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Verwegenes Unternehmertum: Die Einführung und Verbreitung von Gesundheitsresorts, Bäderkurorten und Medizintourismus im frühen modernen Schweden

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Citation for the original published chapter:

Gratzer, K. (2017)

Verwegenes Unternehmertum: Die Einführung und Verbreitung von

Gesundheitsresorts, Bäderkurorten und Medizintourismus im frühen modernen Schweden

In: Frank-Michael Kirsch, Jens Juszczak (ed.), Medizintourismus: Erfahrungen mit einer weltweiten Wachstumsbransche (pp. 132-212). Paderborn: IFB Verlag Deutsche Sprache

N.B. When citing this work, cite the original published chapter.

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Karl Gratzer

Verwegenes Unternehmertum. Die Einführung und Verbreitung von Gesundheitsresorts, Bäderkurorten und Medizintourismus im frühen modernen Schweden

Einleitung

1

Es scheint, als wenn unser Bedarf an medizinischen Dienstleistungen unablässig wächst, und das betrifft sowohl die Gesundheits- als auch die Krankenpflege. Trotz eines verhältnismäβig

hochentwickelten Gesundheitssystems in Schweden entscheidet sich eine wachsende Zahl schwedischer Bürger für eine Behandlung im Ausland, und auch jene werden immer mehr, die nach Ergänzungen zu vorhandenen Behandlungsformen und alternativen Arzneimitteln suchen.2 Heute ist es üblich, Medizintourismus und die Inanspruchnahme innovativer medizinischer Dienstleistungen von Fachärzten im Ausland als relativ neues Phänomen anzusehen. Doch was sich heute als einzigartig, neu und epochemachend ausgibt, stellt sich in einem erweiterten Zeithorizont plötzlich anders dar. Erweitern wir unseren zeitlichen Maβstab und bedienen uns einer übergreifenden Sichtweise, fällt es uns leichter, Kontinuitäten und Diskontinuitäten zu entdecken und Zeittypisches von Allgemeingültigem, „Zeitlosem“ zu scheiden.3

Zeithorizonte und Innovation

Nach dem französischem Historiker Fernand Braudel (1902-1985) erleichtert ein langer

historischer Zeithorizont das Verstehen gegenwärtiger Zustände.4 Braudel lancierte den Begriff la longue durée (die lange Dauer). Der Historiker zielte darauf ab, den äuβerlichen und gut

erkennbaren Ablagerungen in der Gegenwart – eine Sichtweise, die leicht im Studium einzelner Ereignisse steckenbleibt – die Aufmerksamkeit zu entziehen und sie statt dessen auf die

übergreifenden langen Zeitläufte und verborgenen Strukturen der Geschichte zu richten.

Konzentrieren wir uns nur auf das in der Gegenwart sichtbare Neue, übersehen wir die trägen widerspenstigen Systeme, die sich hinter den gängigen Denk- und Verhaltensmustern verbergen, jene Systeme, die nicht aussterben, obwohl sie ihre Rationalität eingebüβt haben. Die Gegenwart vereint Elemente von gestern und vorgestern mit dem schon lange Vergangenen.5

1 Die Finanzierung der Studie erfolgte durch den Jubiläumsfonds der Schwedischen Reichsbank (Riksbankens Jubileumsfond, P12-1122:1). Mein Dank gilt Gun Öström-Gratzer für wertvolle Hinweise zum Text.

2 Siehe Motzi Eklöf: Kurkulturer. Stockholm 2008; Dies.: Perspektiv på komplementär medicin: Medicinsk pluralism i mångvetenskaplig belysning. Lund 2004; Amelie Cardell: Allt fler patienter söker vård utomlands. In: Läkartidningen 11/2006, S. 818-820; Erik A. Borg, Karl Gratzer, Kjell Ljungbo: Innovation and specialization strategies. In: Medical tourism. Evidences from Europe. Singapore 2013.

3 Vgl. Jacques Revel: The Impact of the ’Annales’ School on the Social Sciences. In: The Annales: Continuities and Discontinuities. Review. Fernand Braudel Center, Bd. 1, 3/4 1978, S. 9-19.

4 Siehe Fernand Braudel: La longue durée. In: Annales. Histoire, Sciences Sociales 13.4, Oktober-Dezember 1958; Ders.:

Histoire et sciences sociales: La longue durée. In: Réseaux 5/27, 7/37 1987.

5 Elisabeth Elgan: Ferdinand Braudels Artikel ”La longue durée” och svensk historieskrivning idag – några reflektioner. In: Historisk tidskrift 4/2010.

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In einer umfassenderen historischen Perspektive nimmt sich die heutige Suche nach Alternativen im Gesundheitswesen nicht wie ein zeitgenössisches Phänomen aus, sondern wie die Fortsetzung althergebrachter Traditionen und Muster bei der Suche des Menschen nach optimaler

Behandlung, vollkommenerer Heilung und Gesundheit. Von jenem Suchen und den Lösungen, die man Ende des 17. Jahrhunderts in Schweden fand, handelt dieses Kapitel. Vor allem soll es darum gehen, wie eine Innovation – die Einführung von Medizintourismus und damit

zusammenhängende Behandlungsmethoden – entstand und in Schweden Verbreitung fand. Zu diesem Zweck wird das institutionelle Umfeld beschrieben, das die Innovationen umgab und ermöglichte. Eine Fallstudie belegt, wie Schwedens erster Kurort – Medevi Brunn – nach

ausländischen Vorbildern gegründet wurde. Der Kurortbetrieb, der im Ausland bereits existierte, wurde imitiert und auf schwedische Verhältnisse übertragen. Damit spiegelt er einen Teil des Kulturaustausches zwischen Ländern des Ostseeraums, der für diese Region über Jahrhunderte typisch war.6 In Medevi konnten Patienten die für ihre Zeit fortschrittlichste medizinische Behandlung durch Spezialisten erhalten. Neu war auch, daβ nicht nur zahlungskräftige Patienten der höheren Stände, sondern auch mittellose Menschen in Medevi behandelt wurden.

Der Terminus „Innovation“ wird hier so breit wie möglich verwendet und im Prinzip mit der Einführung von etwas Neuem gleichgesetzt. Im oben genannten Zusammenhang – der Gründung des ersten schwedischen Kurorts Medevi Brunn – hatte das Neue mehrere Dimensionen. Medevi Brunn war die erste Heilanstalt in Schweden, die eine auf

Wissenschaftlichkeit gegründete medizinische Behandlung feilbot. Dies bedeutete einen klaren Bruch mit früher bevorzugten Behandlungsmethoden. Medevis Etablierung führte infolge von Imitation zu einer umfassenden medizinischen Geschäftstätigkeit, die es zuvor nicht gegeben hatte. Sie schuf einen Markt und kann als radikale Innovation bezeichnet werden.7 Entscheidend war, daβ mineralhaltiges Wasser mit den damals geltenden wissenschaftlichen Methoden auf seine medizinische Verwendbarkeit hin analysiert wurde und für medizinisch-therapeutische Ziele auf dem eigenen Geschäftsfeld zur Anwendung kam. Um eine Neuheit als Innovation bezeichnen zu können, ist es nötig, daβ diese kommerziell erfolgreich ist, angenommen wird und Verbreitung findet.8

Die Innovation auf medizinischem Gebiet bestand nicht nur darin, neue und bislang unbekannte Behandlungsmethoden zu etablieren. Ebensosehr ermöglichte sie die Entwicklung Schwedens vom einstigen Ausreiseland für Medizintouristen zu einem Land, das in der Lage war, mit

ausländischen Kurorten um schwedische Patienten zu konkurrieren. Medevi und andere ähnliche schwedische Kurorte zogen zudem ausländische Patienten an.

Die Innovation, d.h. „das Neue“, kann in einfachen Worten beschrieben werden als Einführung einer neuen Behandlungsmethode, aber zugleich auch als die Schaffung eines völlig neuen medizinischen Geschäftsfeldes mit umfangreichen wirtschaftlichen Auswirkungen auf die

6 Otfried Czaika, Heinrich Holze: Migration und Kulturtransfer im Ostseeraum während der Frühen Neuzeit. Kungliga biblioteket, Stockholm 2012.

7 Vgl. Joseph Alois Schumpeter: Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, Berlin 1911 [1987]; Ders.: Kapitalismus,

Sozialismus und Demokratie, Bern 1946. Bezüglich der Bedeutung und Verbreitung von Innovationen in der Wirtschaft unterscheidet man zwischen den Begriffen radikale (systemverändernde) und inkrementelle (geringere, schrittweise) Innovation. Radikale Innovationen bewirken grundlegende, oft unwiderrufliche Veränderungen innerhalb einer Organisation, Branche oder eines Geschäftsfeldes. Sie machen frühere Techniken und Wissensgebiete oft hinfällig.

Innovationen können technischer, aber auch organisatorischer oder finanzieller Natur sein. Sie können neue Märkte, Methoden und Produkte schaffen, wo es solche früher nicht gab.

8 Siehe Everett M. Rogers: The Diffusion of Innovation. New York 1962 [2003].

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gesamte Gesellschaft.9 Die neue Brunnenkultur mit Behandlungen, die internationalen, insbesondere deutschen Vorbildern entlehnt waren, feierte Erfolge und verbreitete sich in Windeseile im ganzen Land. Die an den Brunnen angebotene Therapie fuβte, so die Überzeugung der Zeitgenossen, auf wissenschaftlichen Erkenntnissen.

