Schlüter (1988: 15-21) spiegelt die Geschichte der Rhetorik die Gesellschaften der
jeweiligen Zeit wider. Er sagt, dass die Rhetorik sich als eine Macht erweist, mit der wir
rechnen müssen. Schlüter (1988: 17) erklärt die Geschichte, ob Republik oder Diktatur,
durch die Rhetorik, die die öffentliche Mitteilung lenkt. Ihre Blütezeit war in der Zeit der
griechischen und römischen Antike. Die Meinungsäußerungen in der Republik sind frei
und dies begünstigt das Amt des Redners. Das Auftreten des Redners sei für das Publikum
ein Theater. In Zeiten der Diktatur sei die Aufgabe der Rhetorik „das Regime in ritueller
Weise zu verherrlichen, seine Gegner verächtlich zu machen, gewisse staatserhaltende
Werte einzuhämmern“ (Schlüter 1988: 17). Mit Luthers Reformation bekomme die Redekunst eine neue rhetorische Wirkung, besonders als eine Glaubenspropaganda.
Schriftsteller sind durch die antike Rhetorik stark beeinflusst worden. Mit der französischen Revolution habe man einen revolutionären Stil entworfen, eine Rhetorik, die die Massen in Bewegung setzte. Nach dem Ersten Weltkrieg erhielte die Rhetorik in Deutschland den Einzug in den Reichstag durch die Sozialisten. Mit Hitler kam ein Redestil mit hohem Pathos, das die Volksmassen in einen Rausch versetzte. „Hitlers Genie lag in seinem Spürsinn für die triebhaften Bedürfnisse der Menschen“ (Schlüter 1988: 21). Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es eine Reaktion auf dieses Pathos und die heroischen Schlagwörter. Der neue Stil der Sprache beschäftigte sich mit Klassenkampf, der Umgangssprache und Modetendenzen (vgl. Schlüter 1988: 15-21). Wir können annehmen, „dass wir wieder in einer ausgesprochen rhetorischen Welt leben. Offenbar kommen wir ohne Rhetorik gar nicht aus“ (Schlüter 1988: 21).
Da der rhetorische Ansatz aus der klassischen Rhetorik und die aristotelischen Überzeugungsmittel übergenommen wird, müssen diese Begriffe erklärt werden. Laut Aristoteles gibt es drei Arten der Überzeugung: Logos, Pathos und Ethos.
Logos ist:
[D]er Sach- oder Wirklichkeitsbezug [, dabei] wird auch die Frage nach der Wirklichkeitsentsprechung und damit das Wahrheitsproblem in besonderer Weise aufgeworfen. (Ueding 2001: 624)
Ein sprachliches Beispiel aus meinen Transkripten
1ist: den islamistischen Terror haben wir nicht nur in Europa, sondern auch in Syrien und in Libyen.
Pathos ist eine:
Gefühlsbewegung [und ein] zwar akuter und temporärer, aber heftiger, spannungsreicher Gefühlsablauf, der durch ein Zusammenspiel von äußeren Ursachen, kognitiven Bewertungen und seelischen Disposition veranlaßt ist [.
A]m Ende [mündet die] Affektentladung […] in Tempo und Intensität vom individuellen Temperament. (Ueding 2003: 689-690)
Ein sprachliches Beispiel aus meinen Transkripten ist: der Politiker hat einen aufregenden Satz gesagt, den ich nicht sagen will, weil wir wissen ja wie es ist.
1
Die Beispiele sind aus den Transkripten, die im Anhang aufgeführt sind.
Ethos ist der „sittlicher Charakter [und] moralische Gesinnung [. Es] bezieht sich […] in erster Linie auf den Charakter des Redners, in zweiter Linie auf den seines Gegners“
(Ueding 1994: 1516-1517). Als eigenes sprachliche Beispiel kann der gleiche Satz, wie in Pathos herangeführt werden: der Politiker hat einen aufregenden Satz gesagt, den ich nicht sagen will, weil wir wissen ja wie es ist. Die Äußerung zeigt auch den Charakter des Redners.
1.2.1 Pathos in der Rede
Laut Sandig (2006: 290-298) gibt es in der sprachlichen Form verschiedene Stilebenen.