In einem Versuch, die Gegenwart mit der Vergangenheit zu verbinden, beginnt die Studie mit einer Beschreibung älterer Formen von Bädern und Badeorten in der Antike und des

Medizintourismus zur Zeit des frühen modernen Schweden. Das Augenmerk ist dabei auf die Organisation dieses neuen Geschäftsfeldes gerichtet. Die Untersuchungsperiode konzentriert sich im Wesentlichen auf die Zeit von 1678 bis ins 19. Jahrhundert. Der sich daran anschlieβende Ausblick reicht bis über das Jahr 2000 hinaus. Das Ausgangsjahr versteht sich von selbst:

Schwedens erste Kuranstalt Medevi Brunn wurde 1678 hauptsächlich nach deutschen Vorbildern gegründet. Die Brunnen, Bäder und wunderwirkenden Quellen, die vorher in Schweden

existierten, hatten sämtlich einen religiösen Bezug. Um Kontinuitäten und Brüche der

Entwicklung von Bäder-, Quellen- und Kurortkultur zu verdeutlichen, wird das Kapitel mit einer kurzen Übersicht bis ins 17. Jahrhundert eingeleitet. Dabei werden einige zentrale Begriffe erklärt, deren Inhalte für heutige Leser nicht mehr als selbstverständlich vorausgesetzt werden können.

Die Studie speist sich aus bereits vorhandener Literatur sowie verstreuten zeitgenössischen Beschreibungen, Verzeichnissen, Königlichen Öffentlichen Bekanntmachungen, Verordnungen sowie Handschriften aus den Beständen der Königlichen Bibliothek in Stockholm.10

Bäder, Brunnen, Brunnentrinken, Kuren und Kurorte

Bad bezeichnete oft den Ort, in dem eine Quelle existierte, deren Wasser für Heilbäder verwendet wurde. Das Wasser, das oft sauer, alkalisch oder mineralhaltig war, wurde zum Trinkgenuβ und für körperliche und geistige Reinigung verwendet. Wie lange es diese Heilquellen schon gibt, ist nicht bekannt. Aller Wahrscheinlichkeit nach existierten sie seit langen Zeiten und in vielen Kulturen. Als Brunnen („brunn“) wurde in Schweden seit Mitte des 17. Jahrhunderts eine Quelle mit mineral- oder kohlensäurehaltigem Wasser bezeichnet, die für medizinische Kuren oder als Heilquelle geeignet war. Brunnen kann auch eine Heilstätte oder den Ort mit einer solchen Quelle meinen. Auch der Begriff Sauerbrunnen („surbrunn“) kommt in älteren Dokumenten vor.11 Brunnentrinken (schwedisch „brunnsdrickning“ bzw. „dricka brunn“) steht für eine vom Arzt verordnete Heilwasserbehandlung gegen ein bestimmtes Leiden. Die Entstehung des Begriffs Kur läβt sich im Schwedischen bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts zurückverfolgen. Die Kur

bezeichnete eine vom Arzt verschriebene Behandlung eines Kranken mit passenden Arzneien, oft verbunden mit Aderlaβ, Darmreinigung, Wassertherapie, Diät und zuweilen Bewegung.12 Kurort wurde der Ort genannt, an dem die Behandlung stattfand. Häufig kamen dort auch andere Arten der Heilbehandlung vor. Sinn und Zweck dieser Einrichtungen war die Heilung von Leiden der Patienten, die „überanstrengt, krank und schwach“ waren. In den meisten dieser Heilstätten waren schon seit ihrer Gründung im 17. Jahrhundert ein oder mehrere Bäderärzte

9 Vgl. Elisabeth Mansén: Ett paradis på jorden. Om den svenska kurortskulturen 1680-1880. Stockholm 2001.

10 Zu erwähnen sind hier vor allem Matts Bergmarks gründliche Studie Bad och bot – Om vattnet som läkemedel och njutningsmedel. Stockholm 1959 [1991], Elisabeth Manséns umfangreiche Studie Ett paradis på jorden. Om den svenska kurortskulturen 1680-1880. Stockholm 2001 sowie Anders Hult ”Dricka brunn”: om gamla tiders spa. Mjölby 2007.

Darüber hinaus wurden eine Reihe Festschriften einzelner Kurorte sowie alte Verzeichnisse und Handbücher verwendet.

11 Ordbok över svenska språket utgiven av Svenska akademien. Lund 1925.

12 Siehe: Rikskansleren Axel Oxenstiernas skrifter och brefvexling. Senare afdelningen, 1-12. Stockholm 1888-1930.

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angestellt. Zu jener Zeit waren dies in der Regel hervorragende Spezialisten, die medizinischen Fakultäten in der Nähe liegender Universitäten angehörten. Nicht zuletzt diese Tatsache weist darauf hin, daβ die in den Kurorten angebotenen Behandlungen sich auf der Höhe der

wissenschaftlichen Erkenntnisse ihrer Zeit befanden. Die Begriffe Badeort („badort“), Brunnen („brunn“), Bäder- und Kuranstalt („bad- och kuranstalt“) sowie Kurort („kurort“) wurden im Schweden des 17., 18. und 19. Jahrhunderts oft synonym verwendet.13

Bäder und Badeorte in der Antike – Zur Vorgeschichte der Kurorte

Das Wasser bestimmter Quellen wurde in vielen Kulturen als gesundheitsfördernd angesehen, und nach oft weiten Reisen versammelte man sich dort, um von Krämpfen befreit zu werden.

Das Wasser wurde einerseits für Waschungen und Bäder, andererseits zum Trinken benutzt. Die heilenden Kräfte des Wassers führte man auf eine Gottheit, ein Fabelwesen oder, in christlicher Zeit, auf einen Heiligen oder eine Heilige zurück, und das Wasser selbst wurde deshalb als

magisch und heilsam betrachtet.14 Menschen, die zu diesen Orten pilgerten, brachten Opfergaben oder Weihegeschenke dar. Heilsame Quellen finden in der Bibel und im antiken Griechenland Erwähnung.15 Die gesundheitsfördernde Wirkung dieser Quellen sollte dann einsetzen, wenn man ihr Wasser trank oder darin badete.

Der griechische Arzt und Philosoph Hippokrates (ca. 460 – 370 v. Chr.) versuchte, die

Zusammensetzung des Wassers zu analysieren.16 Er untersuchte mehrere Mineralwasserquellen und Minerale auf ihren Gehalt an Salzen, Eisen, Silber, Kupfer, Gold, Schwefel, Alaun und Salpeter. Die wirkliche oder vermeintliche Heilkraft wurde von Hippokrates nach wie vor nicht in erster Linie auf die im Wasser enthaltenen Minerale zurückgeführt, sondern auf „etwas

Göttliches“ und somit einer mystischen Gottesmacht zugeschrieben. Es sollten noch viele Jahrhunderte vergehen, bis die magische Deutung der gesundheitsfördernden Wirkung des Wassers wissenschaftlichen Erklärungen weichen muβte.

Schon zur Römischen Kaiserzeit (31 v. Chr. – 476 n. Chr.) begann im Glauben an seine reinigende Wirkung die Verwendung von Thermalwasser zur medizinischen Behandlung von Krankheiten. Warme Quellen, schwefel-, eisen- und kohlensäurehaltige Gesundheitsbrunnen wurden mehr und mehr besucht, und man begann damit, bestimmte Brunnen nach Art der Krankheit zu wählen. Warme Bäder, Duschen, Schlamm- und Sonnenbäder wurden über Jahrhunderte als Therapie gegen bestimmte Krankheiten angeboten. Die Kuren gründeten sich auf die Philosophie des Klaudius Galen. Er war ein griechischer Arzt, der im zweiten Jahrhundert nach Christus lebte, und der mindestens bis ins 16. Jahrhundert die Ausrichtung der ärztlichen Heilkunst in Europa prägte. Als einer der bedeutendsten und einfluβreichsten Ärzte der Antike

13 Ordbok över svenska språket utgiven av Svenska akademien. Zweiter Band, Lund 1903.

14 Eine kulturhistorische Reise von den antiken Bädern in Rom bis zu den historischen Kurorten in ganz Europa, wo Könige, Standesvertreter, Ärzte und einfache Leute Revue passieren, unternimmt Matts Bergmark in: Bad och bot. Om vattnet som läkemedel och njutningsmedel. Stockholm 1959 [1991].

15 In der Bibel wird die Siloa-Quelle in einem Dorf südlich von Jerusalem erwähnt. Im Tal unterhalb des Dorfes befindet sich unter anderem eine sogenannte Marien- oder Jungfrauenquelle. Im antiken Griechenland (700 – 300 v.

Chr.) kannte man u.a. die Schwefelquellen in Hypate, die Natronthermen in Thermopylae, die heiβen Quellen bei Oita und Adepsos auf Euboia.

16 Hippokrates von Kos ist eine der herausragenden Persönlichkeiten der Medizingeschichte. Aufgrund seiner Verdienste als Gründer der hippokratischen medizinischen Schule, die die ärztliche Kunst im Griechenland der Antike revolutionierte, wird er als Vater der modernen Medizin bezeichnet.

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verfaβte er medizinische Schriften und vollbrachte, unter anderem, herausragende Leistungen in Anatomie. Galen entwickelte Hippokrates‘ medizinisches System weiter.17

Die Bäder in Rom waren subventioniert und die Eintrittspreise niedrig. Während der Existenz des Römischen Reiches verbreitete sich die Bäderkultur über groβe Teile Europas bis in die äuβersten Provinzen des Reiches. Ein Beispiel dafür ist die Bäderanlage bei Bath in England.

Eine Periode des Niedergangs der europäischen Bäderkultur setzte mit dem Zerfall des

Römischen Reiches ein. Nach dem 4. Jahrhundert verfielen die groβen römischen Bäderanlagen wie auch die Römische Zentralmacht in der Periode der Völkerwanderung.18

Nicht zuletzt die Verbreitung des Christentums trug zum Niedergang der Bäderkultur bei. Das Baden wurde von der Kirche als unmoralisch angesehen. Unter dem Einfluβ der Religion

verschwanden die Bäder, und die Besucherzahlen in den noch vorhandenen gingen zurück. Aufs Ganze gesehen bleibt festzustellen, daβ in Westeuropa eine Zeit ohne Zentralmacht anbrach, in der Gruppen, die sich im Konflikt mit der römischen Kulturtradition befanden, die Macht ergriffen. Durch die Völkerwanderungen, das Chaos und den Haβ des Christentums auf das Baden befand sich die Hygiene auf einem Tiefpunkt. Viele Christen lieβen die Welt des irdischen Lebens hinter sich und waren bestrebt, durch Askese und Selbstkasteiung einer anderen, hehren Welt gerecht zu werden. Man badete nicht mehr, hieβ Baden doch Genuβ, dem zu entsagen war.

Frauen und Männer wurden heiliggesprochen, weil sie auβer der Taufe ihr ganzes Leben lang nicht in Berührung mit Wasser gekommen waren. Nahten sie, spürte man dies schon von weitem, umwehte sie doch der Geruch der Heiligen, „odor sanctorum“.19

Im 15. und 16. Jahrhundert jedoch kehrte das Interesse am Bad nach und nach wieder, nun mit der Betonung seiner gesundheitsfördernden Wirkungen. Die Zahl der Bäderärzte nahm zum Ende des 17. Jahrhunderts wieder zu.

Zur Kultur der Quellen in Schweden

Wunderwirkende Quellen waren auch in Schweden über lange Zeit Gegenstand eines Kultes.

Dieser hing mit der Verklärung von Flüssen und Seen zusammen, in denen angeblich Geister

17 Galen entwickelte, ausgehend von Entdeckungen und Theorien früherer Anatomen und Naturphilosophen, ein zusammenhängendes medizinisches System. Doch er führte auch eigene Experimente und anatomische

Obduktionen durch. Im Rahmen dieses seines medizinischen Systems war er ein geschickter und professioneller Kliniker. Galen betonte die der Natur innewohnende Zielgerichtetheit, was sichtlich mit dem christlichen Glauben an die Vorsehung übereinstimmte. Aus diesem Grund wurde er im Mittelalter als die höchste medizinische Autorität und als Garant dafür angesehen, daβ der Beruf des Arztes nicht mit der Kirche in Konflikt geriet. Neben seinem Wirken als Mediziner widmete sich Galen auch der Wissenschaftstheorie. Vgl. Lars Sjöstrand: Galenos – medicinhistoriens mest inflytelserika läkare. In: Läkartidningen 47/2002.

18 Eine Übersicht bietet Ulrika Kiby in Bäder und Badekultur in Orient und Okzident. Antike bis Spätbarock. Köln 1995.

19 An den Schmutz und den hygienischen Nihilismus jener Zeit erinnert das Wort „Isabellfarbe“. Der Name soll auf die spanische Prinzessin Isabella, Tochter König Philipps II., zurückgehen. Als die Truppen ihres Ehemanns, Erzherzog Albrecht von Österreich, die Stadt Ostende belagerten, gelobte Isabella, ihr weiβes Leinenhemd erst dann wechseln zu wollen, wenn Ostende gefallen sei und ihr Mann zu ihr zurückkehren könne. Da die 1601 begonnene Belagerung drei Jahre, drei Monate und drei Tage dauerte, hatte ihr Hemd eine schmutzig-gelbbraune Farbe angenommen.

Ähnliches ist über die katholische Königin Isabella von Kastilien überliefert, die 1482 gelobt haben soll, ihr Gewand erst dann zu wechseln, wenn die Belagerung Granadas glücklich beendet und die Muslime aus Spanien vertrieben seien, was 1492 schlieβlich geschah. In den zehn Jahren färbte sich ihr Gewand schmutzig-gelbbraungrau, d.h.

isabellfarben. Vgl. Bergmark, a.a.O., S. 83f., sowie Nordisk familjebok. Konversationslexikon och realencyklopedi. Tolfte bandet, Stockholm 1910.

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wohnten. Viele Quellen wurden als personifizierte Wesen angesehen, die die Macht besaβen, eine Krankheit zu heilen, die den Besucher heimgesucht hatte. In Schweden waren den Quellen bereits in vorchristlicher Zeit, d.h. vor Ende des 9. Jahrhunderts20, mit der sogenannten

Quellennymphe („källrået“) mythische Kräfte zugeschrieben worden.21 Die Behandlung erfolgte in der Regel so, daβ der Kranke, während er eine Beschwörungsformel murmelte, eine Münze oder Stecknadel ins Wasser warf, die Krankheit dem Wasser überlieβ. Die Quellenkultur in Schweden beruhte demzufolge zunächst auf heidnischen Sitten und Gebräuchen. In der Zeit der Christianisierung Schwedens sah die Kirche es als ihre Aufgabe an, den heidnischen Aberglauben auszurotten. Dies jedoch stieβ auf Widerstand, woraufhin man sich gezwungen sah, den Quellen christliche Mythen zuzuschreiben. So wurde die heidnische Quellennymphe zu einer christlichen Heiligen.22 Das als heilig angesehene Wasser wurde zur Körperreinigung benutzt oder getrunken.

Es dauerte bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts, daβ in Schweden die Untersuchung der chemischen Beschaffenheit einzelner Quellen und deren Bedeutung für die Heilung auf die Tagesordnung gelangen konnte.23

Institutionelle Voraussetzungen

Öffentliche Einrichtungen formen die Anreizstruktur einer Gesellschaft.24 Infolgedessen gilt die Annahme, daβ politische, religiöse und ökonomische Institutionen die wirtschaftliche Leistung einer Gesellschaft bedingen können. North unterscheidet zwischen formellen Werkzeugen (Gesetze, Verordnungen, Regelwerke) und informellen (Normen, Verhaltensweisen,

Vorstellungen). Die die Werkzeuge repräsentierenden Einrichtungen geben die Spielregeln vor;

Organisationen und Unternehmer sind deren Spieler.25 Der vorliegende Abschnitt wendet sich den allgemeinen Bedingungen zu, die im 17. Jahrhundert herrschten, welche, wie anzunehmen ist, die Einführung und Verbreitung von Gesundheitsbrunnen in Schweden ermöglichten. Wie war das Profil einiger dieser institutionellen Voraussetzungen beschaffen? Zu ergründen ist, welche Auswirkungen der das Denken beeinflussende Paradigmenwechsel auf das veränderte Weltbild in frühmoderner Zeit hatte. Naturwissenschaftliche Erklärungen verdrängten religiöse Deutungen.

Eine neue ökonomische Doktrin – der Merkantilismus – hielt Einzug und bestimmte die

gesellschaftliche Entwicklung. Nicht zuletzt die Reformation führte zu radikalen Veränderungen des Gesundheitswesens in Schweden.

Die frühmoderne Zeitepoche – ein Paradigmenwechsel

20 Schwedens Christianisierung war ein sich über mehrere Jahrhunderte erstreckender Prozeβ, bei dem verschiedene Landesteile, die das heutige Schweden bilden, zum Christentum übergingen, d.h. zum Katholizismus. Eine

bestehenbleibende Christianisierung erfolgte im zu Dänemark gehörenden Schonen und in Götaland eher als in Svealand. Frühe Spuren christlicher Grabkultur aus dem 9. Jahrhundert wurden u.a. auf der Insel Birka im Mälaren entdeckt. Erst im 10. und 11. Jahrhundert erlangte das Christentum Beständigkeit und verbreitete sich nach und nach über ganz Schweden.

21 Ein in der nordischen Mythologie vorkommendes Fabelwesen, das in Quellen haust.

22 Beispiele für solcherart Umdeutungen sind die St. Ragnhilds-Quelle in Söderköping und die St. Elins-Quelle in Skövde.

23 Siehe Sätra Brunns historia, zusammengestellt von Dagny Larsson. Uppsala 1988.

24 Siehe Robert W. Fogel, Douglass C. North: Economic Performance through Time. Lecture to the memory of Alfred Nobel. Stockholm, 09.12.1993.

25 Vgl. Douglass C. North: Institutions, Institutional Change and Economic Performance. Cambridge 1990.

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Die frühmoderne Zeitepoche reicht vom Ende des Mittelalters (im Norden etwa vom Jahr 1500 an) bis zum Ende der Renaissance und der Französischen Revolution 1789. Diese Zeitperiode ist geprägt durch eine Reihe umwälzender politischer, ökonomischer, sozialer, religiöser und

kultureller Veränderungen, die sie vom Mittelalter unterscheidet. Im 16. und 17. Jahrhundert trugen mehrere machtvolle Kräfte zur Umwandlung des gesellschaftlichen Lebens in Europa bei.

Es war das Zeitalter der groβen geographischen Entdeckungen, der unternehmerischen Revolution, des handelspolitischen Wettlaufs zwischen den neuen europäischen Staaten.

Das religiöse und geographische Weltbild veränderte sich in der frühmodernen Zeitepoche durch Persönlichkeiten wie Nicolaus Copernicus (1473-1543) und Galileo Galilei (1564-1642), die

„ewige“ Wahrheiten in Abrede stellten. Die sogenannte naturwissenschaftliche Revolution kündigte sich an. Naturwissenschaftler bedienten sich neuer Methoden, um ihre Standpunkte zu beweisen. Die Revolution fand nicht unmittelbar statt. Doch ein Prozeβ wurde in Gang gesetzt, der es insbesondere der Naturwissenschaft erlaubte, religiöse Vorstellungen über die Gesundheit, die in Antike und Mittelalter dominiert hatten, zurückzudrängen. Der Beginn der Aufklärung am Ende des 17. Jahrhunderts beflügelte den Paradigmenwechsel,26 ablesbar unter anderem in der wissenschaftlichen Sicht der Medizin auf den Einsatz von Wasser als Therapieform.