Mit Stilebenen „sind Ressourcen zum Ausdruck von globalen Einstellungen“ gemeint (Sandig 2006: 290). Die Sprachverwendungen können folgendermaßen eingeteilt werden in: „vulgär - umgangssprachlich - einfach-literarisch - gehoben - poetisch“ (Sandig 2006:
291). Eine besondere Form in der politischen Sprache sind die emotionalen Ausdrücke.
Laut Sandig (2006: 295) sind sie mehr oder weniger von dem antiken Pathos abgeleitet.
Die pathoserregenden Themen seien die Existenz des Kollektivs und Werte wie Wahrheit, Freiheit, Solidarität, Vaterland, Zukunft und Existenz. Eine Tradition aus der Antike ist auch, dass die besondere Situation feierlich markiert wird. Sandig bezeichnet dies als ein
„hohes“ Thema in einem „hohen“ Stil (Sandig 2006: 295). Sie definiert Pathos nach Kern als:
Eine Haltung, in der man Sachverhalten Bedeutsamkeit zuweist, auf dass man sich mit ihnen identifizieren kann und mittels dieser Identifikation ein Kommunikationsangebot macht, mit anderen eine auf Einverständnis beruhende, wertorientierte Erlebnis- oder gar Handlungsgemeinschaft zu bilden.
(Sandig 2006: 295)
Sandig (2006: 296) beschreibt „pathetisches Sprechen/Schreiben“ mit folgenden Merkmalen und Beispielen. Bei einigen Merkmalen hat Sandig keine Beispiele genannt.
Nach der folgenden Darstellung von Sandig werden noch eigene Beispiele ergänzt:
a) Themenwahl: Es sind Themen, die […] an „Schlüsselwörtern“ [festzumachen sind] wie Nation, Schicksal […]
b) Themenverknüpfung […] durch Parallelismus.
c) Sprechakte: BEKENNEN, PROPHEZEIEN, BESCHWÖREN, pathetisch BEWERTEN: tragisch, schicksalhaft…
d) Satzsemantik: Personifizierungen […]: Dornenweg der Selbstbefreiung…
d) Lexik: Pathetische Bildlichkeit und Metaphorik: z.B. […] dass er, ,das Spiel lesen kann´ […]
e) „Ausführung“ […] stimmlich: Lautstärke und Intonation […]
f) Sprecher – Schreiber – Rollen wie die von Festrednern, Laudatoren und Repräsentanten sowie „markierte Situationen“ wie „hohe Tage“ […] verlangen ein gewisses Maß an Pathos. (Sandig 2006:296)
Ein eigenes sprachliches Beispiel aus meinen Transkripten zur Themenverknüpfung durch Parallelismus ist, wenn ein Zustand mit einer anderen Situation verglichen werden kann: den islamistischen Terror haben wir nicht nur in Europa, sondern auch in Syrien und in Libyen.
Ein eigenes sprachliches Beispiel zu einer „markierten Situation“ wie „hoher Tag“ ist
2: meine Damen und Herren, heute ist kein gewöhnlicher Tag, es ist der Neujahrstag, den wir jetzt feiern werden.
Die Erklärung zu der Lautstärke und der Intonation muss weiter begründet werden. Das Pathos müsse sich nicht nur in starker Lautstärke und Intonation zeigen. Es könne auch in leiser Lautstärke und Intonation erscheinen (vgl. Sandig 2006: 290-298).
1.3 Verschiedene Ansätze der linguistischen Textanalyse
Die linguistische Textanalyse wird anhand von zwei verschiedenen Ansätzen betrachtet.
Der kommunikationsorientierte textlinguistische Ansatz besagt, dass mündliche monologische Äußerungen als Text bezeichnet werden können. Hier hebt man den Text als sprachliche Handlung hervor. Der zweite Ansatz wird aus der politolinguistischen Perspektive vorgestellt. Sie beschäftigt sich nicht mit Politik, sondern „in erster Linie mit Sprache, ihrem Gebrauch und ihren Funktionen“ (Niehr 2014: 11-12). Die Politolinguistik zeigt aus der linguistischen Perspektive, wie Sprachgebrauch in den Medien vorkommt (vgl. Niehr 2014: 12).
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