Die Art und Weise, Wasser aus heiligen Quellen zu trinken, war zu früheren Zeiten etwas

gänzlich anderes als zum Beispiel im 18. Jahrhundert. Lange war man von einem Zusammenhang zwischen dem Wasser einer Heilquelle und einer krankheitslindernden Wirkung überzeugt. Am stärksten ausgeprägt war diese Überzeugung, wenn es sich um eine als heilig geltende Quelle handelte, die mit ihren vermeintlich religiösen Kräften eine Linderung von Schmerzen bewirken konnte. Solcherart Quellen wurden an bestimmten Tagen aufgesucht, und man brachte den Heiligen Opfergaben dar, damit sie im Gegenzug Gesundheit spendeten. Das Trinken des heiligen Wassers war von den Reinigungsprozeduren nicht getrennt. Nicht die medizinische Wissenschaft, sondern Aberglaube und Religion bewahrten und vermittelten das Wissen über die Wunder bewirkenden Quellen.27 Diese Sichtweise veränderte sich schrittweise, doch erst im 17.

Jahrhundert wurde sie zurückgedrängt. Salzwasser zum Beispiel wurde als heilsam für Gicht und Krämpfe betrachtet, man meinte, es erhöhe die weibliche Fruchtbarkeit und könne Schwermut lindern. Schwefel würde den Magen stärken und die Milz reinigen. Wasser, das durch goldhaltige Erde rann, wurden wohltuende Wirkungen für die Augen zugeschrieben; zudem galt es als Heilmittel bei Rissen und Fisteln. Zusammen mit dem reinigenden Bad trank man das Wasser in immer gröβerem Umfang zur Gesundung.

Im 17. Jahrhundert war das Wissen über die Heilung von Krankheiten in Schweden nach wie vor gering, und eine vorbeugende Abwehr von Krankheiten existierte nicht. Eine Reihe vermögender Personen begann zu dieser Zeit, Kurorte auf dem europäischen Kontinent aufzusuchen, die wie Selters, Karlsbad, Marienbad, Bath, Vichy und Spa von sich reden machten. Im Verlauf des 17.

Jahrhunderts setzte sich die Erkenntnis durch, daβ es das Wasser an sich und sein Reichtum an Mineralien war, das Heilkräfte entfaltete. Demzufolge wurden in Schweden und vielen anderen europäischen Ländern am Ende des 17. und während des 18. Jahrhunderts Quellen ausfindig gemacht, denen aus verschiedenen Gründen gesundheitsfördernde Wirkungen zugeschrieben wurden. In den heranwachsenden Kurorten sammelten sich jeden Sommer Scharen von Kranken bzw. Personen, die ihre Gesundheit stärken wollten oder einfach Zerstreuung suchten.

26 Thomas Kuhn: The Structure of Scientific Revolutions. Chicago 1962. Unter Paradigmenwechsel versteht Kuhn den radikalen Bruch der wissenschaftlichen Denkmuster und Vorbilder.

27 Siehe z.B. Artur Lindquist: Loka offerkällan som blev ”kungens brunn” och en modern kurort. Kumla 1980.

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Dieser Paradigmenwechsel – von der Religion zur Naturwissenschaft – hatte nun auch Schweden erreicht. Die Auffassung, die heilende Wirkung des Wassers beruhe auf Heiligen oder anderen religiösen Kräften, verlor an Bedeutung. Zurückzuführen war dies nicht zuletzt auf

wissenschaftliche Erkenntnisse, die chemische Analysen des Brunnenwassers ermöglichten. Einer der Vorreiter auf dem Feld der Analyse war der deutsche Arzt Friedrich Hoffmann in Halle an der Saale28, der 1703 seine „Methode, Heilwasser zu untersuchen“ veröffentlichte, mit der er Analysen von Wasser unter anderem aus Spa, Selters, Schwalbach und Karlsbad vornahm. Es sollte jedoch noch bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts dauern, bis chemische Analyseverfahren genauere und verläβlichere Ergebnisse erzielten. Das Wissen über das Vorkommen von

Mineralen im Wasser vertieften Forscher wie „der Vater der schwedischen Chemie“ Jöns Jacob Berzelius (1779-1848), der deutsche Chemiker und Apotheker Justus von Liebig (1803-1873) und der deutsche Chemiker Carl Remigius Fresenius (1818-1897).29

Der Merkantilismus, die Reformation und die Entstehung von Kurorten

In dieser Zeit entstand in Schweden der zentralisierte Staat. Die Machteliten setzten alles daran, ökonomische Potentiale zur Festigung ihrer Herrschaft im Heimatland zu nutzen und Erfolge über ihre Rivalen im Ausland zu erzielen. Die seinerzeit vorherrschende merkantilistische Lehre verordnete unter anderem wirtschaftliche Unabhängigkeit der Gesellschaft und die Herstellung einer positiven Handelsbilanz. Es galt, die Ressourcen des eigenen Landes bestmöglich

auszunutzen.30

Die Reformation in Schweden (1527-1600) markiert das Ende des Mittelalters und den Beginn der Vasa-Zeit.31 Obwohl in Schweden eine theologische Erweckungsbewegung mit der

Reformation zusammenfiel, kann die Reformation auch hier als politisch initiiert angesehen werden. Sie zielte darauf ab, die finanziellen Bedürfnisse des schwedischen Staates zu decken.

Der Besitz der katholischen Kirche fiel an die Krone. Dem Land wurde das internationale Netzwerk entzogen, dessen Teil es durch die katholische Kirche gewesen war.

Um das groβe Interesse für Gesundheitsbrunnen und Wasser als Heilmittel im 17. und 18.

Jahrhundert zu verstehen, muβ man sich die medizinische Situation jener Zeit vor Augen führen.

Eine Folge der Reformation in Schweden war die Verschlechterung, von Fall zu Fall sogar die Einstellung der Kranken- und Armenpflege, die vordem der katholischen Kirche oblag. Die

28 Friedrich Hoffmann (1660-1742) war einer der bedeutendsten Schriftsteller auf dem Feld der Medizin. Im Besonderen widmete er sich den praktischen Seiten der medizinischen Wissenschaft. Hohe Anerkennung erwarb er sich mit der Erforschung von Krankheitsursachen und um die Diät von Patienten, für seine naturgetreue und klarsichtige Beschreibung vieler Krankheiten und u.a. auch für seine Anmerkungen zur Veränderung des Urins im Krankheitsfall. Er studierte die durch Krankheit entstehenden Veränderungen in den Organen des Körpers. Bei der Behandlung von Krankheiten verwendete er nur wenige Arzneimittel, vermied gewaltsame Eingriffe und verschrieb den Kranken eine passende Diät. Groβe Verdienste erwarb er sich schlieβlich mit der Untersuchung und

Beschreibung von Mineralquellen. https://sv.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Hoffmann. Zugang: 02.09.2015.

29 Nordisk familjebok. Konversationslexikon och realencyklopedi. Stockholm 1905.

Carl Remigius Fresenius verfaβte bahnbrechende Arbeiten zur Entwicklung der analytischen Chemie und galt auf diesem Gebiet als die Autorität seiner Zeit. Fresenius wurde 1883 als ausländisches Mitglied in die Königliche Schwedische Akademie der Wissenschaften aufgenommen.

http://sv.wikipedia.org/wiki/Lista_över_ledamöter_av_Kungliga_Vetenskapsakademien Zugang: 02.09.2015.

30 Siehe Eli F. Heckscher: Merkantilismen I-II, Stockholm 1953; Lars Magnusson: Merkantilism. Ett ekonomiskt tänkande formuleras, Stockholm 1999; Leif Runefelt: Hushållningens dygder. Affektlära, hushållningslära och ekonomiskt tänkande under svensk stormaktstid. Acta Universitatis Stockholmiensis, Stockholm 2001.

31 Die Zeit während der Machtübernahme Gustav Vasas 1521 bis zum Jahr 1611, als Gustav II. Adolf den Thron bestieg, wird in der schwedischen Geschichtsschreibung als Vasa-Zeit bezeichnet.

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verbleibende Behandlung von Kranken übernahmen drei Berufskategorien: Bartscherer (Barbiere), Bader32 und Ärzte.

Bartscherer oder Barbiere waren die Chirurgen ihrer Zeit. Der Barbier verfügte über geschliffene Werkzeuge wie scharfe Messer oder Scheren. Im 16. Jahrhundert begannen Barbiere in

Südeuropa, chirurgische Eingriffe unterschiedlicher Art auszuführen. Die zahllosen Kriege schufen einen Bedarf an Amputationen und einfachen Operationen wie das Aufschneiden von Geschwülsten. Im Schweden des 16. und 17. Jahrhunderts gab es nur wenige ausgebildete Ärzte, wodurch der Beruf des Barbiers an Bedeutung gewann. Neben dem Stutzen von Bärten

besorgten diese medizinische Eingriffe wie Zahnextraktionen, die Versorgung von Schuβwunden, die Behandlung von Entzündungen und Geschwüren sowie nicht zuletzt Amputationen.

Medizinische Dienste durch Bader waren begrenzter Natur, wozu Aderlasse, Blutschröpfen mittels Kuhhörnern und das Aufschneiden von Hühneraugen gehörten.33 Die Zahl der Ärzte war sehr klein. Im Jahre 1663 gab es in Schweden nur 20; 120 Jahre später waren es 140. Aufgrund des verbreiteten Aberglaubens und einer medizinischen Wissenschaft auf nur eingeschränkt wissenschaftlicher Grundlage stand man den meisten Krankheiten machtlos gegenüber. Deshalb erscheint es logisch, daβ viele Ärzte die Wasserheilkunst begrüβten und darin ein probates Mittel für ihre Tätigkeit sahen.34

Die noch im Lande verbliebenen Ressourcen für die Krankenpflege waren gering. Benötigten begüterte Schweden Hilfe bei Heilung ihrer Leiden, suchten sie einen der berühmten Kurorte auf dem Kontinent auf. Die zu den höheren Ständen rechnenden Schweden waren die

Gesundheitstouristen jener Zeit. Nur gut Betuchte konnten sich diesen Luxus leisten.

In ganz Europa war es bereits im 16. Jahrhundert für Adlige und andere Standespersonen populär geworden, Heilquellwasser aus Brunnen zu trinken und dabei den Umgang mit anderen zu pflegen. Man reiste nach Bath, Baden Baden, Karlsbad, Marienbad, Evian les Bains, Eger, Wildung, Selters, Schwalbach, Pyrmont, Aachen und Spa, um nur einige Kurorte zu nennen. Es gab seinerzeit keine klare Abgrenzung zwischen Medizintourismus und Gesundheitstourismus, d.h. zwischen Reisen aus vornehmlich medizinischen Gründen und solchen, die eher zur Gesundheitsvorsorge oder aus kulturellen und sozialen Gründen unternommen wurden. Im 17.

Jahrhundert fanden solche Kur- und Bäderreisen in relativ groβer Zahl statt. Der Besuch von Kurorten kam in Mode, und viele vermögende Schweden traten Reisen auf den Kontinent an und verbrachten Wochen in verschiedenen europäischen Kurorten.

Eine weitere Ursache trug zum Gesundheitstourismus von Schweden nach Zentraleuropa bei.

Die Kriege hatten bewirkt, daβ sich die Schweden drauβen auf dem Kontinent heimisch fühlten.

Sie hatten das pulsierende Leben in zentraleuropäischen Metropolen und Kurorten

kennengelernt. Schwedische Aristokraten, Offiziere, Diplomaten und Standespersonen fühlten sich davon angezogen. Obwohl sich die Zahl der in Sachen Gesundheit Reisenden auf eine überschaubare Klientel konzentrierte, flossen dadurch erhebliche Summen an Geld auβer Landes.

Gewiβ importierte Schweden ein bedeutendes Volumen an Mineralwasser, doch war dieses teuer und paβte zudem nicht in die vorherrschende merkantilistische Doktrin der Selbstversorgung.

32 Der Beruf des Baders war dem gleichen Zunftsystem unterworfen wie das übrige Handwerk. Im 17. Jahrhundert gab es in ganz Stockholm nur vier Bademeister. Bergmark, a.a.O., S. 107.

33 Ebd., S. 152f.

34 Hans Broomé: Källvik – en småländsk brunns- och badort. Kalmar 1970, S. 13f.

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Nicht zuletzt zweifelten Doktoren und die Allgemeinheit am importierten, gelagerten Wasser.

War das in Schweden frisch aus der Quelle sprudelnde nicht kräftiger?35

Behördlicherseits war schon lange von der Eröffnung eines Kurortes in Schweden die Rede gewesen. Kurorte in Schweden zu gründen schien aus merkantilistischer Perspektive angebracht, hatte es doch eine wichtige nationalökonomische Bedeutung. Die Reisen von Standespersonen ins Ausland, zuweilen mit groβem Gefolge, waren für Schweden ein Verlustgeschäft. Zudem war Schweden bereits eine europäische Groβmacht mit entsprechendem Prestige. So würde es dem Land gut zu Gesicht stehen, über eigene anspruchsvolle Kurorte zu verfügen.

In Übereinstimmung mit derartigen Auffassungen hatte Schwedens Reichskanzler Axel Oxenstierna (1583-1654) schon in den 30er Jahren des 17. Jahrhunderts die Suche nach einheimischen Quellen gefordert, die für die Anlage von Kurorten geeignet schienen. Dies geschah zu einer Zeit, als die Untersuchung eigener Ressourcen und einheimischer Rohstoffe bereits hoch im Kurs stand. Oxenstierna besaβ ein dichtgeknüpftes Kontaktnetz in Deutschland.

Als Student hatte er in Deutschland gelebt und dort einige der bekanntesten

Bildungseinrichtungen kennengelernt: Wittenberg, Jena und Rostock. Oxenstierna war zudem über lange Zeit jene Persönlichkeit gewesen, die König Gustaf II. Adolf am nächsten stand. 1622 wurde er Generalgouverneur von Riga und 1629 Generalgouverneur über die neueroberten schwedischen Provinzen in Preuβen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, daβ er um die deutschen Bade- und Kurorte wuβte und mit einigen auf diese oder jene Weise in Kontakt gekommen war.

Daβ Kranke durch Kuren geheilt oder ihre Leiden durch solche gelindert wurden, hatte in Schweden lange Traditionen und kann bis in die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts hinein belegt werden. Ein Beispiel dafür, inwieweit eine Kur der medizinischen Behandlung diente, stammt aus dem Jahr 1634. In einem Brief des damaligen Reichskanzlers Axel Oxenstierna heiβt es:

„daβ ich mich durch eine Kur so wohl befände als wie durch ein warmes Bad“

und

„der Reichsmarschall bat um die Erlaubnis sich einige Tage auf das Land begeben zu dürfen, um dort eine Cuur gegen die Schwäche seiner Augen anzutreten“36

Während der merkantilistischen Epoche war in führenden Kreisen ein medizinisches und nationalökonomisches Interesse ersten Ranges entstanden, ähnliche Heilquellen wie in

Zentraleuropa auch in Schweden ausfindig zu machen, deren Anwendbarkeit man im Ausland kennen- und schätzengelernt hatte. Mit diesen der Gesundheit dienlichen Quellen im Zentrum hoffte man, ein einheimisches Gesundheitswesen aufbauen zu können. Etliche herausragende Zeitgenossen in Schweden beteiligten sich an der Suche. Zwei von ihnen waren Gustaf Soop und Urban Hjärne.37

Unternehmertum

35 Bergmark, a.a.O., S. 153.

36 Rikskansleren Axel Oxenstiernas skrifter och brevväxling. OxBr. 9:600 (1634) und RP 8: 762 (1641). In: Ordbok över svenska språket utgiven av Svenska akademien, Band 15, Lund 1939.

37 Bergmark, a.a.O., S. 154; Mansén, a.a.O., S. 42; Hult, a.a.O., S. 12.

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Unternehmertum („entreprenörskap“) ist ein in vielen Disziplinen und seit langen Zeiten diskutiertes Phänomen, das zahlreiche Verfasser als ‚innovativ‘ („nydanande“) im Sinne von schöpferisch, originell, mutig und offen für Neues definieren.38 Der österreichische Ökonom Joseph Schumpeter war sich mehr als alle anderen Forscher vor ihm bewuβt über die explizit ökonomische Funktion des schöpferischen Unternehmers.39 Diesen sah er als Träger

ökonomischen Wandels und in seiner Funktion, Innovationen zu bewirken, „neue

Kombinationen“ herzustellen. Unter Innovation verstand er nicht allein die Erfindung von etwas Neuem (ein neues Produkt, eine neue Methode, ein neuer Markt, eine neue Organisation etc.), sondern eher den Prozeβ, mit dem das Neue auf dem Markt eingeführt und durch Nachahmung verbreitet wird. Über einen begrenzten Zeitraum hin erlangt die Innovation kraft ihres Wertes als Neuheit oder aufgrund ihrer Einzigartigkeit eine Monopolstellung.40 Das Zustandekommen erfolgreicher Innovationen löst eine Kettenreaktion aus. Andere Personen streben nach Anteilen am Monopol des Unternehmers. Wir können deshalb, um mit Schumpeter zu sprechen, erwarten, daβ Nachahmer des innovativ und erfolgreich etablierten Unternehmens Medevi Brunn

diskontinuierlich in Scharen und als Gruppen auftraten.

Nach Schumpeter kann die unternehmerische Funktion ausgeübt werden durch eine Person, eine Gruppe von Personen, ein Unternehmen, eine Organisation, ein Netzwerk und von staatlichen Behörden und Institutionen.41 Die von Schumpeter vertretene Ansicht ist damit jener diametral entgegengesetzt, die heute oft vertreten wird, wonach innovatives Unternehmertum im

öffentlichen Sektor auszuschlieβen sei. Eine solche Interpretation ist in Schumpeters Schriften empirisch nicht belegbar.42

Hier wählen wir drei kontrastierende Fälle, um Antworten auf die oben genannten Fragen zu finden: Medevi Brunn, Sätra Brunn und Ramlösa Brunn. Sie wurden im Wesentlichen zur gleichen Zeit gegründet, doch entwickelten sie sich zu Kurorten mit recht unterschiedlichem Status. Medevi und Ramlösa gediehen umgehend zu mondänen Hautevolee-Einrichtungen, während Sätra von Beginn an in dem Ruf stand, ein „Armenbrunnen“ zu sein. Dagegen spielte Sätra mehrere Jahrhunderte lang eine wichtige Rolle als Ausbildungsanstalt für Ärzte, eine Funktion, die weder Medevi noch Ramlösa innehatten. In Medevi und Ramlösa gab es keine Trennung zwischen Medizin- und Gesundheitstourismus sowie allgemeiner medizinischer Behandlung von Mittellosen. Zwei Personen – Gustaf Soop und Urban Hjärne – wurden zu Wegbereitern des Entstehungsprozesses von Medevi Brunn, Schwedens erstem

Gesundheitsbrunnen. Eine weitere Person, die Hjärnes Vorhaben auf dem Gebiet der

Mineralwasserheilkunde verfolgt hatte, war ein junger schwedischer Arzt, Samuel Skragge. Auch er suchte leidenschaftlich und gründlich nach Sauerbrunnen und gründete, als die Suche Erfolg hatte, Sätra Brunn.

38 Siehe u.a. Hans Landström: Pioneers in entrepreneurship and small business research. New York 2005; Karl Gratzer:

Framväxt och utveckling av svensk entreprenörsforskning. In: Mats Larsson, Mikael Lönnborg, Karin Winroth (red.): Entreprenörskap och varumärken. Möklinta 2013; Magnus Henreksson, Mikael Stenkula: Understanding Entrepreneurship. Definition, Function and Policy. Lund 2016.

39 Es ist festzuhalten, daβ Schumpeter in seinen frühen Arbeiten den Begriff „Entrepreneur“ nicht verwendet. Er stellt zwei ökonomische Schlüsselfiguren gegeneinander. Mit „Unternehmer“ bezeichnet er einen innovativen, kreativ Neues schöpfenden Protagonisten. Mit dem „Wirt schlechtweg“ meint er einen Unternehmer, der bereits vorhandene Funktionen der Produktion in einem statischen Kreislauf wiederholt. Vgl. Schumpeter 1911 [1987], a.a.O., S. 111.

40 Siehe ebd., S. 40; sowie ders.: The Creative Response in Economic History. In: Journal of Economic History 7/1947.

41 Vgl. Economic theory and entrepreneurial history. Neudruck von Change and the Entrepreneur, 1949, S. 63-84, in: Joseph A. Schumpeter: Essays. On Entrepreneurs, Innovations, Business Cycles, and the Evolution of Capitalism. Herausgegeben von Richard V. Clemence, Cambridge 1951 [1989], S. 260.

42 Siehe Karl Gratzer: Framväxt och utveckling av svensk entreprenörsforskning. In: Larsson et al. (red.), a.a.O.

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Im folgenden wird beschrieben, wie ein neues Tätigkeitsfeld – Gesundheitsbrunnen – Einzug in die Gesellschaft hielt, wer seine Protagonisten waren und welche Motive sie hatten, welche Widerstände zu überwinden waren und wie die neue Geschäftsidee kopiert wurde und sich in Schweden verbreitete.

Katalysatoren der Entwicklung

Warum forcierten gerade diese drei Personen die Entwicklung von Gesundheitsbrunnen? Gab es einen gemeinsamen Nenner in Form von ähnlichen Erfahrungen oder Tätigkeitsbereichen, die ihr Engagement beflügelten? Welche früheren Erlebnisse und Erkenntnisse verschafften ihnen die einzigartige Kompetenz, die neuen Möglichkeiten wahrzunehmen und zu nutzen?

An einem Sommertag im Jahre 1678 bereisten der vermögende Groβgrundbesitzer Gustaf Soop (1624-1679) und der Arzt und Naturforscher Urban Hjärne (1641-1724) in Gesellschaft von einigen anderen Herren das knapp 20 Kilometer nördlich von Motala und nahe am See Vättern gelegene Medevi. Sinn und Zweck der Reise war es herauszufinden, ob das Wasser einer dort befindlichen Quelle für einen Gesundheitsbrunnen geeignet wäre. Eben diese zwei Männer sollten bei der Einführung von Gesundheitsbrunnen und der Grundsteinlegung der ersten derartigen Anlage in Schweden eine bemerkenswerte Rolle als Unternehmer spielen. Der Erfolg ihres Projektes war ihrem Vermögen geschuldet, gute Ideen im Ausland aufzuspüren und diese auf schwedische Verhältnisse anzuwenden.

Gustaf Soop und Medevi Brunn

Ein Mitglied der schwedischen wirtschaftlichen und politischen Elite, das über eigene

Erfahrungen an medizinischer Behandlung im Ausland verfügte, war der schwedische Adlige und Freiherr Gustaf Soop.43 Im Alter von 35 Jahren heiratete er die 17jährige Margareta Horn af Marienberg. Das gesamte schwedische Königshaus mit König und Königin an der Spitze nahm an der Hochzeit teil. Margareta heiratete mit Soop einen der mächtigsten Männer Schwedens. Er war Generalgouverneur mehrerer Provinzen und Besitzer zahlreicher Gutshöfe und Ländereien.44 Soop rechnete mit zukünftigen Möglichkeiten für Kurorte und nahm die Planung für den ersten schwedischen Gesundheitsbrunnen in Angriff. Den Wert eines solchen für Schweden hatte Soop offenbar schon vor der Entdeckung von Medevi Brunn erkannt. In der Hoffnung, auf eine Quelle mit heilsamem Wasser zu stoβen, leitete er mineralogische Untersuchungen unter anderem in Bergslagen in die Wege.

Soop war zu Ohren gekommen, daβ im Mittelalter Quellen bei Medevi genutzt worden waren.

1670 erregte eine Quelle just bei Medevi seine Aufmerksamkeit, der man wundersame Heilkräfte nachsagte. Er erwarb das Land mit der Quelle und ihrer Umgebung. Soop wähnte sich am Ziel:

Er hatte endlich eine solche, im Mittelalter als heilig geltende Quelle ausfindig gemacht, von der die Sage ging, daβ die Heilige Katharina mit ihrem Wasser Kranke heilte. Es hieβ, Blinde hätten

43 Ingemar Antonsson: Han grundade Sveriges första hälsobrunn. Motala 1980. Zu Gustaf Soop siehe Svenskt biografiskt lexikon: http://sok.riksarkivet.se/sbl/artikel/6145, Zugang 02.02.2016.

44 Nach seinem Studium erhielt Soop eine Anstellung als Kammerjunker und Kammerherr am Hofe Königin Kristinas. Auf dem Reichstag 1654 war er in mehreren Adelsausschüssen vertreten. Als die zukünftige Königin Hedvig Eleonora 1654 zwecks Heirat mit Karl X. Gustav nach Schweden reiste, fungierte Soop als Marschall. Er wurde Landeshauptmann der Provinzen Närke und Värmland und war einer der reichsten Männer Schwedens.

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wieder sehen können und Lahme brauchten keine Krücken mehr, wenn sie vom heiligen Wasser bei Medevi getrunken hatten.

Soop hatte zu Beginn der 1670er Jahre zusammen mit dem Arzt und Archiater45 Urban Hjärne den Gesundheitsbrunnen in Aachen besucht, um dessen Eigenschaften zu studieren. Soops Interesse galt vornehmlich den heiligen Mysterien des Wassers im Brunnen, während Hjärne wissenschaftliche Analysen vornahm. Er dachte darüber nach, ob und wie das Wasser als medizinische Therapie für Kranke Anwendung finden konnte. Soop war von der Idee beseelt, eine ähnliche gesundheitsfördernde Quelle in Schweden zu finden. Wenn dies glückte, würde man nicht mehr ins Ausland reisen müssen, um Brunnenwasser zu trinken.

Er hatte früher gerüchteweise gehört, daβ die Mönche in Vadstena eine Heilquelle auf dem Gut Medevi entdeckt hätten. Als er das Gut erworben hatte, lieβ er Proben aus der bewuβten Quelle nehmen und sandte diese an den berühmten Arzt und Naturforscher Urban Hjärne. Hjärne untersuchte das Wasser; die Analyse fiel positiv aus, und nun ging es richtig zur Sache. Der König führte Krieg in Südschweden, weshalb der Reichsrat über den Fund unterrichtet wurde. Die Angelegenheit wurde zur Reichssache erklärt.46

Soop begann umgehend damit, Medevi zum Brunnenort zu machen. 1678 wurde Medevi Brunn gegründet, weshalb das Jahr als Beginn der schwedischen Kurortepoche gilt. Gustaf Soop sorgte für die Anstellung Urban Hjärnes als erstem Arzt von Medevi Brunn, und das gemeinschaftliche Konsumieren von Brunnenwasser durch Patienten nahm unverzüglich Fahrt auf.47

Während seiner letzten Lebensjahre war Medevi für Soop von groβer Bedeutung, auch wenn er nicht mehr vermochte, den Sauerbrunnen für eigene Zwecke zu nutzen, ausgenommen einige Zeitabschnitte in den Jahren 1678-79. Er hatte die Absicht, Medevi weiterzuentwickeln, doch sein Tod 1679 setzte diesem Plan ein Ende.

Urban Hjärne und Medevi Brunn

Urban Hjärne war einer der bemerkenswertesten Männer der schwedischen Groβmachtzeit. Im Alter von 15 Jahren war er als einsamer und verarmter Flüchtling nach Stockholm gekommen.

Sein elterliches Heim in Ingermanland bei St. Petersburg war abgebrannt, der Vater tot und die Familie in alle Winde zerstreut. Hjärne gelang es, sich durchzuschlagen, studierte Medizin, erwarb sich einen Ruf als Bergknappe, Chemischer Zeichner, Dramenautor und vielem mehr. Hjärne strebte danach, im besten merkantilistischen Sinne, die verborgenen Besitztümer des Reiches aufzuspüren und zu erforschen. Er äuβerte, daβ Schweden über bedeutende Naturreichtümer verfüge, insbesondere unter Tage, doch die unwissenden Schweden verstünden nicht, sie zu nutzen. In Schweden war es Urban Hjärne, der Ende des 17. Jahrhunderts erstmals die

chemische Beschaffenheit von Brunnenwasser analysierte und zugleich groβes Interesse weckte, neue Quellen mit mineralhaltigem Wasser zu entdecken.48

Nach Entnahme und Prüfung von Proben des Wassers von Medevi stellte Hjärne fest, daβ es über die Qualität verfüge, die einem untadeligen Kurortwasser entspräche. Es enthalte „geistige

45 Archiater ist die altertümliche Bezeichnung für einen leitenden Arzt, einen Oberarzt oder einen Arzt, der als königlicher Leibarzt tätig ist.

46 Siehe Bergmark, a.a.O.; und Per Dockson: Kring Medevi brunn och Urban Hjärne. Landskrona 1997, S. 8.

47 Vgl. Antonsson, a.a.O. und Mansén, a.a.O.

48 Urban Hjärne: Een Kort Anledning Till Åtskillige Malm- och Bergarters/Mineraliers Wäxters/ och Jordeslags/ sampt flere sällsame Tings effterspörjande och angifwande. 1694.

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Dünste“, und sei „erquickend, frisch und wie der schönste Kristall“. Ein weiteres Kriterium, das nach Hjärne erfüllt sein muβte, war das Einverleiben groβer Mengen ohne die Gefahr

nachfolgenden Unwohlseins.49

Wie Soop verfügte auch Hjärne durch seine wiederholten Reisen über ein dichtes Netzwerk in Deutschland.50 Nach seinem Studium in Uppsala diente er unter anderem als Garnisonarzt der schwedischen Truppen sowie als Hausarzt des schwedischen Generalgouverneurs Graf Tott in Riga, der zu dieser Zeit wichtigsten Handelsmetropole im Baltikum.51 Im Sommer 1667 auf einer Reise mit Generalmajor Jacob Staël von Holstein52 lernte Hjärne die mineralhaltigen und warmen Bäder und Sauerbrunnen in Deutschland, Holland und England kennen.53 Er besuchte unter anderem Aachen und Spa, wo er Brunnen- und Badtherapien studierte und die Gelegenheit wahrnahm, mit den angesehensten Ärzten Erfahrungen auszutauschen. An der Universität Leiden begegnete er den herausragendsten medizinischen Autoritäten seiner Zeit. Hjärne hatte folglich eine Reihe medizinischer Studienreisen unternommen, bevor er sich als praktizierender Arzt in Stockholm niederlieβ. Bald ging ihm in der Hautevolee der Ruf als erstklassiger Arzt voraus, und er behandelte einfluβreiche und wohlhabende Patienten aus der Stockholmer Aristokratie und höheren Bürgerschaft, bevor er das Amt als Erster Leibmedicus am Schwedischen Hof bekleidete. 1696 wurde er zum Präses des Collegium medicum, der

wichtigsten schwedischen Ärztevereinigung, berufen.54 Damit wurde er zur führenden Autorität der schwedischen Medizinischen Wissenschaften. Er verfügte nicht nur über umfassende

theoretische und praktische medizinische Kenntnisse, sondern kannte sich auch auf dem Feld der Heilquellen und Gesundheitsbrunnen aus, mit dem er auf Studienreisen im Ausland in Berührung gekommen war.55

49 Dazu kamen weitere Bedingungen, die für die Etablierung einer Brunnenanlage erfüllt sein muβten. Der Standort sollte möglichst hoch gelegen sein, und das Quellwasser in östliche Richtung abflieβen – d.h. in jene

Himmelsrichtung, in der die Strahlen der Morgensonne besondere Kraft versprachen. Die Quelle von Medevi lag zudem nicht zu nah am Meer, was als Voraussetzung galt, „Nebel und Dunst sowie die schaurig-schwere Luft“ zu vermeiden, „die die Rauchschwaden über dem Meer“ verursachten. Alles in Medevi schien zu stimmen: Das Vorkommen der gesuchten Stoffe im Wasser, die Lage des Standorts und die Abfluβrichtung des Quellwassers aus dem Boden. Siehe Urban Hjärne: Een kort berättelse om the nys vpfundne suurbrunnar wid Medevij vthi Östergöthland …, i största hast sammanfattat aff Urban Hiärne. Linkiöping 1679, S. 1-14.

50 Vgl. Åke Åkerström: Urban Hjärnes resa till Tyskland och Holland 1667. Uppsala 1937.

51 Im Jahre 1601 brach ein Krieg zwischen Schweden und Polen mit Riga als einem der Kriegsschauplätze aus. In jenem Jahr gelang es den schwedischen Truppen nicht, Riga einzunehmen. Wiederholt versuchten die Schweden unter Karl IX. dies im Jahre 1605. Der Ansturm scheiterte erneut. Die schwedische Armee erlitt eine ihrer

schlimmsten Niederlagen aller Zeiten. 1621 kamen schwedische Armeeverbände, unter Führung von König Gustav II. Adolf, ein drittes Mal nach Riga. Dieses Mal sah sich Riga zur Kapitulation gezwungen. Die Schwedenzeit, die damit eingeleitet wurde, währte bis 1710.

52 Jacob Axel Staël von Holstein, geboren 1680 in Livland, gestorben 1730 in Holstein, war ein schwedischer Berufsoffizier. Staël war Hauptmann bei den Grenadieren des Generals Berner in Holstein und Generaladjutant des polnischen Königs Stanislaw I. Leszcynski. In seiner Militärlaufbahn nahm er an der Schlacht in Duna und der Schlacht bei Höchst 1704 teil. Siehe Herman Hofberg et al.: Svenskt biografiskt handlexikon: alfabetisk ordnade lefnadsteckningar af Sveriges namnkunniga män och kvinnor från reformationen till nuvarande tid. Stockholm 1906.

53 Siehe Urban Hjärne: Den lille wattuprofvaren: hwarigenom de rätta och hälsosamma suurbrunnar ifrån falska eller gemena jernvatn, som här och där i wårt K.fädernesland finnas, igenkennes och åthskilies = The little water-tester, Stockholm 1683.

54 Das Collegium medicum war ein schwedischer Verband von Ärzten, der 1663 mit dem Ziel gegründet wurde, Quacksalbern und Scharlatanen das Handwerk zu legen. Zu diesem Zweck wurden dem Collegium auβerordentliche Rechte eingeräumt. Es fungierte zudem als Unterrichts- und Prüfungsanstalt. Für die Fächer Anatomie, Botanik und Pharmazie wurde dem Collegium die Unterrichtspflicht übertragen. Es besaβ das Recht und die Pflicht, jeden

„doctor medicus“, der als Stadtarzt in Stockholm oder als Landarzt in der Provinz arbeiten wollte, ein „examen practicum“ absolvieren zu lassen. Ab 1756 wurde die Tätigkeit durch den Staat finanziert. Das Collegium wurde zum Vorläufer des Landesgesundheitsamtes, des 1968 gegründeten Sozialamtes sowie des Karolinska-Instituts.

55 Mansén, a.a.O., S. 192.

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15 Gegen den Strom schwimmen

Erfolgreiches Unternehmertum überschreitet oft Grenzen. Bestehende Interessen stehen dem Neuen im Wege. Der innovative Unternehmer wird zur Bedrohung für erprobte, als gesichert geltende Vorstellungen, althergebrachte Denkmuster, Macht- und Besitzstrukturen. Der

Unternehmer muβ deshalb bereit sein, jenen zu begegnen, die ihre Interessen in Gefahr sehen.56 Ein wichtiger Faktor für den Erfolg eines neuen Unternehmens oder Projekts ist seine

Legitimität. Ein neues Unternehmen oder Projekt besitzt geringe Legitimität, bevor es auf dem Markt Fuβ gefaβt hat und von seiner Umgebung und seinen Kunden akzeptiert wird.

Demzufolge ist das Risiko zu scheitern in den ersten Jahren am höchsten. Das Risiko sinkt erwartungsgemäβ mit steigendem Alter infolge der wachsenden Akzeptanz des Unternehmens oder Projekts. Für Medevis Legitimität war es deshalb wichtig, daβ das gesundheitsbringende Wasser gutgeheiβen und von der Elite des Landes beansprucht wurde. Wie andere Unternehmer vor und nach ihm stand Hjärne vor der Aufgabe, eine Strategie zu entwerfen, möglichem

Widerstand Paroli zu bieten. Die zu lösende Aufgabe, um das Projekt zum Erfolg zu führen, umfaβte im Wesentlichen zwei Ebenen: 1) Akzeptanz für einen ersten schwedischen

Gesundheitsbrunnen zu schaffen, und 2) zahlungskräftige Gäste für den Besuch des Brunnens zu gewinnen.

Nicht unerwartet stieβ auch Hjärnes Projekt auf Widerstand. In seiner Schrift Den lille

Wattuprofvaren („Der kleine Wasserprüfer“) beschreibt Hjärne diesen Widerstand und klagt bitter über alle avundsmän („Neider“) und das Unmaβ an Gespött, Verachtung und harten Urteilen, das ihm anfangs entgegenschlug. Niemand wollte an ihn und seine Idee glauben. Trotz des

Widerstandes von Arztkollegen und dem Zweifel von Standespersonen benötigte Hjärne nur wenige Jahre, um das Brunnenbauprojekt voranzutreiben. Angesichts dieses unerwarteten Erfolgs – d.h. der Entstehung der Brunnenanlage – begannen seine Widersacher, Hjärne in Verruf zu bringen. Sie starteten eine Kampagne, in der sie behaupteten, man sei anderenorts auf besseres Wasser gestoβen, und das Wasser von Medevi sei wirkungslos.57 In dieser Situation entschied sich Hjärne für eine erneute Reise nach Deutschland, um deutsche Gesundheitsbrunnen auf Herz und Nieren zu prüfen. Nach seiner Rückkehr veröffentlichte er die Ergebnisse seiner

wissenschaftlichen Untersuchungen in oben genannter Schrift. Die Analysen ergaben, daβ das Wasser in Medevi mindestens ebenso gut war wie das von ausländischen Gesundheitsbrunnen.

Damit gelang es Hjärne, den Streit als Sieger zu beenden. Der Gesundheitsbrunnen von Medevi hatte die nötige Legitimität erhalten und wurde nun als bester in Schweden anerkannt.58

Die Schwierigkeit, zu einem frühen Zeitpunkt Patienten nach Medevi zu locken, beschränkte sich vor allem auf Standespersonen. Gänzlich anders verhielt es sich mit bäuerlichen und standeslosen Patienten. Hier erhielt Hjärne Schützenhilfe seitens der nie in Vergessenheit geratenen

Quellenkultkultur, die die heilenden Kräfte des Wassers auf eine Gottheit oder auf Heilige zurückführte. Der Zustrom von Hilfesuchenden aus der allgemeinen Bevölkerung wuchs kräftig an. Hjärne schreibt:

56 Schumpeter 2011 [1989], a.a.O., S. 126f. Der Unternehmer des Kreislaufs, ”der Wirt schlechthin”, schwimmt mit dem Strom im wohlbekannten ökonomischen Kreislauf, doch schwimmt er gegen den Strom, will er dessen Lauf verändern.

57 Urban Hjärnes självbiografi. In: Äldre svenska biografier. Uppsala 1916, S. 166ff.

58 Siehe Per Hanselli (red.): Samlade vitterhetsarbeten af svenska författare från Stjernhjelm till Dalin. Teil 3. Samlade vitterhetsarbeten af Thomas Urban, Carl Urban och Erland Fredrik Hjärne. Uppsala 1856, S. 10f.

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„Nun strömten sie herbei aus allen Orten, so daβ keine Herberge mehr war und sie sich selbst helfen und unter freiem Himmel nächtigen muβten. /…/ Die Lahmen lieβen ihre Krücken fallen, die Wahnsinnigen kamen zu Verstand, die Melancholischen und Ängstlichen wurden freimütig und herzensfroh.“59

Aus Hjärnes Aufzeichnungen geht hervor, daβ sich die meisten Gäste, die dem Volk angehörten, in der Mittsommernacht am Brunnen einfanden und bei ihren Besuchen dem Aberglauben frönten. Sie warfen Geldstücke und Kreuze in die Quellen und richteten Gebete an die Heiligen.

Sie tranken groβe Mengen Wassers, während sie darin badeten. Derartiges Benehmen trug nicht zum Ansehen Medevi Brunns bei. Hjärne erarbeitete Regelwerke, um dem kulturlosen Gebaren, dem Irrglauben und Götzendiensten einen Riegel vorzuschieben, damit höhere Standespersonen als Kunden nicht verschreckt wurden.

Neue Normen werden oft im Widerspruch zu anderen, althergebrachten und gängigen lanciert und etabliert. Sie werden meist von ehrgeizigen Wegbereitern unterbreitet, die eigene Pläne oder Gruppeninteressen verfolgen. Eine wichtige Bedingung für die Einführung und Durchsetzung einer neuen Norm ist ihre Institutionalisierung. Hjärne agierte auch in der Rolle als Normbildner und Meinungsmacher erfolgreich und überzeugte, um einen heutigen ökonomischen

Fachterminus zu gebrauchen, als normentreprenör (etwa „die Norm vorgebender Unternehmer“).

Wie Hjärne als Lobbyist vorgegangen war, kann leider nicht rekonstruiert werden, doch im Jahre 1681 unterzeichnete König Karl XI. die erste öffentliche Bekanntmachung von Medevi Brunn.

Sicherheitshalber verbot der König auf einem Plakat alle „herabwürdigenden Urteile und

Bezeichnungen über den Brunnen und die Kraft und den Nutzen des Wassers“.60 Jegliche Kritik an Hjärnes Gesundheitsbrunnen war nun kriminalisiert. Schon ein Jahr später stellte die

schwedische Oberschicht ihre Reisen zu ausländischen Gesundheitsbrunnen ein und fuhr stattdessen nach Medevi. Als Ergebnis der schöpferischen Aktivitäten Hjärnes wandelte sich der Ort in einigen wenigen Jahren vom öden und verlassenen Landstrich im nördlichen Östergötland zur angesagtesten Destination der Hautevolee des Reiches – eine Stellung, die Medevi über lange Zeit behalten sollte.

Damit das Projekt auf eigenen Füβen stehen konnte und Gewinn erzielte, war Hjärne

gezwungen, seine Schöpfung auf eine Weise zu vermarkten, die den potentiellen Kundenkreis innerhalb der finanzstarken höheren Stände ansprach.

Vermarktung als Innovation

Marketing kann man auf vielerlei Art betreiben. Hjärne verwendete zwei unterschiedliche, doch innovative Methoden. Er bediente sich einer Vermarktungsstrategie, die jener ähnelt, die mit einem modernen Begriff als Celebrity branding (etwa „Promi-Markenbildung“) bezeichnet wird.61 Gemeint ist damit eine Methode, bei der ein Konsument emotional mit einem Produkt oder

59 Hjärne in Bergmark, a.a.O., S. 159.

60 Kong. May:tz placat angående Medevij Suurbrunn. Stockholm: Niclas Wankijff. Kongl. Booktryckeri 1681. Sverige.

Kungl. Maj:t, 06.06.1681.

61 Jung-Gyo Lee, Esther Thorsson: The impact of celebrity-product incongruence on the effectiveness of product endorsement. In: Journal of Advertising Research 3/2008, S. 433-449; Olivier Driessens: The Celebritization of Society and Culture: Understanding the Structural Dynamics of Celebrity Culture. In: International Journal of Cultural Studies 6/2013, S. 641-657; Chris Hackley, Rungpaka Amy Hackley: The iconicity of celebrity and the spiritual impulse. In:

Consumption, Markets & Culture 3/2015, S. 269-274.

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einem Ort verknüpft wird. Der Konsument bewundert oder vergöttert eine bekannte Person, und die Marketingmethode zielt darauf ab, die Marke oder das Produkt emotional mit dem Idol zu verbinden.

Hjärne gelang es, Mitglieder der herrschenden Aristokratie und Elite für den neuen Brunnenort Medevi zu gewinnen. Ihn zu besuchen kam in Mode. Besonderes Verdienst daran besaβ eine Frau. Die verwitwete Königin Hedvig Eleonora, vormals Ehefrau von König Karl X. Gustaf, war längere Zeit Patientin des Hofmedicus Hjärne. Hedvig Eleonora fuhr mit ihrem gesamten

Hofstaat 1679 nach Medevi, um eine von Hjärne verordnete Kur anzutreten. Nur ein Jahr nach Eröffnung des Brunnenkurorts war damit das Eis gebrochen, denn wenn die Königlichen dorthin fuhren, war es auch für Angehörige der vier Stände mehr als gut genug.

Als Mitglieder des Königshauses und des Hochadels Medevi aufsuchten, um Heilquellwasser zu genieβen und Zerstreuung zu finden, war Hjärnes Vorhaben geglückt, eine Bäderkultur in Schweden zu etablieren. Die Besuche waren wertvoll, legten sie doch den Grundstein der Marke Brunnenkultur, die betuchte Gäste anzog. Hedvig Eleonora kam mehrere Male wieder und erwarb 1687 im Zuge einer Verstaatlichung von Adelslehen und Gütern schlieβlich Medevi Brunn. Die Strategie, prominente Gäste an Medevi zu binden, setzte sich auch unter den neuen Besitzern der Folgezeit fort, und viele Angehörige der Königsfamilie und Vertreter der höheren Stände besuchten Medevi bis Ende des 19. Jahrhunderts. Dies festigte die Marke Medevis als Brunnen der Hautevolee und bewirkte eine Reihe von Schenkungen, die zur Finanzierung von Aufenthalten mittelloser Patienten verwendet wurden.62 Denn Medevi öffnete seine Tore nicht nur für die Oberklasse, sondern auch für die Allgemeinheit und Arme, die im Lazarett

untergebracht wurden. Dem Ideal der Gleichheit entspricht die Formulierung von Hjärne, wonach er die wirklich Bedürftigen ebenso einlädt wie jene, die den Brunnen zur Zerstreuung aufsuchen, unabhängig von Alter und Herkunft.63 Das Getreide für das Lazarett beschaffte man aus dem nahegelegenen Kloster Vadstena. Das Lazarett nahm Arme und Krüppel auf. Bis zu 200 Patienten wohnten dort. Manchmal waren es so viele, daβ sich zwei bis drei Personen ein Bett teilen muβten.64 Der Oberklassenarzt Hjärne empfand soziale Verantwortung und nahm sich dieser an.

Hjärne – Schwedens erster Werbeagent

Urban Hjärne war davon besessen, Medevi Brunn zu vermarkten und vornehme Gäste nach Medevi zu locken. Durch einen geschickten Werbe- und Annoncenfeldzug gelang es ihm, seine Widersacher zum Schweigen zu bringen und mit Argumenten zu schlagen. Eine

Vermarktungsmethode, die es früher nicht gegeben hatte, war seine Annoncenkampagne in einer Zeitung. Im Bemühen, der neuen Geschäftsidee einen guten Ruf zu verschaffen, bediente sich Hjärne einer der ältesten europäischen und Schwedens damals einziger Tageszeitung Swenska Ordinarie Post-Tijender.65 Zum Vergleich sei erwähnt, daβ die erste schwedische Zeitungsannonce 1645 gedruckt wurde, die erste englische 1647 und die erste deutsche 1673. Sämtliche Annoncen und Artikel in der schwedischen Postzeitung waren stark zensierte Texte über Krieg und

62 Siehe Sven Anders Hedin: Utkast till en handbok för Brunnsgäster jämte beskrivning över de mest godkända mineralbrunnar och badinrättningar i Sverige. Linköping 1803, Neuausgabe 1994; Dockson, a.a.O., S. 23.

63 Hjärne 1679, a.a.O., S. 6f.

64 Dockson, a.a.O., S. 23.

65 Diese Zeitung, die 1645 auf Initiative Axel Oxenstiernas gegründet wurde, ist Schwedens älteste offizielle Zeitung, die vor allem stark zensierte Auslandsnachrichten über Kriege auf verschiedenen europäischen Schlachtfeldern sowie Königliche Verordnungen enthielt. Sie blieb lange Zeit Schwedens einzige Zeitung.

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